Es war doch für manchen verstörend, dass Gesundheitsämter in den Kampf gegen Corona-Infektionsketten mit Kugelschreiber, Papier und Fax-Gerät ziehen mussten.
Die Pandemie hat uns gezeigt, wie lang die Wege der Umsetzung mitunter sind. Das Thema Digitalisierung habe ich umgehend nach Amtsantritt auf die Agenda gesetzt. Im Niedersächsischen Wirtschaftsministerium gibt es seit 2018 einen eigenen verantwortlichen Staatssekretär und eine Stabsstelle für Digitalisierung. Hier wird sehr gute Arbeit geleistet. Seit Mitte 2018 setzen wir Schritt für Schritt unseren Masterplan Digitalisierung um. Er umfasst über 90 Maßnahmen, der Großteil ist erfreulicherweise bereits abgearbeitet. Und: Wir erhöhen den Digitalisierungsgrad. Dabei spreche ich nicht nur von Schulen und Amtsgebäuden. Über das Programm »Digitalbonus Niedersachsen« fördern wir kleine und mittlere Unternehmen, die Investitionen in ihre Strukturen planen, mit bis zu 10 000 Euro. Dieses Programm ist eine Erfolgsgeschichte. Und zu Kugelschreiber, Papier und Fax würde ich gerne anmerken: Das sind Begriffe, die gerne verwendet werden, weil sie so schön plakativ sind. Allerdings bitte ich darum, dass jeder sich hinterfragt: Benutze ich selbst noch Stift und Zettel?
Manchmal steht ein viertes »D« gegen Digitalisierung: Datenschutz. Können Sie nachvollziehen, dass auch der Corona-Warn-App der Start so schwergemacht wurde?
Ich bezweifle, dass Datenschutz gegen Digitalisierung steht. Denn gerade, wenn wir über ein Staatsziel sprechen, müssen Daten so gut wie möglich geschützt werden. Auch den Datenschutz gilt es zu modernisieren. Die Corona-App ist ein gutes Beispiel, wie digitale Prozesse funktionieren können und ständig angepasst werden. Zuerst ging es darum, eine geschützte Risikoermittlung zu etablieren. Nun wissen wir, dass Eincheck- und Impfzertifikatsfunktionen die Relevanz der App ausmachen. Allerdings sollten wir solche Weiterentwicklungen der App auch den Nutzerinnen und Nutzern kontinuierlich besser vermitteln. Nicht nur in Deutschland gab und gibt es Dichtende und Denkende, aus dem alten Griechenland stammt der Spruch: »Steter Tropfen höhlt den Stein.« Was können wir also aus der Einführung der Corona-App lernen? Wir brauchen eine breite Öffentlichkeitsarbeit, und zwar nicht erst kurz vor der Ziellinie, sondern bereits beim Startschuss. Entscheidend für den Erfolg ist, dass die Bürgerinnen und Bürger einen konkreten Mehrwert erkennen und akzeptieren.
Vertrauen ist die Währung, wenn sich Menschen die Digitalisierung zunutze machen sollen. Im Deutschland-Index der Digitalisierung gaben 73 Prozent der Befragten an, dem Umgang der öffentlichen Verwaltung mit ihren privaten Daten zu vertrauen. Zu viel der Vorschuss-Lorbeeren?
Der Wert erinnert mich ein wenig an die Impfquote. 73 Prozent sind schon sehr gut, 100 Prozent wären besser. Im Ernst: Vorschuss-Lorbeeren sollten ein Antrieb und kein Ruhekissen sein.
Im Land der Dichter, Denker und Digitalisierer gibt es immer wieder schöne neue Worte. Bringt uns das »Registermodernisierungsgesetz« in diesem Jahr einen großen Schritt voran?
Die Politik hat in der letzten Zeit versucht, Ziel und Sinn von Gesetzen schon im Namen zu verdeutlichen. Das war ein sicherlich gut gemeinter Versuch einer besseren Kommunikation zwischen Politikerinnen und Politikern und Bürgerinnen und Bürgern – aber heraus kamen blumige Wortgebilde oder verschwurbelte Schachtel-Ungetüme. Im Fall des »Registermodernisierungsgesetzes« aber wissen zumindest alle Fachleute, dass hier für die Betriebe in Deutschland ein deutlicher Vorteil entsteht: Beim Kontakt mit einer Verwaltung muss das Unternehmen nicht immer wieder die gleichen Daten angeben, wenn sie an anderer Stelle bereits bekannt sind. Entscheidend ist, dass die Unternehmens-ID ausreicht, um sich zu identifizieren. Für den Bürger ist die Steuer-ID entscheidend. Meldebescheinigung oder Geburtsurkunde müssen nicht jedes Mal erneut vorgelegt werden. Dadurch werden die Bearbeitungszeiten kürzer. Also: Ja. Dieses Gesetz wird – trotz des sperrigen Namens – eine der Grundlagen für digitalisiertes Handeln des Staates sein und uns alle damit einen großen Schritt voranbringen.
Auch »Verwaltungsverfahrensgesetz« ist ein schönes deutsch gedichtetes Wort. Sollen digitale Nachweise und Papiernachweise gleichgestellt werden?
Ein gutes Beispiel für eine »Ja, aber«-Antwort. Wir müssen zunächst einige Voraussetzungen klären beziehungsweise schaffen – in diesem Fall unter anderem die Frage der Authentifizierung. Die technischen Mittel sind vorhanden. Wenn eine digitale Signatur fälschungssicher und eindeutig zuzuordnen ist sowie die langfristige Archivierung gewährleistet werden kann, können wir auch mit digitalen Dokumenten so umgehen, wie wir es aktuell mit analogen Unterlagen tun. Klar ist aber auch: Es wird immer Abstufungen und unterschiedliche Sicherheitsklassen geben – ein Personalausweis ist nun mal in seinen Sicherheitserfordernissen anders einzustufen als ein Bewohnerparkausweis.
Glauben Sie an digitale Souveränität – und: Wie ist sie zu erreichen?
Digitale Souveränität meint in erster Linie die Möglichkeit, auch in der digitalisierten Welt nach eigenen Werten und Normen zu leben. Wenn zum Beispiel die US-amerikanische Überwachungspraxis jeglicher Telekommunikation gegen europäisches Recht verstößt, kann die Antwort darauf nicht sein, auf die eigene Grundrechte-Charta zu verzichten. Vielmehr muss Europa dann in der Lage sein, nötigenfalls auf Dienste auszuweichen, die dem europäischen Recht entsprechen. Das scheint zurzeit nicht der Fall zu sein. Die Förderung von offenen Standards, wie es gerade bei GAIA-X passiert – ein Projekt mit einem futuristischen Namen, bei dem gemeinsame Anforderungen an eine europäische Dateninfrastruktur entwickelt werden –, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn auf der nächsten Stufe geht es auch um die digitale Souveränität von Privatleuten und Unternehmen, die die Möglichkeit haben sollten, Dienste zu wechseln. Zudem handelt es sich bei »digitaler Souveränität« auch um ein Bildungsziel. Hier sehe ich alle – Eltern, Schulen, Universitäten, Medien – darin gefordert, digitale Mechanismen zu erklären, zu hinterfragen und dadurch eine fortschrittliche Medien- und Digitalkompetenz zu etablieren. Und auch der Staat hat bei diesem Thema eine Bringschuld: Gesetze und Regeln aus der analogen Lebenswirklichkeit müssen auch in die digitale Welt passen.
Sie sind Landesvorsitzender der CDU in Niedersachsen. Die »Wirtschaftswoche« hat im Juli öffentlich gemacht, dass die Fraunhofer-Gesellschaft die IT-Sicherheit in der Parteienlandschaft getestet und die Parteispitzen vor gravierenden Sicherheitslücken gewarnt hatte. Mails könnten abgefangen, Daten gestohlen oder gelöscht werden – dabei sei die IT-Sicherheit der Parteien von besonderer Bedeutung »für die Stabilität unserer Demokratie«. Sehen Sie Handlungsbedarf?
Cyberangriffe und Online-Kriminalität stellen eine zunehmende Herausforderung für die Wirtschaft, für staatliche Behörden und leider auch für die Politik dar. Bundeswahlleiter Georg Thiel hat erst kürzlich erklärt, er halte die Gefahr von Cyberangriffen auf die kommende Bundestagswahl für hoch. Die Behörden treffen dafür bereits koordinierte Vorbereitungen. Auch Cyber-Spionage bei den Parteien ist ein wichtiges Thema, das wir sehr ernst nehmen. Im Januar gab es bekanntermaßen Cyber-Angriffe beim ersten digitalen CDU-Bundesparteitag auf die Server der Union. Die Partei war jedoch auf diesen Fall vorbereitet und konnte die Angriffe abwehren. Wir sind also als Partei durchaus mit diesem Thema befasst und werden weiterhin wachsam bleiben und unsere Strukturen stetig weiter verbessern.
Über Wochen und Monate hat eine Internet-Attacke den sachsen-anhaltinischen Landkreis Anhalt-Bitterfeld in der Verwaltung lahmgelegt. Wir haben ein IT-Sicherheitsgesetz, das Betreiber kritischer Infrastrukturen verpflihtet, Cyberangriffe sofort ans Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BSI zu melden. Brauchen wir nach der Attacke auf eine Landkreis-Verwaltung auch eine Informationspfliht für die 294 Landkreise und 11 000 Kommunen in Deutschland?
Leider findet man Beispiele für Cyberangriffe inzwischen auch in Niedersachsen. Und sobald kritische Infrastrukturen – ich spreche beispielsweise von Krankenhäusern, Wasserwerken und Verkehrsunternehmen – betroffen sind, trifft diese Meldepflicht auch jetzt schon die Kommunen, soweit sich die Betreiberinnen und Betreiber in kommunaler Trägerschaft befinden. Aber generell: Jede Meldung an das BSI ist ein Baustein zu mehr Sicherheit für uns alle. Sollte sich also zukünftig abzeichnen, dass Kommunen gezielt und gehäuft angegriffen werden, könnte es sinnvoll sein, sie in den Kreis der Meldepflichtigen aufzunehmen. Immerhin bedeutet ein mehrwöchiger Ausfall einer kommunalen IT eine massive Einschränkung der Versorgungslage.
Herr Althusmann, wir haben begonnen mit dem Land der Dichter und Denker. Haben Sie eine Lektüre-Empfehlung zu einem Werk, das Ihnen durch die Corona-Krise geholfen hat?
Da orientiere ich mich am niedersächsischen Dichter Wilhelm Raabe, der befand: »Es gehört zur Weisheit, gelegentlich ein bisschen töricht zu sein.« Damit will ich sagen, dass man über den eigenen Horizont schauen sollte und auch Expertisen »von außen« einholen darf. Deshalb empfehle ich das Buch »Schwacher Staat im Netz« von Martin Schallbruch. Der Titel klingt auf den ersten Blick staatskritisch, doch Martin Schallbruch ist ein angesehener Informatiker, der 18 Jahre lang in verschiedenen Abteilungen des Bundesinnenministeriums tätig war. Sein Buch ist dabei so geschrieben, dass es auch Nichtinformatikerinnen und Nichtinformatiker wie ich gut lesen können.