Webspecial zur Titelstory des Fraunhofer-Magazins 1.2021
Webspecial zur Titelstory des Fraunhofer-Magazins 1.2021
Möchte man Hitzestress für die Bewohner von Städten vermeiden, genügt es nicht, Straßenzüge und Plätze mit urbanem Grün angenehmer zu temperieren. Vielmehr gehört auch das Innenraumklima in den Gebäuden dazu. Eine solide Grundlage, um dieses zu bewerten, lieferte das EU-Projekt »Climate for Culture«, an dem ein multidisziplinär zusammengesetztes Team mit 27 Partnern aus Europa und Ägypten beteiligt war und das vom Fraunhofer IBP koordiniert wurde.
»Wir haben das hygrothermische Gebäudesimulationsmodell WUFI®Plus mit Klimamodellen gekoppelt«, konkretisiert Dr. Johanna Leissner, Repräsentantin der Fraunhofer-Gesellschaft im Forschungskonsortium. »Auf diese Weise können wir das Innenraumklima von Gebäuden bis zum Jahr 2100 simulieren und analysieren, wie sich der Klimawandel, aber auch bauliche Maßnahmen wie neue Fenster, Türen oder eine Abschattung auf das Innenraumklima auswirken und welcher zukünftige Energiebedarf für die Klimatisierung der Gebäude dadurch entsteht.« Eine solche Kopplung von Klimamodellen mit Gebäudesimulationen ist bisher weltweit einmalig – und erforderte viel Forschungsarbeit. So mussten die Forscherinnen und Forscher zunächst einmal die Parameter festlegen, welche für die Gebäudesimulation gebraucht werden, und diese dann aus den Klimamodellen herausrechnen. Dazu galt es, die Klimaparameter mit einer Auflösung von zehn mal zehn Kilometern über ganz Europa bis zum Jahr 2100 zu berechnen, und zwar für zwei verschiedene Szenarien, da die tatsächliche zukünftige Emission von Klimagasen nur abgeschätzt werden kann. »Es war ein riesiges Datenvolumen, das wir hier verarbeiten mussten, bevor wir es in die Gebäudesimulation einspeisen konnten«, erinnert sich Leissner. Diese ermittelten Parameter validierte das Forscherteam mit Klimadaten der Vergangenheit. Im Fokus des Projekts standen zwar historische Gebäude und Kulturerbe, doch eignet sich die Simulation für Gebäude aller Art.
Weniger aufsehenerregend als Dürre, Starkregen und steigende Temperaturen sind Orkanböen und starker Wind – ebenfalls relevante Auswirkungen des Klimawandels. Hier gilt es, Windschneisen gezielt zu durchbrechen, ohne die positiven Auswirkungen der Durchlüftung zur Abkühlung während der Sommermonate zu mindern. »Wie der Wind sich seinen Weg durch Städte sucht, ist neben der Topographie vor allem durch die menschengemachten Hindernisse vorgegeben – sprich durch die Gebäude«, sagt Matthias Winkler vom Fraunhofer IBP. »Wir haben also nur wenige Möglichkeiten, Windschneisen abzumildern, da wir die bestehende Baustruktur ja nicht großflächig ändern können.« Eine dieser wenigen Möglichkeiten liegt darin, Baulücken nicht abschließend mit anderen Häusern zu bebauen, sondern das neue Gebäude etwas versetzt hochzuziehen. Eine weitere sind Bäume, Sträucher oder Kunstwerke, die am Anfang einer Windschneise stehen und die ungehinderte Windpassage durchbrechen.
In welchen Straßenzügen einer Stadt der Wind besonders stark pfeift und wie sich solche Maßnahmen konkret auf besonders windige Ecken bestimmter Städte auswirken, lässt sich mit dem Stadtklimamodell PALM-4U analysieren. Das Modell wird im Projekt »Stadtklima im Wandel« von einem Forschungskonsortium entwickelt, dem auch das Fraunhofer IBP angehört. »Über PALM-4U können wir sowohl Temperaturverläufe bis auf Gebäudeebene räumlich darstellen als auch Windschneisen simulieren«, erläutert Winkler.
Die Stadt Berlin wurde bereits simuliert: Mit dem Modell können künftig Wind-Hotspots aufgedeckt und Lösungsansätze auf ihre Wirkung untersucht werden. Bringen sie den erhofften Effekt? Für die Stadt Stuttgart erstellen die Forscher derzeit ebenfalls ein Modell, Ende 2021 soll es fertig sein.
Im Teilprojekt ProPolis wollen die Fraunhofer-Forscher das Stadtklimamodell in die Praxis bringen und es entsprechend den Bedürfnissen von Kommunen und anderen Anwendern weiterentwickeln. Dazu gehören unter anderem eine graphische Benutzeroberfläche und Schulungskonzepte. Denn: Je praxistauglicher und leichter zu bedienen, desto mehr Kommunen, Städte und Gemeinden werden es vermutlich nutzen. Im Projekt UCare4Citizen bereiten die Forscher die Simulationsergebnisse so auf, dass die komplexen Informationen via Augmented-Reality-Brille erfahrbar werden. Im Projekt KERES untersuchen die Forscher unter anderem die Auswirkungen von extremen Stürmen auf Kulturgüter und betrachten dabei sowohl historische Gebäude als auch Gartenanlagen.
Eine Herausforderung, die sich wie ein roter Faden durch einen Großteil der Projekte zur Anpassung an den Klimawandel zieht: Die Technologien sind größtenteils vorhanden. »Die Schwierigkeit liegt vielmehr in der Umsetzung«, sagt Dr. Susanne Bieker vom Fraunhofer ISI. Oft käme das Argument, die Maßnahmen seien zu teuer. Diesen Einwand lässt Bieker jedoch nicht gelten: »Es gibt zahlreiche Fördermittel. So übernimmt die Zukunftsinitiative ›Wasser in der Stadt von morgen‹ teilweise bis zu 100 Prozent der Kosten. Auch bieten viele Städte ein ›Grüne-Dächer-Programm‹. Gewohnheit kombiniert mit Unwissen und Legendenbildung verhindern häufig, dass das Geld auf die Straße gebracht wird«, weiß Bieker. Eine solche Legende lautet: Photovoltaik und Gründächer lassen sich nicht kombinieren. Völliger Blödsinn, meint Bieker. Es stimme sogar das genaue Gegenteil: Die grünen Dächer kühlen die Photovoltaikelemente von unten und steigern ihre Leistung damit um vier bis fünf Prozent.
Ein wichtiger Hebel in puncto klimaresiliente Stadtplanung ist daher, den Entscheidungsträgern die Schwellenangst zu nehmen, mehr Wissen rund um die einzelnen Maßnahmen zu vermitteln und die Vielzahl an möglichen Maßnahmen zu entwirren. Dieses Ziel verfolgten Forscherinnen und Forscher vom Fraunhofer ISI in einer Machbarkeitsstudie in Bochum. Das Team ist dabei auf eine große Wohnungsbaugesellschaft zugegangen, der verschiedene Quartiere gehören. »Wenn wir verstehen, was dort genau gebraucht wird, haben wir ganz andere Möglichkeiten für einen Scale-up als über Privatleute«, sagt Bieker.
Im Mittelpunkt stand ein Quartier, das bereits mit etwa 50 Gebäuden bebaut ist, nun allerdings – wie viele Quartiere im Ruhrgebiet – nachverdichtet werden soll. Sprich: In großen Gärten oder in Baulücken sollen neue Häuser entstehen und bestehende Gebäude aufgestockt werden. Dabei fallen jedoch zum Teil Freiflächen weg, es gilt daher, den Wasserkreislauf im Blick zu behalten. In der Machbarkeitsstudie untersuchte das Forscherteam, unter welchen Rahmenbedingungen sich welche Maßnahmen im Zuge von Nachverdichtungsmaßnahmen anbieten.
Um den Partnern eine Möglichkeit zu geben, die damit einhergehenden Kosten besser einschätzen zu können, haben die Forscher durchgerechnet. »Unsere Beispielrechnung ergab: Alleine durch eine 200 Quadratmeter große Dachbegrünung lassen sich in Bochum 450 bis 500 Euro pro Jahr sparen«, sagt Bieker. »Dazu kommen nicht näher bezifferte Vorteile wie ein höherer Witterungsschutz für die Fassade und eine Kühlung für Umfeld und Innenräume.«
Was sich im Projekt herauskristallisierte: Es gibt große Synergien zwischen Wohnungswirtschaft und Kommunen, die Interessen sind in vielen Punkten deutlich ähnlicher als erwartet. So bot die Kommune an, überschüssiges Regenwasser aus dem Quartier einem verrohrten Bach zuzuleiten – der dann wiederum genügend Wasser führen sollte, um ihn freilegen zu können. »Es bringt also oft sehr viel, die Beteiligten an einen Tisch zu holen«, fasst Bieker zusammen.
Natürlich sind die Auswirkungen des Klimawandels nicht auf Europa begrenzt – ebenso wenig wie die Fraunhofer-Ansätze, dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen. Stark durch den Klimawandel betroffen sind beispielsweise die Städte Kochi in Indien und Saltillo in Mexiko. Im Projekt »Morgenstadt Global Smart Cities Initiative« ersinnen Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IAO, des Fraunhofer IGB, des Fraunhofer ISI und des Fraunhofer IBP daher konkrete Handlungsmöglichkeiten. Finanziert wird das Projekt von der Internationalen Klimaschutzinitiative IKI des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit BMU. »Wir nutzen unsere Erfahrung des Morgenstadt-Netzwerks mit 40 Partnern aus Wirtschaft, Forschung und Kommunen sowie die Morgenstadt-Tools«, sagt Dr. Markus Schwegler. Dazu gehören drei wesentliche Schritte: Im ersten werden die Zusammenhänge in der Stadt analysiert. Welche Probleme bestehen? Im zweiten Schritt sprechen die Forscher von Co-Creation – sie tüfteln gemeinsam mit allen Partnern und Assoziierten die ersten Projektideen aus und priorisieren die Ideen. Und im dritten Schritt steht die Umsetzung an.
Im 600 000 Einwohner großen Kochi, einem der wichtigsten Häfen an der Westküste Indiens, herrschen vor allem Wasserprobleme vor. »Während der letzten Monsune gab es jeweils heftige Überflutungen, die viele Todesopfer forderten und das öffentliche Leben lahmlegten, so musste etwa der Flughafen geschlossen werden«, erläutert Dr. Marius Mohr vom Fraunhofer IGB. Die restlichen Monate dagegen sind von Wassermangel geprägt. »Die Lösungen für beide Probleme greifen ineinander«, sagt Mohr. »Denn speichert man einen Teil des Wassers während des Monsuns, so steht dieses in Trockenzeiten zur Verfügung. « Dachgärten scheinen für Kochi eine gute Lösung zu sein. Um die Wassermassen abführen zu können, bieten sich außerdem offene Kanäle an, die zu Zeiten der Kolonialisierung angelegt wurden und heute mit Müll verstopft sind. »Wir wollen die Ansätze an einem kleinen Quartier durchexerzieren – und hoffen, dass die Stadt die Ideen aufgreift und auch in anderen Quartieren durchführt«, sagt Mohr. Schwenk nach Saltillo, Mexiko – dem zweiten City-Lab. Die wohlhabende Stadt ist von der Autoindustrie geprägt und, da in der Wüste von Coahuila gelegen, per se sehr trocken. Durch den Klimawandel jedoch wird die Wasserknappheit drastisch verstärkt, Wassereffizienz ist daher ins¬besondere bei der Industrie ein großes Thema. Welche Projekte konkret durchgeführt werden sollen, entscheiden die Forscher mit Partnern und Assoziierten gemeinsamen im Sommer 2021. »Oft hören Forschungsprojekte mit der Erar-beitung von Handlungsempfehlungen für den Auftraggeber auf. Ich finde es toll, dass wir im Kontext der City-Labs konkrete Lösungsansätze in Form von Pilotprojekten implementieren können«, begeistert sich Jose Antonio Ordonez, Wissenschaftler am Fraunhofer ISI und Projektleiter. »Wir können dann sehen, ob der Ansatz die gewünschten Erfolge bringt, seine Kinderkrankheiten ausmerzen und ihn anschließend replizieren oder hochskalieren.« Und so dem Klimawandel in den Städten weltweit Schritt für Schritt besser begegnen.