Heute bestellt, morgen geliefert. An solche Bequemlichkeiten hat sich die moderne Konsumgesellschaft längst gewöhnt. Doch dieser Komfort hängt von zahlreichen Faktoren ab, nicht zuletzt von stabilen Lieferketten. Sind diese beeinträchtigt, zieht das in der arbeitsteiligen und hochgradig vernetzten Welt von heute weitreichende Folgen nach sich. Die Logistik ist damit das Rückgrat und ein »Enabler« der Gesellschaft und rückt nicht zuletzt aufgrund von Lieferengpässen in den zurückliegenden Monaten immer mehr in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Gleichzeitig gewinnt diese Branche an gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedeutung.
Passend zum Thema »Zukunft der Logistik« fand der 5. Fraunhofer-Alumni-Summit am 5. November am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund statt. Zum ersten Mal richtete der Fraunhofer-Alumni e.V. den Summit als hybriden Event aus. Sprecherinnen und Sprecher waren vor Ort, die Zuschauerinnen und Zuschauer konnten aufgrund der aktuellen pandemischen Lage das Event digital per Stream verfolgen.
Der Dortmunder Standort wurde 1981 unter dem Namen Fraunhofer-Institut für Transporttechnik und Warendistribution ITW gegründet. Heute arbeiten und forschen dort mehr als 330 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie 250 Doktorandinnen und Doktoranden und Studierende, die von weiteren Kolleginnen und Kollegen in Werkstätten, Labors und Servicebereichen unterstützt werden. Die Entwicklungen des IML reichen von der elektronischen Palette über Sensorik und neuen Antriebstechnologien, über Themen wie Schwarmrobotik, Künstliche Intelligenz, Bilderkennung, Blockchain bis hin zu Standardisierungsfragen und Open Source. Zahlreiche Entwicklungen des Dortmunder Institutes sind inzwischen auf dem Markt und werden produktiv eingesetzt.
»Für die Fraunhofer-Gesellschaft ist Logistik als Querschnittswissenschaft von großer Bedeutung«, erklärt Prof. Alexander Kurz, Vorstand der Fraunhofer-Gesellschaft und Vorstandsvorsitzender des Fraunhofer-Alumni e.V. »Das Fraunhofer IML passt damit als eines der weltweit führenden Logistik-Institute mit Themen wie Künstliche Intelligenz, Deep Learning Blockchain oder auch mit material- oder produktionswissenschaftlichen Bereichen perfekt in den 'Kompetenz Mix' der Fraunhofer-Gesellschaft«, so Prof. Kurz weiter.
»100 Prozent Logistik«
»100 Prozent Logistik« lautet der Anspruch des Fraunhofer IML, wie Prof. Uwe Clausen, Institutsleiter des IML, betont. »Wir beschäftigen uns unter anderem mit Intralogistik, Verkehr, Supply-Chain-Management, Kreislaufwirtschaft, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Wir verknüpfen Transportwege und innovative Technologien«, bringt es Clausen auf den Punkt.
»Digitalisierung von allem und die Künstliche Intelligenz in allem wird alles verändern und das gilt auch für die Logistik«, so Prof. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter Fraunhofer IML. Die Welt teile sich inzwischen auf, in »digital und nicht digital«. Ten Hompel ist davon überzeugt, dass in einer zusehends vernetzten und digitalisierten Welt, die immer schneller immer mehr Daten produziert, die Logistik weiter an Bedeutung gewinnen wird. Doch glaubt ten Hompel nicht daran, dass es einzelnen Akteuren gelingen wird, sich in dieser neuen Situation zu behaupten: »Es werden Communities sein, die das Datengold heben«.
Das Zusammenwirken von Technologien wie Blockchain, digitale Ecosysteme, humanoide Roboter, simulierte und erweiterte Realitäten fassen die Forschenden unter dem Begriff »Silicon Economy« zusammen. Ein essenzieller Teil dieser neuen Wirtschaftsform sind Informationen. Schon heute bilden bei den größten Unternehmen der Welt immaterielle Assets den wertvollsten Bilanzposten. »Daten werden mehr und mehr zum zentralen Vermögenswert. Und mit so genannten Informations-Asymmetrien wird künftig in der Logistik Geld verdient«, prognostiziert ten Hompel.
Platform-Ökonomie, Open Innovation und Silicon Economy
Diese Entwicklung prägt auch die Plattform-Ökonomie und davon können vor allem große digitale Plattformen in USA und China profitieren. Der Anteil europäischer Unternehmen sei hier – gemessen an der Marktkapitalisierung – vergleichsweise gering. »Das Spielfeld der Digitalisierung wird immer mehr durch KI aber auch durch Open Source bestimmt«, betont ten Hompel. So seien beispielsweise Entwickler-Communities wie github, Pytorch oder Tensorflow vor allem aus den USA beeinflusst. Aber gleichzeitig sieht ten Hompel in solchen Communities Chancen für europäische Initiativen. Diese können auf der Basis offener Plattformen und Schnittstellen schneller neue Geschäftsmodelle entwickeln.
Viele Entwicklungen finden gleichzeitig statt. Industrie 4.0, echtzeitfähige Vernetzung 5G, KI-basierte Plattformen, Blockchain und andere Technologien ermöglichen es, dass Produkte an Stelle von Menschen autonom untereinander verhandeln. Die Vision der Forschenden ist, dass in Zukunft Unternehmen automatisiert über Blockchain Daten, Dienstleistungen und Waren kaufen und verkaufen werden. Künftig schließen also Algorithmen Verträge ab und nicht Menschen.
Doch dafür müssten entsprechende Standards und Rahmenbedingungen gegeben sein, um die Datensouveränität zu gewährleisten, wie etwa durch Initiativen wie International Data Space oder GAIA-X.
Mit dem Rhenus-Füllstandsensor ITCPRO (Intelligent Tracking Control Professional) zeigt das IML, wie dieser automatisierte Vertragsabschluss in der Praxis schon heute funktionieren kann. Die Papier-Container der Rhenus AG entscheiden dank einer Entwicklung des Fraunhofer IML, ob ein Lastwagen zum Entleeren bestellt wird. Anschließend wird automatisch eine Rechnung erstellt und auch automatisch bezahlt. »Die Tonnen sind in diesem Beispiel die führende Instanz«, so ten Hompel.
Obwohl in diese Entwicklung viel Geld investiert wurde, werde die Rhenus AG diese als Open Source Technologie allgemein zugänglich machen. »Wir verfolgen über offene Schnittstellen das Ziel, gemeinsame Standards zu schaffen, wir verfolgen neue Formen der Zusammenarbeit, denn kein Unternehmen kann die Silicon Economy alleine umsetzen. Das ist nur in einem föderalen Ecosystem aus Wirtschaft und Wissenschaft auf Basis von de facto Standards und Open Source möglich«, verdeutlicht ten Hompel.
Die vom Fraunhofer IML mitinitiierte Gründung der Open Logistics Foundation ist daher ein logischer Schritt. Diese gemeinnützige Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, eine europäische Open-Source-Community für die Digitalisierung in Logistik und Supply Chain Management voranzutreiben und logistische Prozesse durch De-facto-Standards zu vereinheitlichen. Ten Hompel fasst das folgendermaßen zusammen: »Lassen Sie uns gemeinsam Lösungen finden. Es sind große Herausforderungen, die auf uns zu kommen, es ist die Zeit zusammenzukommen.«