Technologische Souveränität

Wie die Wirtschaft wehrhafter wird

Webspecial Fraunhofer-Magazin 3.2021

Ohne Mikrochips geht heute nichts mehr. Sie sind verbaut in Autos, Smartphones und Industrierobotern. Lieferengpässe infolge von Corona führten in den ver­gangenen Monaten dazu, dass die Fertigung vieler­orts gedrosselt oder sogar gestoppt werden musste, vor allem in der Automobilbranche: Im Januar 2021 wurde hier rund 15 Prozent weniger produziert als im Vorjahr zur gleichen Zeit – bei fast unverändert hoher Nachfrage. Eine Analyse der Unternehmensberatung AlixPartners kommt zu dem Schluss, dass wegen feh­lender Mikrochips 2021 weltweit bis zu vier Millionen Autos weniger gebaut werden können.

Das Beispiel der winzigen Chips zeigt, wie leicht das engmaschige, auf Effizienz getrimmte Netz glo­baler Lieferketten außer Takt geraten kann, und legt die Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft offen. Hinzu kommen Risiken, die die Digitalisierung mit sich bringt. Firmen und Produkte sind verwundbar – durch Hackerangriffe, manipulierte Chips, Daten­lecks oder den Diebstahl von Produktionsdaten. Mit dem Ausbau des Internet of Things, in dem Millionen von Steuergeräten, Sensoren oder Kameras im Eigen­heim und in der Industrie über das Internet mitein­ander verbunden sind, nimmt die Gefahr digitaler Angriffe zu. Die IT-Sicherheitslage in Deutschland sei angespannt, heißt es denn auch beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik.

Verbundprojekt »Vertrauenswürdige Elektronik – Velektronik«

In dem vom Bundesforschungsministerium geförder­ten Verbundprojekt »Vertrauenswürdige Elektronik – Velektronik« arbeiten elf Fraunhofer- und zwei Leib­niz-Institute zusammen mit dem Elektronik-Netz­werk edacentrum daran, elektronische Komponenten sicher zu machen – zum Beispiel durch intelligente Sensoren, aus denen Produktionsdaten nicht mehr so leicht ausgelesen werden können.

»Der Kunde muss quasi blind auf die Qualität und Zuverlässigkeit der Produzenten vertrauen«, sagt Jörg Stephan, Velektronik-Koordinator in der Geschäfts­stelle der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutsch­land in Berlin.

»Die Kunst besteht darin, mit nicht fälschbaren, informationstechnischenMitteln nachvollziehbar zumachen, dass das Systemvertrauenswürdig ist.«

Prof. Claudia Eckert, Fraunhofer AISEC

Sicherheit von Softwaresystemen

Prof. Claudia Eckert leitet das Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicher­heit AISEC in Garching und hat den Lehrstuhl für »Sicherheit in der Informatik« an der Technischen Universität München (TUM) inne. »Wichtig ist zu­nächst, dass man die Sicherheit von Softwaresystemen beurteilt, versteht, wo mögliche Schwachstellen und Sicherheitslücken bestehen, um diese dann zu schlie­ßen; die Software zu härten«, sagt sie.

Die Informatikerin befasst sich auch mit ganz neu­en Ansätzen für die sichere Übertragung, Speicherung und Verarbeitung von Daten – von vertraulichen Ent­wicklungs- und Produktionsdaten, Patientendaten und vielem mehr.

Split-Manufacturing – geteilte Fertigung

Wenn eine Firma Elektronik-Komponenten im Aus­land herstellen lässt, kann es immer wieder vorkom­men, dass irgendwo auf dem langen Fertigungsweg eines der beteiligten Unternehmen das Vertrauen missbraucht. Zum Beispiel lässt sich das Layout von Computerchips so manipulieren, dass eine Trojaner- Funktion gleich in die Struktur eingearbeitet wird. Auch besteht die Gefahr, dass wertvolle Chiplayouts abgekupfert werden und Chips von Raubkopierern gefertigt werden. Viele Firmen gehen daher dazu über, Chips, die in Dutzenden von Produktionsschritten entstehen, von mehreren Firmen teilweise aufbau­en zu lassen – damit keine das komplette Chiplayout kennt.

»Die Herausforderung in unserem Forschungsgebiet liegt darin, dass durch die enge Verzahnung von Technologie, Architekturen und Algorithmen immer wieder neue Angriffe entdeckt werden – aber auch neue Ideen für Gegenmaßnahmen entwickelt werden können.«

Prof. Georg Sigl, Fraunhofer AISEC

In der Fraunhofer-Einrichtung für Ad­ditive Produktionstechnologien IAPT  arbeitet Markus Heilemann zusammen mit seinem Team an 3D-Druck-Containern.

»Die Anlagen werden exakt auf den Container zugeschnitten. Im Grunde ist der Container selbst der 3D-Drucker.«

Markus Heilemann, Fraunhofer IAPT

Mit 3D-Druckverfahren schneller produzieren

Am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU wurde in den vergangenen Jahren ein 3D-Druckverfahren entwickelt, das einen wesentlichen Nachteil der Technologie überwindet: Es ist deutlich schneller als herkömmliche Verfahren und ermöglicht so eine flexible Fertigung im Krisen­fall.

Mehr Unabhängigkeit bei Rohstoffen

»Resiliente Wertschöpfungsketten – Resyst«

Vorsorgen für den Krisenfall, damit die Produktion weitergehen kann. Das ist auch ein Ziel des Fraun­hofer-Innovationsprogramms »Resiliente Wertschöp­fungsketten – Resyst«. Notwendig ist hierfür nicht zuletzt eine sichere Rohstoffversorgung. Da Deutsch­land über relativ wenige Rohstoffe verfügt, geht es dabei für die Zukunft vor allem um ein möglichst lückenloses, hochwertiges Recycling.

Experten-Blog Markus Werner / 15.12.2020

Von der Wiege bis zur Bahre: Über das viel zu kurze Leben unserer Güter

Häufig landen Produkte, wenn wir sie nicht mehr brauchen, im Müll, selten auf dem Wertstoffhof. Von dort aus wandern sie auf die Deponie oder in den Hochofen. Sie sind dann als Produkt für immer verloren. Auch wenn die Kreislauffähigkeit von Metallen im Vergleich zu anderen Fraktionen hoch ist, gibt es weitere Optionen hier noch ressourcenschonender und nachhaltiger zu agieren. Markus Werner und seine Kollegen vom Cluster 3.2. des Innovationsprogramms RESYST suchen nach Wegen, metallische Produkte möglichst ressourcenschonend und unkompliziert wieder zu verwenden, ohne den Umweg über den Hochofen.

 

Interview mit Dr. Bernd Althusmann, Wirtschaftsminister in Niedersachsen

»Wir haben gezeigt, dass wir digital können.«

Dr. Bernd Althusmann ist Wirtschaftsminister in Niedersachsen
– und energischer Verfechter der Digitalisierung. Im Interview sieht er auch die Gefahren: »Cyberspionage bei den Parteien ist ein wichtiges Thema, das wir sehr ernst nehmen.«

Podcasts zum Thema Technologische Souveränität

 

Prof. Dr. Claudia Eckert | Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC / 22.2.2021

Technologische Souveränität

»Wir sind derzeit viel zu stark abhängig von Produkten, die wir nicht beherrschen.«

 

Prof. Dr.-Ing. Hubert Karl Lakner | Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS / 17.8.2021

Chip-Krise: Warum Halbleiter plötzlich knapp sind

»Ich denke, dass uns der Chipmangel trotz aller Gegenmaßnahmen noch zwei bis drei Jahre beschäftigen wird.«

 

Prof. Dr. Martin Steinebach | Fraunhofer SIT / 16.7.2021

Deepfakes

»Es gibt sehr eindrucksvolle Beispiele dafür, wie man ein Gesicht fernsteuern kann.«

 

Dr. Wenke Weinreich | Fraunhofer IPMS / 11.6.2021

Halbleiterfertigung für Next Generation
Computing

»Nicht nur Rechenleistung, sondern auch Energieeffizienz ist bei den Chips für Next Generation Computing ein großes Thema.«

 

Dr. Florian Roth | Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI / 23.4.2021

Resilienz in der
Praxis

»Resilienz ist nicht nur die Fähigkeit, robust und flexibel zu reagieren. Entscheidend sind Grundkompetenzen wie Innovations-, Antizipations- und Lernfähigkeit.«

 

Prof. Dr. Boris Otto | Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST / 22.1.2021

Gaia-X – Eine Dateninfrastruktur für Europa

»Die deutsche Industrie verfügt über einen Schatz an Daten aus Fertigung, Produkten und Nutzung von Diensten und wir müssen sie für uns nutzbar machen und die Wertschöpfung muss bei den Unternehmen bleiben.«

Weitere Informationen

Lernlabore Cybersicherheit

Das Lernlabor Cybersicherheit ist ein Weiterbildungsprogramm, in dem Experten und Expertinnen von Fraunhofer und ausgewählten Fachhochschulen aktuellste Erkenntnisse auf dem Gebiet der Cybersicherheit vermitteln. Fach-und Führungskräfte aus Industrie und öffentlicher Verwaltung können so ihre Kompetenzen zu IT-Sicherheit aktualisieren und spezialisieren. An zahlreichen Standorten in Deutschland erhalten Sie eine kompakte Qualifizierung in hochwertigen Laboren. Die Präsenzphasen der Seminare dauern nur ein bis drei Tage und sind mit Online-Angeboten ergänzt, so dass die Kurse berufsbegleitend belegt werden können.

Technologische Souveränität und
Marktpotenziale

Fraunhofer-Positionspapier zu Normen und Standards

Im Wettbewerb um Technologien und Zukunftsmärkte spielen Normen und Standards eine entscheidende Rolle. Für Unternehmen sind sie ein Instrument, um Forschungsergebnisse und Know-how in erfolgreiche Produkte zu verwandeln. Doch viele Unternehmen lassen das enorme Potenzial bisher ungenutzt. Die politischen Entscheider sind sich der Tragweite des Themas teilweise noch nicht vollends bewusst. Die  Fraunhofer-Gesellschaft präsentierte im April 2021 ein Positionspapier, um Politik und Wirtschaft für dieses Thema zu sensibilisieren.