Inmitten der Sahara Wüste leben seit 1976 zehntausende Saharauis in Flüchtlingslagern nahe der algerischen Stadt Tindouf. Diese Menschen sind nahezu vollständig auf Hilfslieferungen angewiesen. Auf der Basis eines Projektes des lokalen Agraringenieurs Taleb Brahim, der mit einem System Futter für Nutztiere züchtet, will das Team von GreenUp Sahara diese hydroponischen Anlagen nun auch für den Anbau anderer Pflanzen weiterentwickeln, denn bei dieser Art des Anbaus ist deutlich weniger Wasser nötig als bei konventionellen Kulturen. Das Projekt GreenUp Sahara gewann trotz starker Konkurrenz deutlich den mit 10.000 Euro dotierten Fraunhofer-Alumni-Award. Marc Beckett, Experte für Wassertechnologien und Wertstoffrückgewinnung vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart, erklärt in diesem Interview, wo die größten Herausforderungen liegen, welche weiteren Schritte jetzt unternommen werden und unter welch widrigen Bedingungen die Menschen in den Camps leben.
Herr Beckett, wie fühlt man sich als erster Preisträger des Alumni-Awards?
Stolz und auch etwas aufgeregt! Von den anderen Projekten, die sich um den Award beworben hatten, war und bin ich sehr beeindruckt. Die Wochen vor der Abstimmung waren äußerst spannend und ich hatte nicht damit gerechnet, dass GreenUp Sahara den Preis gewinnen würde. Für uns ist aber das Wichtigste, dass wir dadurch das Projekt weiterführen können. Wir hatten vor allem im Corona-Jahr erhebliche Probleme. Unter anderem war die Kommunikation mit Taleb, dem Wissenschaftler, mit dem wir vor Ort zusammenarbeiten, nur eingeschränkt möglich. Zuletzt standen wir mit ihm und dem World Food Programme wieder regelmäßig im Austausch. Das Preisgeld gibt uns Handlungsspielraum. Ohne den Award hätten wir das Projekt vermutlich nicht weiterführen können.
Das freut die Fraunhofer-Alumni, die zahlreich für das Vorhaben von GrennUp Sahara stimmten und über die Mitgliedsbeiträte das Preisgeld finanzierten.
Das eigentlich spannende an diesem Projekt ist, dass das Thema wissenschaftlich noch nicht sonderlich gut untersucht ist. Daher lohnt sich auch die Vernetzung mit anderen. Wir sind beispielsweise mit der Universität Lüttich und der Universität Hohenheim im Gespräch, um sowohl wissenschaftlich als auch für das Projekt weiter zu kommen.
Urban Farming, Indoor Farming und Hydroponik liegen im Trend und in den zurückliegenden Jahren sind hier viele Startups entstanden. Auch große Konzerne springen auf diesen Trend mit auf. Bei Fragen wie Energieeffizienz, Automatisierung oder speziellen Pflanzen gibt es noch viel Forschungspotential.
Was unterscheidet GreenUp Sahara?
Ich möchte an dieser Stelle dem Eindruck entgegenwirken, dass wir hier ein vollständig neues Konzept erarbeiten. Hydroponik wird beispielsweise in den Niederlanden schon hochkommerziell genutzt. Nicht umsonst ist dieses kleine Land, eines der größten Agrar-Exporteure der Welt. Bei hydroponischen Anlagen, also bei Anlagen, bei denen die Pflanzen direkt in eine Nährstofflösung wurzeln, kommen industriell hergestellte, mineralische Nährstofflösungen zum Einsatz. Die stehen aber in unserem Anwendungsfall in der algerischen Wüste nicht zur Verfügung. Die Lösungen sind nicht nur in Algerien, sondern auch in anderen Gebieten ein limitierender Faktor für den Einsatz von Hydrokultur. Wir wollen diese Nährstofflösungen aus Rohstoffen gewinnen, die vor Ort vorhanden sind, und mit Prozessen, die auch unter den limitierten Bedingungen in dieser Wüstensiedlung realisierbar sind. Zudem sollen diese natürlich nicht in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln stehen.
Was sind hier die größten Herausforderungen?
Unser Fokus liegt auf der hydroponischen Nährstofflösung aus Reststoffen. Die große Problematik ist, dass man je nachdem welche Pflanzen zur Verfügung stehen oder welche Tiere, beziehungsweise, welches Futter die Tiere bekommen, ganz unterschiedliche Nährstoffniveaus und damit eine unglaublich hohe Variabilität in den Eingangsmaterialien erhält. Das macht es so komplex, ein Rezept oder eine Formel für diese Lösung zu entwickeln. Hinzu kommen hygienische Parameter. Mittlerweile haben wir die Herausforderung, dass wir in den Laboren realen Bedingungen nur bedingt nachbilden können, da wir anderen Vorschriften unterliegen als in der Sahara. Unsere Forschung findet daher im engen Austausch mit Taleb vor Ort statt. Es macht keinen Sinn, unrealistische Verfahren zu entwickeln, die unter Laborbedingungen funktionieren, sich aber vor Ort nicht umsetzen lassen. Und natürlich stellen die Pandemie und ihre Reisebeschränkungen weitere Herausforderungen dar.
Gibt es schon erste Erfahrungen?
Wir experimentieren beispielsweise mit Blutmehl sowie Tier- und Knochenmehl das wir mit Hilfe von Bakterien vergären. Die Geruchsentwicklung dabei ist wirklich sehr stark. Diese Experimente führen wir in Räumen am Institut durch, die auch anderweitig genutzt werden und bei denen ebenfalls gewisse Standards erfüllt sein müssen. Ideal wäre es natürlich, die Experimente vor Ort durchführen zu können.
Wie sind Sie auf dieses Projekt gestoßen?
Ich hatte 2017 am IGB gerade meine Masterarbeit abgeschlossen und ich wurde angefragt, bei den F-Days von Fraunhofer Venture mitzumachen. Heute heißt das Programm AHEAD. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich noch nicht sonderlich intensiv mit Hydroponik auseinandergesetzt, musste aber schnell mit dem World Food Programm zusammenzuarbeiten. Dabei lernte ich Taleb Brahim kennen und so kam der Stein ins Rollen. Ich begann mich in das Thema einzulesen und im Dezember 2017 waren wir schließlich eine Woche vor Ort.
Taleb hatte auf Youtube von dem Keimen von Gerstengras erfahren und mit Hilfe des WFP ein solches System nachgebaut. Inzwischen gibt es in Algerien und in weiteren afrikanischen Ländern mehrere Anlagen in verschiedenen Größen, die unter seiner Anleitung entstanden.
Welchen Stellenwert haben diese Anlagen?
Diese Grasteppiche werden samt Wurzeln an Nutztiere verfüttert. Die Ernährung der Menschen vor Ort basiert vor allem auf Milch und Fleisch. Als Flüchtlinge müssen die Herdenbesitzer an einem Ort bleiben und können nicht mehr wie zuvor in unterschiedliche Weidegebiete ziehen. Ohne dieses Futter müssen die Tiere Abfälle wie Pappe fressen.
Die Saaten werden wie eigentlich alle Güter über Ernährungsprogramme in die Lager importiert. Es wäre natürlich eine Möglichkeit, dieses Saatgut vor Ort zu produzieren, aber da stehen wir wieder vor der Frage der Nährstofflösung. Hier laufen übrigens Experimente mit verschiedenen Gersten- und Weizensorten und anderen Sorten wie Alfalfa.
Im nächsten Schritt wollen wir den Anbau von Gemüse und Nutzpflanzen voranbringen. Denn bislang ist die Ernährung in den Camps sehr einseitig. Das verursacht gesundheitliche Probleme wie Diabetes.
Ließen sich denn die Ergebnisse aus der Forschung zu GreenUp Sahara zumindest ein Stück weit auch auf andere Regionen übertragen?
Man kann das vermutlich nicht eins zu eins übertragen, denn an anderen Orten sind andere Ressourcen vorhanden und es herrschen andere Rahmenbedingungen und damit Nährstoffniveaus vor. Unser Ziel ist aber, ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Verfahren und welche Eingangsstoffe geeignet sind. Von einer Rezeptur, die man weltweit anwenden kann, will ich nicht sprechen, aber wir wollen uns Prinzipien annähern, die sich übertragen lassen. Wir können mittelfristig auf jeden Fall einen Beitrag dazu leisten, um schneller zu Rezepturen zu kommen.
Daher engagieren wir uns auch bei der H2Grow-Plattform des WFPs, wo Teams an ähnlichen Problemen und Fragen arbeiten, wie etwa welche Substrate oder welche Pflanzen geeignet sind, und natürlich auch Expertinnen und Experten, die diese Ergebnisse vor Ort praktisch anwenden. Man sollte übrigens nicht vergessen, dass der Klimawandel und der damit zusammenhängende und heute schon sichtbar werdende Wassermangel in Deutschland Themen wie Kreislaufwirtschaft auch bei uns zu neuer Relevanz verhelfen. Eines der Projekte, bei dem Fraunhofer IGB beteiligt ist, ist HypoWave. Dabei untersuchen wir, wie sich kommunale Abwässer für die Produktion von Nutzpflanzen verwenden lassen.
Ließe sich das auch in irgendeiner Form kommerzialisieren, sprich wäre das auch für Menschen vor Ort ein Erwerbsmodell, das ein unabhängiges Einkommen ermöglicht? Ein weiterer interessanter Ansatz ist die Aquaponik. Bei dem Projekt Ich liebe Fisch, das sich ebenfalls für den Alumni-Award bewarb, geht es neben der Sicherstellung der Ernährung auch um neue Einnahmequellen für Farmer in Malawi.
Da gibt es spannende Möglichkeiten. Eine Frage ist aber, wie dezentral will man das angehen. Soll jeder Farmer eine Anlage haben, oder sind aufgrund der Komplexität Kooperativen oder kleine Unternehmen sinnvoller? Bei der Hydroponik wäre natürlich auch denkbar, dass Startups vor Ort diese Nährstofflösung herstellen und an Farmen verkaufen. Für die Situation in der Sahara wäre das ein spannender Ansatz. Und das ist auch einer der Gründe, warum wir uns bei unserer Suche auf Grundstoffe konzentrieren, die sehr günstig oder kostenlos zu bekommen sind. Aufbereitung, Qualität, Konstanz, Quantität, Stabilität und die bakterielle Aktivität dieser Nährstofflösung sind dabei natürlich auch wichtige Themen. Tatsächlich kenne ich aber zumindest ein Beispiel aus einer anderen Krisenregion, wo eine Nährstofflösung aus Eigenproduktion lokal hergestellt und vertrieben wird.