Vom Lab zum Launch
Es ist entscheidend, diese Motivation zu erkennen und zu fördern. Davon ist Prof. Thomas Bauernhansl überzeugt. Seit 2011 leitet er das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart. Sein Institut gehört europaweit zu den führenden Forschungseinrichtungen bei Ausgründungen – auch dank seines persönlichen Engagements. Der Forscher hat die strategische Verankerung von Ausgründungen am Fraunhofer IPA vorangetrieben und selbst während seiner Karriere rund 30 Spin-offs vom Lab zum Launch begleitet. Von der Initiative Unipreneurs wurde er 2023 als eine von 20 herausragenden Persönlichkeiten für sein Engagement bei Ausgründungen und Unternehmertum ausgezeichnet.
»Unser wichtigster Erfolgsfaktor – sowohl in der Forschung als auch im Technologietransfer und bei Gründungen – sind unsere Forschenden, ihre Kompetenz und Motivation«, sagt Bauernhansl. »Wir wollen dieses Potenzial nutzen und Gründungswilligen aktiv viele Wege der persönlichen Entwicklung ebnen.« Der Maschinenbauer macht das konkret: »Wir müssen die Perspektive der möglichen Anwender und der Kapitalgeber in der Industrie bereits bei der Konzeption unserer Forschung mitdenken. Wir müssen uns auch in der Forschung unternehmerische Fragen stellen: Welche realen Probleme können wir mit unserer Technologie im Wettbewerb für welche Zielgruppen lösen? Sind unsere Forschungsergebnisse industriell skalierbar? Erfüllen wir die harten Anforderungen von Investoren? Wenn man für eine Technologie Antworten auf diese Fragen findet, sind Ausgründungen oder Industriepartnerschaften logische nächste Schritte.«
Das Land braucht also nicht nur Ideen, sondern vor allem Entrepreneure, die sie fördern und umsetzen. Doch das wiederum gelingt nur in einem funktionierenden Transfersystem. Heute werden Innovationen vor allem aus kleinen Start-ups heraus getrieben. Im Idealfall liefert der Wissenschaftsbetrieb frische Erkenntnisse und Ideen dazu. Etablierte Unternehmen unterstützen mit Infrastrukturen, Erfahrungen, Aufträgen und Investment. Die Politik schafft motivierende Rahmenbedingungen und sorgt für die nötige Anschubförderung. Durch diese wechselseitige Austauschbeziehung von Forschung, Wirtschaft und Politik werden Innovationen zu Erfolgsgeschichten. So weit die Theorie.
Vom Gap zur Chance
Ein Blick in die Praxis zeigt: Als Gründungsstandort erhält Deutschland – laut Unternehmensgründungsbericht der Deutschen Industrie- und Handelskammer DIHK von August 2024 – eher schlechte Noten. Hemmnisse für das unternehmerische Engagement sind neben einer mauen Konsumnachfrage hierzulande eine hohe Regelungsdichte, strukturelle Mängel, ein unsicheres Umfeld, hohe Kosten und Fachkräftemangel. Zudem stellt die mangelnde Zusammenarbeit zwischen etablierten Industrien, kleinen und mittelständischen Unternehmen und innovativen Start-ups ein Hindernis dar.
Vor allem im vielversprechenden Deep-Tech-Sektor hinkt Europa in puncto Unternehmertum, Wachstumsinvestitionen pro Kopf und IPO-Wert (Initial Public Offering) den USA hinterher. Unter Deep Tech versteht man Zukunftstechnologien mit dem Potenzial, ganze Geschäftsmodelle oder Branchen zu verändern. Dazu gehören KI und Quantentechnologien genauso wie Biotechnologie, Robotik oder neue Materialien. Flossen 2022 in den USA 51 Milliarden US-Dollar in diese Bereiche, wurden in Europa nur 19,7 Milliarden US-Dollar investiert.
Hoffnung macht eine aktuelle McKinsey-Studie. »European Deep Tech: Opportunities and Discoveries« zeigt: Der europäische Deep-Tech-Sektor wird relevanter und attraktiver. Seit 2019 hat sich der europäische Anteil an globalen Investitionen in dieses Segment von 10 auf 19 Prozent im Jahr 2023 fast verdoppelt. Knapp die Hälfte (44 Prozent) aller Tech-Investitionen in Europa flossen in Deep Tech – ein Anstieg um 18 Prozentpunkte in vier Jahren. »Deep Tech bietet Europa eine einmalige Chance, die etwas verblasste Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit auf globaler Ebene wieder zu stärken«, fassen die McKinsey-Analysten zusammen und betonen: »Dafür braucht es die gezielte Zusammenarbeit aller Akteure: Universitäten, Forschungseinrichtungen, Politik und Unternehmen. Nicht zuletzt Deutschland muss mit seiner langen Ingenieurstradition und herausragenden Forschungseinrichtungen einen entscheidenden Beitrag leisten.«
Fraunhofer: Ein Modell für Tech-Transfer
Eine Organisation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, mit der Mission zur Anwendungsorientierung, ist bestrebt, ebendiesen Beitrag zu leisten. Wie wichtig Tech-Transfer für Fraunhofer ist, betont Fraunhofer-Präsident Prof. Holger Hanselka: »Der Auftrag von Fraunhofer und unsere Daseinsberechtigung ist der nachhaltige Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Wirtschaft. Die Schwerpunkte liegen dabei auf drei Säulen: Vertragsforschung für die Wirtschaft bildet unser Kerngeschäft und ist unser Alleinstellungsmerkmal unter allen Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland. Unser Lizenzierungsgeschäft schließt erstklassige Patentfamilien ein. Und unsere innovativen Ausgründungen basieren vor allem auf Deep Tech und werthaltigem Intellectual Property.«
Die Nähe zur Wirtschaft ist also die große Stärke von Fraunhofer: Die enge Zusammenarbeit mit Unternehmen bei Herausforderungen, die diese allein nicht lösen können, ist der wichtigste Transferpfad. So arbeitet jedes der 76 Fraunhofer-Institute als unternehmerisch agierende Einheit, die ihren Haushalt zu zwei Dritteln selbst bei Wirtschaft und öffentlichen Auftraggebern einwirbt. Die Firmen wiederum profitieren durch gemeinsame Projekte, Kooperationen oder Beauftragungen vom Know-how der Forschenden. Weiterer Wissenstransfer findet durch Lizenzierungen von Technologien und Patenten statt. Fast 3000 aktive Lizenzverträge hält Fraunhofer derzeit. Eines der populärsten Beispiele sind Audio- oder Video-Codecs, die von Fraunhofer-Instituten in Berlin und Erlangen entwickelt wurden und täglich von Millionen Menschen genutzt werden.
Der dritte und mit rund 24 Jahren jüngste Weg, Forschungsergebnisse in die Anwendung zu bringen, sind Spin-offs aus Instituten oder bestehende Start-ups, die mit Fraunhofer-Technologie wettbewerbsstärker werden. »Dabei ist es uns ein großes Anliegen, im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten gründungsfreundliche Konditionen beim Transfer von geistigem Eigentum zu bieten«, betont Hanselka. Rund 500 Technologie-Ausgründungen wurden seit 2000 erfolgreich auf den Weg gebracht. Damit ist Fraunhofer führend unter den außeruniversitären Forschungsorganisationen. Welcher Transferpfad für eine Technologie optimal ist, darüber entscheidet letztlich das Potenzial zur industriellen Skalierung.
Ausgründungen: Motor für den Mittelstand von morgen
Technologie allein garantiert noch keinen Erfolg. Viele innovative Technologien scheitern, weil sie nicht marktorientiert entwickelt wurden. Entscheidend ist die erfolgreiche Umsetzung. Um Gründungswillige umfassend von der Idee bis zur Ausgründung zu unterstützen, gibt es bei Fraunhofer aufeinander abgestimmte Transfer-Programme und gründungsfreundliche Lizenzkonditionen. Intensiv unterstützt und gefördert durch die Aktivitäten von Fraunhofer Venture werden sowohl Spin-offs aus den Fraunhofer-Instituten als auch Kooperationen mit externen Start-ups. So bringt das Tech-Tandemprogramm »CoLab« Deep-Tech-Entrepreneure und gegründete Start-ups mit Fraunhofer-Forschenden zusammen. Um in der Fraunhofer-Welt die passende Technologie für die Produktvisionen von Gründern zu finden, wird die Fraunhofer-intern entwickelte Plattform »Match« genutzt. Die Start-up-Fraunhofer-Tandems erhalten Zugang zu den nötigen Strukturen, Know-how und einem umfassenden Netzwerk, um die neuen Ideen und Technologien in den Markt zu überführen.
Finanzielle und methodische Unterstützung für eigene Fraunhofer-Spin-off-Projekte bietet das Programm AHEAD: Durch methodisch-inhaltliche Unterstützung wird der Weg zur Gründung beschleunigt und ein finanzieller Freiraum geschaffen. Das dreistufige Transferförderprogramm ist aufgebaut und funktioniert wie ein Business Incubator. Es zielt darauf ab, Geschäftsmodelle zu validieren sowie Teams und Fraunhofer-Technologie in maximal 24 Monaten für die Gründung und Kommerzialisierung vorzubereiten. Mit zielführenden Workshops, Coachings, internem Projektbudget mit bis zu 150 000 Euro und einem großen Partner-Ökosystem aus Investoren und Industrie können Geschäftsideen reifen und werden potenzielle Unternehmerinnen und Unternehmer fit gemacht für die Gründung und den Markteinstieg. Mit Erfolg: Drei Jahre nach Gründung sind noch 96 Prozent der Fraunhofer-Start-ups aktiv am Markt.
Damit die Entwicklung neuer Geschäftsideen und Unternehmensgründungen den bestmöglichen Support erhält, arbeiten Fraunhofer Venture und das Team des AHEAD-Programms mit einer in Deep Tech erfahrenen Community aus Business Angels, Investoren, Business Schools und den Venture-Bereichen anderer außeruniversitärer Forschungseinrichtungen zusammen.
Neben der Gründungsförderung und -begleitung ist – wenn vom Gründerteam gewünscht – auch eine Beteiligung von Fraunhofer möglich. Hier hat Fraunhofer ein umfassendes Netzwerk zu Frühphaseninvestoren, die enge Kooperation mit und Beteiligung am High-Tech Gründerfonds (HTGF) als führendem deutschen Seed-Investor, geschaffen – und damit Möglichkeiten für die Fraunhofer-Gesellschaft, sich an ausgewählten Ausgründungen zu beteiligen und als Co-Investor zu agieren (derzeit über 50 Technologie-Beteiligungen im Portfolio). Ein bewährtes Vehikel ist der 2019 initiierte Fraunhofer Technologie-Transfer Fonds (FTTF), den Fraunhofer gemeinsam mit dem Europäischen Investitionsfonds mit einem Volumen von 60 Millionen Euro ins Leben gerufen hatte, um in Spin-offs auf Basis von Fraunhofer-Technologien zu investieren. Die Investitionsphase des Fonds endete im Jahr 2023, derzeit wird an Weiterentwicklungen gearbeitet. Insgesamt hält Fraunhofer die positiven Folgekonzepte des deutschen Wagniskapitalmarktes für Deep-Tech-Start-ups im Blick und begrüßt die Initiativen der Bundesregierung hierfür (Zukunftsfonds).
Langfristige Verbundenheit als Erfolgsfaktor
Doch ist es für Fraunhofer-Institute überhaupt erstrebenswert, ihre besten Köpfe an Start-ups abzugeben? Ausgründen mit Fraunhofer ist durch den Zugang zu Infrastrukturen, Expertise und Netzwerken nicht nur für die Gründerteams ein Gewinn, sondern auch für die Institute selbst. Davon ist Prof. Bauernhansl vom Fraunhofer IPA überzeugt: »Ausgegründete Start-ups bleiben in vielfältiger Weise mit dem Institut verbunden, beispielsweise über Forschungsaufträge, Lizenzbeziehungen oder Kooperationen. Mit Ausgründungen bieten wir den Karriereschritt ins Unternehmertum innerhalb unseres eigenen Ökosystems an.« Und einige Gründerinnen und Gründer kehren nach erfolgreichem Exit auch gerne wieder an das Institut zurück oder gründen nach einiger Zeit in der Forschung erneut aus. »Dabei profitieren wir mehrfach: Wir verwerten, veredeln und skalieren Technologie, die für unser Institut kein weiteres Forschungspotenzial bietet, und sorgen so für Rendite und Rückflüsse durch unsere Forschungsergebnisse«, so der Experte. »Gleichzeitig holen wir uns unternehmerisch denkende Persönlichkeiten als Role Models für unsere Forschenden und Intrapreneure wieder ans Institut.«
Wie solche Role Models mit ihrer Arbeit etwas bewegen, was sie motiviert, sich ins Abenteuer Gründung zu stürzen, und was sie gemeinsam mit Fraunhofer für die Zukunft unserer Wirtschaft und Gesellschaft tun wollen, zeigen wir in fünf Beispielen.