Fraunhofer-Jahrestagung 2022 / Verleihung der Fraunhofer-Forschungspreise
Am Abend des 19. Mai 2022 zeichnete die Fraunhofer-Gesellschaft auf ihrer Jahrestagung in Hamburg herausragende Projekte ihrer Forscherinnen und Forscher aus. Verliehen wurden drei Joseph-von-Fraunhofer-Preise, ein Wissenschaftspreis des Stifterverbandes »Forschung im Verbund« sowie – zum ersten Mal auf der Fraunhofer-Jahrestagung – der Fraunhofer-Gründerpreis.
Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2022
3D-basierte Patientenlageüberwachung in der Strahlentherapie
Eine wichtige Säule der Krebstherapie ist die Strahlenbehandlung. Dabei werden Tumorzellen durch Röntgenstrahlen gezielt abgetötet. Elementar dabei: Die Tumorregion muss exakt und vollständig getroffen, das gesunde Gewebe möglichst geschont werden. Doch gestaltet sich das Überwachen der genauen Position der Patientinnen und Patienten während der Behandlung bisher schwierig. Mit einem neuartigen System lässt sich die Position einer zu behandelnden Person künftig sowohl vor als auch während der Bestrahlung kontinuierlich überwachen. Auf diese Weise wird die Chance auf eine erfolgreiche Behandlung und die Genesung des Erkrankten effektiv gesteigert. Entwickelt wurde das produktionsreife Gesamtsystem von Dr. Peter Kühmstedt, Dr.-Ing. Christoph Munkelt und Matthias Heinze am Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF gemeinsam mit dem Industriepartner Varian Medical Systems. Das System bildet die Person mit einer Genauigkeit von weniger als einem halben Millimeter und einer hochfrequenten Bildrate dreidimensional ab. Damit wird eine fortlaufende Überwachung der optimalen Ausrichtung der Strahlen unter minimaler zusätzlicher Strahlenbelastung durch bildgebende Röntgensysteme ermöglicht. Auch erlaubt es die neuartige Lösung, dass die Zielgenauigkeit eingehalten und damit die Nebenwirkungen auf das umliegende, gesunde Gewebe reduziert werden.
Neue Präzisionsmethode − Fluoreszenz-Messtechnik zur Qualitätssicherung in der Produktion
Die Fluoreszenz galt bisher eher als Schätzeisen denn als zuverlässiges, quantitatives Messverfahren: Schließlich braucht es nicht nur präzise Referenzverfahren, um das Verfahren zu kalibrieren, sondern auch ein tiefes Verständnis der Effekte, die die Fluoreszenzstrahlung beeinflussen. Ein Forscherteam des Fraunhofer-Instituts für Physikalische Messtechnik IPM rund um Dr. Albrecht Brandenburg und Dr. Alexander Blättermann konnte aus dem Schätzeisen eine robuste Präzisionsmesstechnik mit extremer Geschwindigkeit entwickeln. Die Vorteile des Verfahrens: Komplexe 3D-Bauteile lassen sich erstmals im Sekundentakt der Fertigung auf Reinheit prüfen – und das zu hundert Prozent. Auch die erzielten Leistungsdaten sind spektakulär: 40 Millionen Punkte können pro Sekunde gemessen werden, Verunreinigungen von einem Milligramm pro Quadratmeter sind bereits nachweisbar, ab zehn Milligramm werden quantitative Messungen möglich. Elementar sind solche Informationen vor allem dort, wo es um die Sicherheit geht, etwa beim Verkleben von Pkw-Bauteilen.
Jederzeit empfangsbereit – Mit RFicient-Chip nachhaltig ins Internet der Dinge
Sei es im privaten, sei es im industriellen Bereich: Das Internet der Dinge verbreitet sich rasant, die Anzahl der drahtlos vernetzten Geräte steigt rapide an. Allerdings muss der Funkempfänger der Geräte im Zuge der ständigen Erreichbarkeit dauerhaft eingeschaltet sein – was die Batterielebensdauer bei kleinen, batteriebetriebenen IoT-Knoten auf wenige Wochen begrenzt.
Einen gigantischen Sprung nach vorne erlaubt der RFicient® Chip des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS, den Dr. Frank Oehler, Dr. Heinrich Milosiu und Dr. Markus Eppel mit ihrem Team entwickelt haben. Dieser Chip spart 99 Prozent des Stroms ein: Eine Batterie, die mit herkömmlicher Technologie gut einen Monat schafft, hält dann zehn Jahre. Dennoch ist der Sensorknoten jederzeit empfangsbereit – er braucht gerade mal 30 Millisekunden, um auf ein Signal mit einer Aktion zu reagieren. Die RFicient®-Technologie hat sich bereits von der ersten Idee zu einem kommerziell erhältlichen Standard-Chip entwickelt, auch entsprechende Industriepartner sind bereits gewonnen. Konservativ geschätzt werden in den nächsten Jahren über 50 Millionen IoT-Geräte von der RFicient®-Technologie profitieren.
Wissenschaftspreis des Stifterverbandes »Forschung im Verbund« 2022
Nahezu reibungslos – Virtuelle Materialsonde bringt Licht in den Reibspalt
Diamantbeschichtungen schützen die Komponenten, die in Gleitringdichtungen gegeneinander reiben, vor Verschleiß und sorgen für eine hohe Lebensdauer – etwa in Pumpen oder Kompressoren. Allerdings kann es zu starken Reibwertschwankungen kommen, in seltenen Fällen gar zum Ausfall von Anlagen, was Schäden in Millionenhöhe hervorrufen kann. Bislang war jedoch weder bekannt, wodurch kritische Reibwertschwankungen entstehen, noch welche Voraussetzungen es braucht, um die Reibung konstant auf niedrigstem Niveau zu halten.
Prof. Dr. Michael Moseler und Prof. Dr. Matthias Scherge vom Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM sowie Dr. Ing. habil. Joachim Otschik der EagleBurgmann Germany GmbH & Co. konnten dem Reibspalt nun seine atomaren Geheimnisse entlocken: Mit einer virtuellen Materialsonde, die Simulationen auf mehreren Größenskalen mit den Ergebnissen realer Experimente kombiniert. Mit ihr können sie während des Gleitens quasi in den Reibspalt »hineinsehen« – was weltweit einzigartig ist. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse gelang es EagleBurgmann, die Entwicklungszeit ihrer Gleitringdichtung um mindestens 99 Prozent zu verkürzen, einen Millionenauftrag zu sichern und Dichtungen zu entwickeln, die nahezu keine Reibung aufweisen.
Fraunhofer-Gründerpreis 2021
Desinfektion von Saatgut – sicher und nachhaltig durch Elektronenbehandlung
Geerntetes Saatgut einfach aufs Feld bringen? Keine gute Idee! Denn auf der Schale des Saatguts tummeln sich Pilze, Viren und Bakterien, die die Erträge drastisch senken würden. Saatguthersteller rücken diesen Erregern daher mit chemischen Beizmitteln zu Leibe. Doch das hat seine Nachteile: Da das Beizmittel am Saatgut haften bleibt, hantiert der Landwirt beim Ausbringen der Saat mit potenziell gefährlichen Stoffen, die ihm, der Natur und dem Boden schaden können. Auflagen sollen die Gefahr für die Umwelt eindämmen, so ist gebeiztes Saatgut etwa in Grundwasserschutzgebieten tabu. Auch wurden zahlreiche fungizide Beizmittel bereits verboten. Doch ganz ohne geht es nicht – der Einsatz der verbleibenden Beizmittel wird daher Jahr für Jahr per Notfall- und Sonderzulassungen erneut genehmigt.
Die E-VITA GmbH, ein Joint Venture des Fraunhofer-Instituts für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP und der Ceravis AG, dürfte diesem Prozedere bald ein Ende bereiten: Statt Pilze und Co. auf dem Saatgut mit Beizmitteln zu beseitigen, setzt sie auf beschleunigte Elektronen – und schafft damit eine chemiefreie, nachhaltige, erprobte und wirtschaftliche Alternative.