Büttner: Schrecklich! Einmal hatte ich durch eine Infektion den Geruchssinn verloren – ich war panisch! Herr Nakamura, Sie als Koch sind wahrscheinlich genauso ängstlich, wenn es um Ihr olfaktorisches Epithel geht.
Nakamura: Absolut. Anfang vergangenen Jahres war da eine Woche lang nichts – glücklicherweise blieb der Corona-Test negativ. Für meinen Beruf ist das, wie wenn sich ein Skifahrer das Bein bricht. Aber auch für den Gast ist Genuss ohne Geruch kein Genuss mehr. Die Sinnlichkeit geht verloren. Es geht auch das Erinnerungsbewusstsein verloren. Wir haben ja so viele Gerüche verknüpft mit unserem Unterbewusstsein!
Nakamura: Der Duft von Nabe, diesem japanischen Eintopf. Mit Dashi, der klassischen Brühe aus Kombualge und Bonito, Gemüse und Tofu darin, das leichte Sojabohnen-Aroma – all das köchelt in der Tischmitte, dazu der Holzfeuergeruch von unserem kleinen Kamin: Die Nase stößt bei so ziemlich jedem Menschen Erinnerungen an. Wir bauen uns unsere Welt um sie herum auf. Alles Wichtige im Leben wird begleitet von Riechen, Essen und Trinken. Feiertage ohne diese direkte Verknüpfung sind in unseren Köpfen nicht so präsent. Christi Himmelfahrt? Erinnere ich nicht. Aber Weihnachten? Klar. Martinsgans? Ebenso.
Büttner: Mein Papa war Schreiner, sogar etwas berühmt – er hatte für den Pumuckl das Bett und die Schiffschaukel gebaut. Ich habe in den Sägespänen gespielt. Mein Kinderzimmer war aus Zirbenholz. Dieser Geruch ist für mich bis heute unglaublich. In meinem Fraunhofer-Institut analysieren wir übrigens gerade Holzgerüche. Es ist erstaunlich, wie wenig wir darüber wissen. Ständig entdecken wir neue Geruchsstoffe, die die Welt noch nicht kennt. Das macht dann richtig Freude, wenn das synthetisiert ist – und plötzlich stehen Sie in einer Geruchswolke, die vor Ihnen noch kein Mensch erlebt hat.
Büttner: Viele, erschreckend viele. Da geht es ja nicht allein um die Gefahr durch Corona. Auch andere Infektionen bedrohen Geruch und Geschmack: Alzheimer, Parkinson, neuro-degenerative Erkrankungen, dazu einfach das Altern – die Quote ist erstaunlich hoch. In unserem Institut untersuchen wir daher nicht nur Aromen, wir analysieren auch Menschen. Wir nehmen einzelne Aromastoffe und testen die Varianz. Sie wären schockiert, wenn Sie sehen würden, wie unterschiedlich empfindlich Menschen in ihren Geruchsschwellen sind, die liegen mitunter in Zehnerpotenzen auseinander.
Nakamura: Wenn ich für 30 Gäste koche, dann empfinden das 30 Gäste unterschiedlich. Und trotzdem schaffen wir Abend für Abend in unserem Restaurant einen Grundkonsens – und ein kulinarisches Glückserlebnis.
Büttner: Faszinierend.
Nakamura: Aber die Frage bleibt – wie können wir das noch zuverlässiger lenken? Was von unseren Anstrengungen hinter den Kulissen bekommt der Gast überhaupt mit: im Geschmack, optisch, akustisch? Wie knusprig sollen Dinge sein? Wie sollen sie sich beim Essen anhören? Wir haben so viele Variablen, so viele Unbekannte!
Nakamura: Sehr viel. Unsere Art von Gastronomie lebt ja von Konstanz. Es ist unglaublich wichtig, dass wir das Sinnliche, dass wir das Emotionale, dass wir die Glücksmomente für unsere Gäste nicht nur schaffen, sondern auch reproduzieren können. Da stellt sich ganz klar die Frage: Mit welchen multisensorischen Einflüssen können wir arbeiten, damit der Gast sich noch wohler fühlt und eine noch positivere Erinnerung nachhaltig abspeichert. Der Duft des Raumes, der Duft der Speisen – ich glaube, dass wir in der Gastronomie da noch ganz am Anfang stehen. Ich bin mir sicher, dass wir in der Sterne-Küche von der Wissenschaft noch viel lernen können.
Büttner: Willkommen bei Fraunhofer! Genau solche Fragen treiben mich gerade um: Wie realisieren wir nach Corona die sichere und genussreiche Gastronomie? Da wird sich nicht nur das Raumklima der Zukunft ändern müssen. Dazu gehören Klimatisierung und Luftumwälzung, Aeorosolausbreitung, proaktive Hygiene, Desinfektion und Dekontamination, Gerüche und Oberflächenbeschaffenheit von Innenausstattung, Küchenutensilien und Darreichungsformen wie Geschirr, Gläser, Anrichten und vieles mehr in der Wechselwirkung. Wie aber beeinflusst das unser sinnliches Empfinden? Ich glaube nicht, dass man auch nur die ideale Temperatur für den vollkommenen Genuss spezifischer Gerichte schon vollständig versteht. In unserem Team arbeiten für solche Fragen auch Psychologen, Neurowissenschaftler – verschiedenste Disziplinen. Und viele verbindet das Kernthema multisensorische Integrationsprozesse.
Nakamura: Ganz im Gegenteil – genau da wird es doch spannend für uns in der Gastronomie. Auch wir müssen ja verstehen und erklären, was wir tun und wie wir den Gast möglichst intensiv erreichen. Bei aller technischen Betrachtung bleibt ja doch am Ende die Emotion – auch wenn ich weiß, dass es nur Moleküle sind, wird man schlussendlich immer diesen Zauber empfinden.
Büttner: Und nicht nur die … Der Mensch ist ein multisensorisches System mit all seinen Stärken und Schwächen. Analog entwickeln wir auch die technischen Systeme multisensorisch. Dabei ist aber elementar, dass wir sowohl die Schwächen des Menschen wie auch der technischen Systeme kennen. Allein einen Riechsensor zu bauen, ist in den allermeisten Fällen nicht sinnvoll. Manchmal muss man sich auch Tricks ausdenken. Ein Beispiel: Beim Schokoladeconchieren wollen immer alle den perfekten Zeitpunkt treffen, an dem saure und unangenehm adstringierende Noten sich verlieren, aber die erwünschten Aromastoffe erhalten bleiben oder sich intensivieren und sich die optimale Balance aus Bitterkeit, Süße und Mundgefühl einstellt. Mancher wünscht sich da die elektronische Nase, die das Optimum zuverlässig bestimmt. Dabei kann es viel praktikabler sein, die Masse beim Conchieren zu beobachten und mit einem optischen oder mechanischen Sensor abzulesen, wann der Zeitpunkt erreicht ist. Und auch wenn viele das Problem gern mit künstlicher Intelligenz lösen wollen, braucht es vor allem menschlichen Verstand, das Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse und davon, was am meisten »Sinn« hat.
Büttner: Ich liebe ihn! Allerdings muss er eine perfekte Kruste haben. Wenn schon Fleisch, dann ein richtig gutes! Und natürlich richtig gute Knödel.
Nakamura: In meiner Küche legen wir den gleichen Qualitätsmaßstab an eine Rote Bete wie an ein Rinderfilet – grundsätzlich also: ja. Ohne Fisch wäre schwieriger. Ohne Milchprodukte wäre schon sehr, sehr schwierig. Und ohne Ei? Das nimmt einfach eine monumentale Rolle in der Küche ein. Privat übrigens esse ich sehr wenig Fleisch. Deshalb tue ich mich auch schwer mit der Idee, unbedingt Fleisch aus pflanzlichen Rohstoffen nachbauen zu wollen. Dieser vegetarische Hackfleischburger …
Nakamura: Zumindest übersteigt er im Moment mein kulinarisches Vorstellungsvermögen. Aber ich gebe zu: Auch ein Smartphone hätte ich mir vor 20 Jahren nicht vorstellen können.
Nakamura: Nahrung aus Insekten finde ich sehr spannend, weil dieser Eiweißlieferant viele Probleme der Menschheit lösen könnte. Vielleicht müssen wir da nur eine Generation überspringen. So ganz rational sind wir da ja nicht: Warum geben wir für einen Hummer so viel Geld aus, während eine Heuschrecke bei vielen nur Abscheu hervorruft?
Büttner: Also wir haben gerade Kerbse als neues Projekt. Das ist ein Camembert aus Erbsenprotein.
Nakamura: Als Koch greife ich einfach am liebsten zu den natürlichsten, den handwerklichsten Produkten, da stehe ich gerne im Kontakt mit den Produzenten in der Landwirtschaft, die mit ihrer Leidenschaftlichkeit und Wertschätzung die Dinge schaffen, die uns überzeugen. Der Erbsen-Camembert klingt eher wie Malen nach Zahlen.
Büttner: Sie sollten das nicht als Verdrängung sehen. Wir wollen einfach zusätzliche Nahrungsquellen erschließen.
Nakamura: Da haben Sie recht. Wir müssen differenzieren zwischen einer Genussküche und der Alltagsernährung, bei der wir oft unbewusst so viel Fleisch und tierische Produkte zu uns nehmen.
Nakamura: Zunächst einmal – ich koche sehr gerne, auch zu Hause und in meiner Freizeit. Einmal die Woche brauche ich klassisch gekochten japanischen Reis fürs Gleichgewicht, sonst kommen mein Yin und Yang in Unordnung. Dazu sehr viel Gemüse. Es ist ja leichter, gutes Gemüse zu bekommen als gutes Fleisch oder guten Fisch.
Nakamura: Rösten Sie Brot, schieben Sie einen Vacherin in den Ofen, dazu ein Salat – schon haben Sie ein tolles Gericht. Ach, bei der Gelegenheit, Frau Büttner, sehen Sie einen Weg, wie sich das Aroma von Tomatenrispen auf die Frucht übertragen lässt? Sie wissen ja, die sind giftig, aber der Duft …
Büttner: Eine Mitarbeiterin an unserem Institut hat gerade analysiert, dass Tomaten geschmacksintensiver bleiben, wenn sie an den Rispen in den Handel kommen. Ich bin mir sicher, wir finden auch auf Ihre Frage eine Antwort.