Sie selbst haben ja vor Ihrer Politik-Karriere als Geschäftsführerin ein Forschungsinstitut geleitet. Was haben Sie davon mitgenommen für Ihre neue Aufgabe?
Ich habe in dieser Zeit einen tiefen Einblick in den Alltag von Forscherinnen und Forschern und großen Respekt vor ihrer Arbeit bekommen. Ihre Neugierde begeistert mich bis heute jeden Tag. Ich habe mir vorgenommen, auch so zu neugierig zu bleiben. Als Ökonomin war es für mich natürlich naheliegend, in der finanzwissenschaftlichen Forschung tätig zu sein, in der ich mich zu Hause fühle. Zudem habe ich dadurch selbst erlebt, welche Herausforderung es ist, Forschung überhaupt erst möglich zu machen, zum Erfolg zu führen und nachhaltig zu finanzieren. Das hilft mir nun als Bundesforschungsministerin. Dazu ein Beispiel: Mir ist wichtig, dass die Balance zwischen Grundfinanzierung und Projektförderung ausgewogen ist. Die Grundfinanzierung darf nicht zugunsten der Projektmittel abgeschmolzen werden.
Wir gehen gerade von einem Krisenjahr 2021 in ein Jahr 2022, das wieder in der Krise beginnt. Was erwarten Sie sich von der Forschung, um Deutschland resilienter zu machen?
Die Wissenschaft leistet hier bereits Hervorragendes, von der Gesundheits-, über die Arbeits- bis zur Klimaforschung. Zunächst einmal ist es jedoch Aufgabe der Politik, unsere Gesellschaft widerstandsfähiger zu machen – im umfassenden Sinne. Resilienz bedeutet nicht nur, eine konkrete pandemische Lage oder ein einzelnes Extremwettereignis schnell und gut zu meistern. Sondern Deutschland muss in Gänze resilienter werden. Das gilt mit Blick auf die Energie- und Rohstoffversorgung, und natürlich auch mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit im Allgemeinen. Nur so sichern wir auch langfristig unsere Zukunftsfähigkeit und Chancen. Die neue Bundesregierung will deshalb die Souveränität Deutschlands und Europas in dieser Frage weiter erhöhen. Denn wir wollen diese und künftige Krisen rasch und verantwortungsbewusst überwinden. Forschung kann uns dabei helfen, indem sie möglichst frühzeitig Risiken identifiziert und mögliche Lösungen vorausdenkt und erprobt. Meine Erwartung ist, dass auch künftig Forschung die Grundlage dafür legen wird, dass wir evidenzbasiert politisch entscheiden können, auch unter hohem zeitlichem Druck in aktuellen Notlagen. Mir ist es daher sehr wichtig, Forschungsförderung so auszurichten, dass zukunftsträchtige Innovationen möglich werden, ausgehend von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung bis zur experimentellen Entwicklung. Eine wichtige Voraussetzung für diese Innovationskraft ist dabei Technologieoffenheit. In der Pandemie waren wir auch deswegen in der Lage, eine schnelle wissenschaftliche Antwort zu finden, weil auf relevante Grundlagenforschung zurückgegriffen werden konnte. Deshalb wollen wir die freie, von wissenschaftlicher Neugier getriebene Grundlagenforschung weiterhin so umfassend unterstützen.
Mein Anspruch ist: Weltspitze bis hin zum Nobelpreis-Niveau. Eine zentrale Rolle wird grünen Zukunftstechnologien für klimaneutrale Energieträger und ressourceneffizientes Wirtschaften zukommen. Ich erwarte, dass wir hier in den nächsten Jahren wissenschaftliche Durchbrüche erzielen, die Deutschland zum globalen Technologievorreiter für die Themen Klima, Energie und Kreislaufwirtschaft machen.
Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen guten Draht zum Finanzminister – zum ersten Mal seit 1965 stellt die FDP diese beiden Ministerien. Wofür braucht die Forschung mehr finanziellen Rückenwind?
Angesichts der Herausforderungen, vor denen unser Land steht, wie Digitalisierung, Demografie und Klimawandel, sollte der finanzielle Rückenwind schon deutlich spürbar sein. Wir brauchen ihn für mehr Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und klimaneutralen Wohlstand. Deshalb haben wir das 3,5-Prozent-Ziel im Koalitionsvertrag verankert. Ich möchte, dass dieser Rückenwind genutzt wird, um den wissenschaftlichen Fortschritt zu erzielen, den wir dringend brauchen.
Auch damit schaffen wir Chancen. Handlungsbedarf sehe ich insbesondere beim Erreichen unserer Klima- und Nachhaltigkeitsziele. Zudem wird der internationale Wettbewerb auch in Schlüsseltechnologien wie der Künstlichen Intelligenz oder den Quantentechnologien weiter zunehmen. Deutschland muss und will in dieser sich ändernden globalen Lage ein starker Akteur sein und seine technologische Souveränität im europäischen Verbund weiter ausbauen. Die weltweite Sichtbarkeit, die Deutschland durch die Entwicklung des ersten mRNA-Impfstoffs erlangt hat, wollen wir nutzen, um zum international führenden Biotechnologie-Standort zu werden. Den Rückenwind für die Forschung erzeugen wir aber nicht allein durch zusätzliches Geld. Durch eine regelmäßige und umfassende Wirkungsprüfung werden wir außerdem die Effektivität und Effizienz von staatlichen Maßnahmen generell bewerten und uns neue Spielräume erarbeiten.
Für die FDP – und auch für Fraunhofer – stehen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum nicht im Widerspruch. Energiewende, Verkehrswende, Kreislaufwirtschaft sind in diesem Fraunhofer-Magazin wieder die großen Themen unserer Forschungsgesellschaft. Was werden Sie tun, um Forschungsergebnisse noch schneller in die Anwendung und in die Wirtschaft zu bringen?
Deutschland ist in einer guten Startposition. Wir müssen aber die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und den Transfer deutlich verbessern. Dabei ist für mich Transfer keine Einbahnstraße von der akademischen Forschung in die Wirtschaft, sondern ein Kreislauf. Das bedeutet, dass diejenigen, die Forschungsergebnisse am Ende anwenden oder Prototypen weiterentwickeln, von Anfang an in den Forschungsprozess eingebunden werden. Dies können Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft, aber auch professionelle Anwender wie Ärztinnen und Ärzte oder die Bürgerinnen und Bürger als Nutzer sein.
Ein Schwerpunkt wird die Gründung und der Aufbau der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI), die soziale und technologische Innovationen insbesondere an den HAW sowie den kleinen und mittleren Universitäten in Zusammenarbeit unter anderem mit Start-ups, kleinen und mittleren Unternehmen sowie sozialen und öffentlichen Organisationen fördert. Weiterhin werden wir Innovationsregionen nach britischem Vorbild schaffen und dafür Handlungsspielräume des nationalen wie europäischen Rechts nutzen und ausweiten. Ich setze hierbei auf eine missionsorientierte Forschungspolitik, die frühzeitig alle Beteiligten und insbesondere die späteren Anwender einbindet. Die Chancen der Digitalisierung werden wir nutzen und Datenpotenziale gezielt heben. Die Innovationsförderung des Bundes soll für gesellschaftliche, soziale und ökologische Innovationsvorhaben konsequent geöffnet werden.