Interview mit Manuela Schwesig

Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern

»Die Forschung hat schon Großartiges geleistet«

Erneuerbare Energien sieht Manuela Schwesig als Standortvorteil für die Wirtschaft.

Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, am Strand in Kühlungsborn an der Ostsee.
© Gabo/Bild-Zeitung
Cool in Kühlungsborn (Ostsee): Als triumphale Siegerin ging Manuela Schwesig, 47, in ihre zweite Amtszeit als Ministerpräsidentin – mit dem zweitbesten Wahlergebnis der SPD-Geschichte in Mecklenburg-Vorpommern.

Und ewig grüßt das Virus: Von Corona- Welle eins zu Corona-Welle vier, von Lockdown zu Bundesnotbremse – alles scheint sich zu wiederholen. Frau Schwesig, ist Deutschland eigentlich lernfähig?

Manuela Schwesig: Wir haben es nach wie vor mit einem gefährlichen Virus zu tun. Und deshalb müssen wir leider auch in diesem Winter besondere Corona-Schutzmaßnahmen ergreifen. Sicher hätte manches in den letzten Monaten besser laufen sollen. Zum Beispiel hätten die Auffrischungsimpfungen früher an Fahrt aufnehmen müssen. Denn der Weg aus der Pandemie führt nach meiner Überzeugung nur über das Impfen. Ich glaube aber nicht, dass wir aus den vergangenen Wellen etwas hätten lernen können, was uns jetzt völlig corona- und sorgenfrei durch diesen Winter gebracht hätte. 

 

Zu Jahresbeginn hatten wir zu wenig Impfstoff, gegen Ende des Jahres 2021 zu wenig Impfbereitschaft. Warum fällt es offensichtlich vielen Menschen so schwer, der Forschung zu vertrauen?

Die große Mehrheit der Menschen hat alles ge­tan, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Sie hat die Corona-Regeln eingehalten und sich impfen lassen, sobald das möglich war. Ich habe offen gestanden wenig Verständnis für diejenigen, die sich impfen lassen können, es bisher aber nicht getan haben. Denn die Fakten sprechen eine klare Sprache. Es gibt deutlich mehr Corona-Infektionen bei den Ungeimpften. Und auch die Gefahr eines schweren Verlaufs ist deutlich größer. Warum diese Fakten von einigen ignoriert werden, ist schwer zu erklären. Was gar nicht geht, sind die verbalen Angriffe auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft­ler, die uns seit fast zwei Jahren nach bestem Wissen und Gewissen beraten.

Was wünschen Sie sich von der Forschung?

Ich finde, dass die Forschung mit Blick auf Corona schon Großartiges geleistet hat. Die Ent­wicklung wirksamer und sicherer Impfstoffe in weniger als einem Jahr ist eine große Leistung und unsere stärkste Waffe gegen die Corona- Pandemie. Ein weiteres wichtiges Feld ist die Entwicklung von Medikamenten, die gegen Corona helfen.

»Mich hat der Krebs erwischt – entge­gen jeder Statistik«, haben Sie einmal gesagt und damit an die Impfbereitschaft gerade der Jüngeren appelliert. Hat die Krankheit Sie selbst verändert?

Ja, das hat sie. Ich bin demütiger geworden und dankbarer. Ich weiß jetzt noch mehr, wie wichtig Familie und Freunde sind. Ich bin heute noch gerührt von den vielen Genesungswünschen, die ich aus der Bevölkerung bekommen habe. Gesundheit ist unser höchstes Gut. Ich wiederhole meinen Appell gern: Lassen Sie sich impfen. Über­nehmen Sie Verantwortung für sich und andere!

Lässt sich von der Erkrankung des eige­nen Körpers etwas lernen über den Umgang eines Staatswesens mit Krankheit?

Ich kann natürlich nur für mich sprechen: Ich habe alle nur mögliche Unterstützung bekom­men, sowohl im Krankenhaus als auch in der Reha. Und dafür bin ich sehr dankbar. Natürlich weiß ich, dass unser Gesundheitswesen gut, dennoch verbesserungswürdig ist. Jeder Mensch hat das Recht auf fachgerechte Behandlung und gute Betreuung. Dafür wollen wir uns weiterhin engagieren.

»Wir an der Basis«: So haben Sie neu­lich in einer Talkshow von sich und den anderen Ministerpräsidenten gesprochen. Woran sehen Sie, dass der Blick des Landespolitikers sich von dem Berliner Blick unterscheidet?

Wir mussten in den letzten Monaten oft den Eindruck haben, dass Bundespolitik zu weit entfernt von der Lebenswirklichkeit der Men­schen ist. Ich bin optimistisch, dass sich das jetzt ändert. Egal, wohin ich komme: Die Men­schen sprechen mich an, erzählen von ihren kleinen und großen Sorgen. In unserem Bür­gerreferat treffen viele Briefe und Mails ein, in denen die Menschen ihre Probleme schildern, Forderungen gestellt werden. Das alles sind gro­ße Herausforderungen.

Frau Schwesig, aus Ihnen hätte eine Schauspielerin werden können. 1989 hatten Sie sich um die Hauptrolle im Spielfilm »Verbotene Liebe« beworben. Es wurde die Nebenrolle. Hat das Ihren Ehrgeiz verletzt?

Nein. Mir hat das damals großen Spaß gemacht. Julia Brendler, die die Hauptrolle gespielt hat, ist heute eine erfolgreiche Schauspielerin.

Jetzt haben Sie als Ministerpräsidentin im 1,8-Millionen-Einwohner-Land Mecklen­burg-Vorpommern eine Nebenrolle auf der politischen Bühne. Wird’s nicht Zeit für die Bundespolitik? Immerhin bestaunt die Wochen-zeitung »Die Zeit« das Schwesig-Phänomen, Sie seien »vom Bund ins Land gegangen – und größer geworden«. Und sogar die FAZ, eher unverdächtig, der SPD ungebührlich nahe zu stehen, feiert Ihren Wahlerfolg: »Ein Sieg, der für Höheres qualifiziert«.

Ich bin sehr gerne Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und freue mich, dass ich das nach der Landtagswahl weiter blei­ben darf. Und die von Ihnen erwähnten Artikel zeigen, dass Ministerpräsidentin keine Neben­rolle ist. Ich kann jederzeit über den Bundesrat die Interessen unseres Landes einbringen. Und das werde ich auch weiter mit Nachdruck tun.

Lassen Sie uns dennoch über Bundes­politik sprechen. Werfen wir gemeinsam einen Blick in den Koalitionsvertrag. Bis 2030 sollen 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Ihr Bundesland hat viel Platz und viel Wind, doch wenig Windenergie. Wie wollen Sie in Mecklenburg-Vorpommern die Windräder in Schwung bringen?

Mecklenburg-Vorpommern ist einer der Vor­reiter der erneuerbaren Energien in Deutsch­land. Wir erzeugen fast doppelt so viel Energie, als wir verbrauchen. Und die neue Landesre­gierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass wir bis 2035 unseren gesamten Energiebedarf aus den Erneuerbaren decken wollen. Dazu müssen wir die erneuerbaren Energien weiter ausbauen. Wir setzen dabei vor allem auf die Windkraft auf See. Ich sehe darin zwei große Chancen im Ausbau der erneuerbaren Energien, verbunden mit dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Wir können so einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Und das eröffnet uns auch neue wirt­schaftliche Chancen. Die Wirtschaft in Deutsch­land muss klimafreundlicher werden. Und da werden die Standorte im Vorteil sein, die Strom aus erneuerbaren Energien und moderne Spei­chertechnologien anbieten können.

Ihr Land wird zu einem Viertel von Menschen über 65 bewohnt. Ist da Digitalisierung eher Last oder Lösung?

Ich bin ganz klar der Meinung: Schnelles Inter­net gehört an jede Milchkanne. Wir brauchen das schnelle Internet in der Fläche: für Unter­nehmen, Kreativwirtschaftler, aber auch für Familien und für unsere älteren Mitmenschen. Die Medienkompetenz von Seniorinnen und Senioren in Mecklenburg-Vorpommern zu för­dern, da sind ihre Interessenvertretungen und die Landesregierung sehr engagiert. Da sollte man die ältere Generation nicht unterschätzen. Hier möchte ich auf das Bundesprojekt Smarte.Land.Regionen. verweisen, bei dem Bürgerin­nen und Bürger aus ausgewählten Landkreisen – dazu gehört auch der Landkreis Vorpom­mern-Greifswald – aufgerufen sind, ihre Ideen vorzutragen. Es gibt viele zukunftsrelevante Themenfelder, wo durch den Ausbau neuer digi­taler Dienste die Lebensqualität im ländlichen Raum verbessert werden kann.

Wie kann die Wissenschaft helfen, Digitalisierung in Ihrem Flächenland voranzubringen?

Insgesamt finde ich es großartig, wie sich die Fraunhofer-Gesellschaft in unserem schönen Bundesland für die Digitalisierung engagiert. Das Fraunhofer-Institut für Graphische Daten­verarbeitung in Rostock unterstützt Firmen durch seine Forschungs- und Entwicklungs­arbeit vor allem zu Softwarelösungen für die maritime Wirtschaft, im Bereich Maschinen- und Anlagenbau oder Informations- und Kom­munikationstechnologie. Es gehört auch zur in­terdisziplinären Forschungsgruppe der Fraun­hofer-Gesellschaft »Smart Ocean Technologies«, die am Standort Rostock zukunftsweisende Meerestechnik und neue Lösungen für eine ver­träglichere Nutzung der Meere entwickelt. Sehr spannend finde ich das geplante »Digital Ocean Lab«, ein Unterwasser-Testfeld in Küstennähe, in dem Materialien, Module und komplette Un­terwassersysteme in einem realen Umfeld getes­tet, bewertet und optimiert werden sollen. Aber auch für die Landwirtschaft der Zukunft wird in Rostock geforscht. Das Fraunhofer-Zentrum für Biogene Wertschöpfung und Smart Farming entwickelt für landwirtschaftliche Betriebe in­novative Technologien und Methoden.

Die Leere Mecklenburg-Vorpommerns wird oft als Mangel beklagt. Freuen wir uns doch einen Moment darüber: Was ist Ihr Lieblingsplatz, wenn Sie sich in der kalten Jahreszeit ein wenig zurückziehen wollen?

Ich habe viele Lieblingsplätze. Gemeinsam mit meiner Familie bin ich gern in Schwerin unter­wegs. Wann immer ich Zeit habe, geht’s eine Runde um den Pfaffenteich. Und ich liebe die kleine Insel Hiddensee.