Mehr als 120 Patente, eine Sammlung persönlicher Auszeichnungen und zahlreiche Preise für eine Ausgründung für 3D-Laserlithographie: Dr. Ruth Houbertz ist gerne hochtourig unterwegs, als Wissenschaftlerin, Gründerin, Weltverbesserin oder auf dem Motorrad. Als erfolgreiche Tech-Gründerin und Mutter ist sie ein Vorbild und eine Persönlichkeit mit ehernen Grundsätzen. Nach einer Stelle bei den Sandia National Laboratories in den USA wechselt sie an das Fraunhofer ISC in Würzburg. Die Physikerin wirkt dort 14 Jahre lang. In dieser Zeit stößt sie einige Umstrukturierungen an, um das Profil ihres Teams zu schärfen und letztlich die Bereiche Optik und Elektronik zusammenzuführen. Mit Erfolg: Sie entwickelt einen Prozess zur direkten Ankopplung eines oberflächenemittierenden Lasers, eines sogenannten VCSELs, an eine Photodiode mittels eines optischen Wellenleiters und erhält dafür 2007 den Joseph-von-Fraunhofer-Preis. Über »Zwei-Photonen-Absorption« (TPA) verleiht das Team um Houbertz einem am ISC entwickelten Material dreidimensionale Strukturen. Dieses Verfahren entwickelt Houbertz weiter und überführt das 2013 in das Spin-off Multiphoton Optics GmbH. Die Gründerin hat große Pläne mit dem Startup und erhält dafür zahlreiche Auszeichnungen und Preise. Anfang 2021 folgt der Verkauf. Heute berät Ruth Houbertz mit ThinkMade Engineering & Consulting Unternehmen in Innovations- und Technologiefragen, ist als Innovationsmanagerin für SprinD tätig und in mehreren Gremien und Wirtschaftsverbänden aktiv. Mit dem Projekt »Society6.0« setzt die gebürtige Rheinländerin für alle Bevölkerungsschichten neue Akzente bei Bildung und Information und engagiert sich damit für eine Gesellschaft, die niemanden zurücklässt und nachhaltig und verantwortlich handelt.
Frau Houbertz, Sie haben einen sicheren Job bei Fraunhofer aufgegeben, um sich in das Abenteuer einer Gründung zu stürzen.
Die Ausgründung wagte ich, weil ich auch heute noch davon überzeugt bin, dass optische Datenübertragung zumindest einen Teil der Energieprobleme in Rechenzentren lösen kann. Im Vergleich zur elektronischen Übertragung lässt sich mit optischen Komponenten ein Bit mit einem Bruchteil des Energiebedarfs übermitteln. Optische Verfahren können aber auch in vielen anderen Bereichen eingesetzt werden. Beispielsweise sind in Smartphones sehr kleine Optiken verbaut. Mit 3D-Lithographie könnte man diese weiter minimieren und zum Beispiel ultraflache Optiken mit zusätzlichen Funktionen, etwa eine Metaoptik, herstellen. Das ist aber nur eines von vielen Beispielen – anspruchsvoll mit viel »Hebel«, um die Art, wie wir heute Optiken bauen, zu revolutionieren.
Die Umsetzung in Konsumenten-Produkten ist noch nicht abgeschlossen?
Man kann das nicht isoliert betrachten, es sind immer Systeme, die funktionieren müssen. Optische Bauteile alleine machen keinen Sinn. Es wird immer Schnittstellen geben, an denen Lichtsignale in elektrische Informationen umgewandelt werden müssen. Hinzu kommt: Wir beschäftigen uns erst seit etwa zwei Dekaden mit der Integration optischer Datenübertragung in die mikroelektronisch geprägte Welt. Dem stehen mehr als 70 Jahre Entwicklung im mikroelektronischen Bereich gegenüber. Die Marktprognose sagte etwa 2018 als das Jahr voraus, in dem die optischen Technologien »fliegen«. Das sehen wir jetzt mit zwei bis drei Jahren Verspätung.
Können Sie das von Ihnen mitentwickelte Verfahren kurz erläutern?
Gibt man einen Pfannenkuchen in eine Pfanne mit heißen und kalten Bereichen, entsteht ein Muster. An den heißen Stellen härtet der Teig aus, den Rest schüttet man weg. Das ist analog zur klassischen Lithographie zu sehen, bei der man durch einen Belichtungsvorgang mit Licht einer bestimmten Wellenlänge (oder Farbe) und einer Maske die gewünschten Strukturen enthält. So werden beispielsweise mikroelektronische Bauteile, wie Chips, hergestellt. Man kann eine Flüssigkeit verwenden, die durch Belichtung fest wird und entfernt das nicht-belichtete Material mit einem Lösungsmittel. Das bezeichnet man als »additiv«. Andersherum kann man auch feste Bindungen durch Beleuchtung brechen und damit etwas wegnehmen, was man als »subtraktiv« bezeichnet.
Das Besondere an dem von mir weiterentwickelten Verfahren ist nun, dass man noch nicht einmal eine Maske benötigt und das Licht wie einen Schreibstift durch ein Material, das ich bei der Fraunhofer-Gesellschaft im Rahmen meiner Tätigkeiten dort für diese Technologie weiterentwickelt habe, orchestrieren kann. Orchestrieren bedeutet hier vollkommen freie Beweglichkeit des Lichts. Wir haben uns damit deutlich von unseren Wettbewerbern abgehoben. Man kann aber auch, wie mit einem 3D-Drucker, Lage für Lage eine dreidimensionale, hochpräzise 3D-Struktur aufbauen, was die am weitesten verbreitete Variante der Strukturierung ist. Das Besondere der Multiphoton Optics ist die Möglichkeit, additive und subtraktive Verfahren zu orchestrieren. So können komplexere Strukturen aufgebaut oder abgetragen werden, und das in einer einzigen Maschine. Ich verbrachte einen guten Teil meines Lebens, etwa 20 Jahre, damit Licht-Materie-Wechselwirkungen zu studieren und mich sehr intensiv mit Software und Steuerungen auseinanderzusetzen.
Sie haben nicht nur selbst Auszeichnungen erhalten, sondern auch mit dem von Ihnen gegründeten Unternehmen mehrere renommierte Preise gesammelt. Dennoch stimmten Sie im Frühjahr einem Verkauf zu.
Preise sind nicht alles. Eigentlich wollte ich ein Unicorn [Anm. d. Red.: Start-up mit einer Bewertung von über einer Milliarde Dollar] aus diesem Unternehmen machen. Inzwischen bin ich der Ansicht, dass – mit Ausnahme von Fraunhofer – die Investoren nicht verstanden haben, dass man nicht dem schnellen Geld hinterherlaufen darf, wenn man etwas wirklich Großes schaffen will. Angst war noch nie eine gute Ratgeberin.
Meine Gründung ist jetzt mit Heidelberg Instruments Mikrotechnologie in sehr guten und kompetenten Händen, dennoch hätte ich gerne gesehen, wie sich das Unternehmen in sinnvollen Applikationen rasant weiterentwickelt. Mein Traum, den ich trotz Unternehmensverkaufs noch nicht aufgegeben habe, ist eine neue Dimension des Optischen Packagings für Co-Packaged On-Board-Optiken und Waferscale-Optiken mit einem Grad an Freiheitsgraden zu erreichen, wie er für die bis dato umgesetzten Verfahren noch nicht möglich ist. Das eröffnet vollkommen neue Perspektiven, wie etwa superflache und extrem leichte und hochintegrierbare Optiken. Aber auch hier ist es wie überall: Es gibt nicht nur schwarz und weiß, oder technologisch gesprochen gute oder schlechte Technologie. Die Würze kommt durch die Kombination von Technologien und hybriden Ansätzen wirklich zum Tragen.
Was gab letztlich den Ausschlag für den Verkauf?
So viel steht heute schon fest, sollte ich eines Tages Memoiren verfassen, steht auf der ersten und auch nochmal auf der letzten Seite: Bleib Dir selbst treu, sei passioniert und authentisch! Wenn ich nicht liebe, was ich tue, es keinen Spaß macht, oder es mich nicht mehr weiterbringt, dann gehe ich. Das habe ich übrigens schon immer so gemacht. Als mich in der Schule der Unterricht zu langweilen begann, bin ich aus dem Fenster geklettert und zum Aachener Markt gegangen, um Menschen zu beobachten und mich mit anderen zu treffen. Deutlich sinnvoller verbrachte Zeit für mich. Ob ich ein Unternehmen gründe oder mit Kindern backe – ich mache immer nur das, von dem ich überzeugt bin und was mir Spaß macht. Man sollte sich nie korrumpieren.
Das klingt nicht nach Kompromissbereitschaft?
Grundsätzlich bin ich immer kompromissbereit und lege Wert auf eine harmonische Umgebung. Man muss sicher hin und wieder mit den Wölfen heulen, wichtig ist aber sich dabei zu fragen: Was will ich am Ende für alle erreichen? Ich bin ein Fan von Win-Win, und das wird sich in diesem Leben nicht mehr ändern. Die Gefahr, sich selbst zu kompromittieren besteht natürlich immer, aber man kann das sehr gut durch eine tiefe Reflexion vermeiden. Steve Jobs war für mich ein bewundernswertes Beispiel für einen Menschen, der sich nicht verbiegen ließ. Wenn ich mich nicht am richtigen Platz fühle, ändere ich die Funktion oder gehe ganz. Es bringt mir nichts, wenn ich unglücklich werde, indem ich so manchem Menschen ausgesetzt bin, der keinerlei Rückgrat oder wissenschaftliche Ehre im Leib hat. Manchmal dauert es bei mir etwas länger, weil bei allem, was ich tue viel Gefühl und Emotion dabei ist. Schließlich wage ich diesen Schritt, denn alle Änderungen im Leben bringen einen auf ein neues Level. Und meist ist das noch viel besser als vorher. Es liegt in unserer Hand einen offenen Mindset zu haben und auch Negatives in Positives zu verwandeln.
In einigen Phasen meines Berufslebens hatte ich den Eindruck, meine Identität zu verlieren. Ich sage das immer wieder in Mentorings oder auch bei Podiumsdiskussionen: Wenn Ihr das merkt, geht weg! Ändert etwas! Auch wenn das manchmal hart ist. Ich wusste ja auch nicht, ob meine Selbständigkeit oder die Society6.0 funktionieren. Tatsächlich bekam ich nach dem Verkauf ein sehr lukratives Job-Angebot aus den USA. Weil ich aber mein eigenes Leben möchte und nicht das, was andere Menschen von mir erwarten, entschied ich mich bewusst dagegen. Kreativität entsteht für mich nur dann, wenn ich frei denken kann. Insofern habe ich mich wieder für die Unsicherheit entschieden, auch wenn es verlockend war, einmal in einem richtig hippen Großkonzern zu arbeiten.