Innovative Inhalationstherapie für Frühchen

Durchatmen

Dr. Felix Wiegandt sitzt in einem Labor erhöht auf einem Tisch, vor ihm 2 aufblasbare Luftballons O2 für Sauerstoff, daneben steht ein Frühchen-Brutkasten, darin ein täuschend echtes Neugeborenes aus Kunststoff.
© Patrick Runte
Sauerstoff ist Leben: Dr. Felix Wiegandt möchte Frühchen den Start ins Leben erleichtern.

Dr. Felix Wiegandt will mit einer innovativen Inhalationstherapie die Überlebenschancen von Frühchen erhöhen.

               

Lena ist winzig. Ihre Hände passen auf den Daumennagel eines Erwachsenen, das kahle Köpfchen ist kaum größer als eine Orange, die Ärmchen hängen schlaff an ihrem Körper. Die Kleine trägt Windeln, hat einen Schnuller im Mund und macht keinen Mucks . Dennoch nimmt Biomedizintechniker Dr. Felix Wiegandt Lena meist in seiner Tasche mit auf Messen, zu Vorträgen und Treffen mit Investoren. Weil das täuschend echte Baby aus Kunststoff die Fragilität von Frühchen so gut verdeutlicht. Und weil sich Wiegandts Innovation mithilfe von Lena am besten veranschaulichen lässt.

Der 35-jährige Forscher aus Hannover hat im Rahmen seiner Promotion eine Technologie entwickelt, die Frühchen den Start ins Leben erleichtern soll. »Weltweit kommen jedes Jahr knapp 15 Millionen Kinder zu früh zur Welt, in Deutschland sind es etwa 60.000«, sagt er. Global sterben 43 Prozent der Kinder, die vor der 23. Schwangerschaftswoche geboren werden. Eine Hauptursache dafür ist ihr unreifes Atemsystem. »Der Gasaustausch in der Lunge ist bei vielen Frühchen nicht gewährleistet, ihre Lungenbläschen kollabieren beim Ausatmen regelrecht«, erklärt Wiegandt. In der Folge kommt es zu Atemnot, Entzündungen und Narben im Gewebe, die bis ins Erwachsenenalter Probleme verursachen können. »Legen Sie sich mal fest eine Hand auf Mund und Nase und holen Sie durch den Widerstand Luft«, sagt Wiegandt. »So ähnlich fühlt sich das Atmen für viele Frühchen an.«

Bronchopulmonale Dysplasie (BPD) nennen Mediziner dieses Phänomen – und je nach Ausprägung und Alter des Kindes kann es akut lebensbedrohlich sein oder lebenslange Folgen haben. Intravenös verabreichtes Kortison hilft hier, kann in den kleinen Körpern aber innere Blutungen, Bluthochdruck oder Wachstumsstörungen auslösen. »Die möglichen Nebenwirkungen sind derart extrem, dass man eine solche systemische Kortisontherapie nicht präventiv durchführt«, erklärt Wiegandt. »Wir haben aber eine Methode entwickelt, Kortison sehr viel schonender und gezielter zu verabreichen.«

Mehr Wirkstoff für zarte Babylungen

Denn Kortison lässt sich nicht nur intravenös geben, sondern auch durch Inhalation direkt in die Lunge. Die Nebenwirkungen sind in diesem Fall sehr viel geringer, weil das Kortison nur lokal wirkt. Bei den aktuellen Standard-Verfahren bekommen die Frühchen zur Atemunterstützung Atemgas mit leichtem Überdruck zugeführt. Sechs Liter davon zirkulieren durch den winzigen Kreislauf. Mischt man Kortison hinein, verdünnt sich das Medikament allerdings stark, »bis zu 96 Prozent davon gehen verloren, es kommt also viel zu wenig in der Lunge an.« Die mittlerweile patentierte Technologie Inhale+ funktioniert anders: »Wir zweigen einen kleinen Teil des Atemgases aus dem Kreislauf ab, reichern ihn mit dem Medikament an und schleusen ihn direkt zur Nase des Babys«, erklärt er. Damit erreichen satte 320 Prozent mehr Wirkstoff die Lunge.

Für die Neonatologie könnte das ein Durchbruch sein. »Unsere Technologie ermöglicht eine sehr frühe, schonende und präventive Behandlung von Atemwegserkrankungen und kann so dabei helfen, Lungen- sowie Langzeitschäden zu verhindern und die Sterblichkeitsrate von Frühgeborenen zu senken.« Aktuell tüfteln Wiegandt und sein dreiköpfiges Team an weiteren Verbesserungen des Verfahrens, etwa durch eine atemsynchrone Wirkstofffreisetzung. Alle Teile sollen noch kleiner und kompakter werden. Und: Die Anwendung soll so einfach wie möglich werden, damit sich die Technologie in der Praxis durchsetzen kann. Langfristig gibt es die Strategie, die Methode auch für Erwachsene zu nutzen – etwa für Menschen mit COPD oder Asthma.

Ursprünglich wollte Wiegandt Patentanwalt werden. Seine Promotion am Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM und die Entwicklung der Technologie Inhale+ brachten ihn auf einen anderen Weg: 2025 soll die Ausgründung mit der Inhale+ GmbH erfolgen, danach ist eine Proof-of-Concept-Studie geplant, bevor ab 2026 klinische Studien folgen, die für die Zulassung eines Medizintechnikprodukts Voraussetzung sind. Für 2029 ist der Markteintritt geplant.

»Dieses Start-up-Leben momentan fühlt sich ziemlich verrückt an«, bekennt Wiegandt. Aber er fühlt sich gut vorbereitet, auch dank des AHEAD-Programms von Fraunhofer. Wie entwirft man einen Business-Case? Was macht eine gute Marktanalyse aus? Welche Summen braucht es bis zum Markteintritt? »All das war für mich Neuland«, sagt Wiegandt. »Aber jetzt will ich eigentlich nichts anders mehr machen. Ich habe die Chance, die Welt ein bisschen besser zu machen. Und ich bin fest entschlossen, sie zu nutzen.«