Mit Wasser wirtschaften

Webspecial Fraunhofer-Magazin 2.2024

Pessimisten sehen das Glas halb leer: Laut einer Studie des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) hat Deutschland in den Jahren 2002 bis 2022 pro Jahr 750 Millionen Tonnen Wasser verloren – durch abnehmende Bodenfeuchte, schwindendes Grundwasser, schmelzende Gletscher oder allgemein durch gesunkene Wasserspiegel. In dem erfassten Zeitraum ist der gesamte Wasserspeicher des Landes um 15,2 Kubikkilometer zurückgegangen. Das entspricht knapp der Hälfte des jährlichen Wasserverbrauchs Deutschlands durch Industrie, Landwirtschaft und Privathaushalte.

Optimisten blicken auf die Wassermengen, die nach wie vor in Deutschland vorhanden sind. Im tendenziell nassen Jahr 2023 sind die Grundwasserstände bundesweit angestiegen, und auch 2024 hat sich bislang als ziemlich feucht erwiesen. Der Trinkwasserverbrauch pro Kopf wurde von 147 Liter Wasser am Tag im Jahr 1990 auf 121 Liter in 2023 deutlich reduziert. »In der öffentlichen Wahrnehmung erhält das Thema Wassermanagement immer mehr Bedeutung«, bekräftigt Dr.-Ing. Marius Mohr, Leiter des Innovationsfelds Wassertechnologien, Wertstoffgewinnung und Scale-up am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. Und das sei auch gerechtfertigt angesichts der Zunahme von Extremwetterereignissen wie Starkregen und Dürren. Auch wenn sich der Frühling 2024 anders anfühlte: »In absehbarer Zeit werden wir in Deutschland Trockenheitsperioden erleben wie etwa Spanien bereits heute.«

Um das Glas angesichts dieser Prognose weiterhin zumindest halbwegs voll zu halten, muss sich vieles ändern im Umgang mit Wasser. Die nationale Wasserstrategie der Bundesregierung von 2023 mahnt nicht nur eine nachhaltige Nutzung der nassen Ressource an, sondern auch einen verbesserten Schutz der natürlichen Wasservorräte vor chemischen Verunreinigungen sowie vor der Einbringung von Mikroplastik. Dafür sind Kraftanstrengungen nötig – und das in allen Sektoren: Industrie, Landwirtschaft, öffentliche Wasserversorgung. In der Fraunhofer-Allianz SysWasser bringen derzeit elf Fraunhofer-Institute ihre Kompetenzen ein, um Wasserinfrastruktursysteme nachhaltiger und resilienter zu gestalten, um das Wasser- und Abwassermanagement in Richtung Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln und die Landwirtschaft bei der Anpassung an neue Klimabedingungen zu unterstützen.

 

Susanne Liane Buck, Fraunhofer IAO
© Enver Hirsch
Brücken bauen: Soziologin Buck will das Wassermanagement in einem Bremer Quartier durch Vernetzung aller Stakeholder optimieren.

Privathaushalt und Kommune: mehr Digitalisierung

Einen großen Hebel erhoffen sich Forschung, Politik und Wirtschaft von dem Einzug der Digitalisierung in die Welt des Wassermanagements. Im Herbst 2023 gestartet ist beispielsweise das Projekt InDigWa innerhalb der Innovationspartnerschaft Morgenstadt, einem Netzwerk aus Fraunhofer-Instituten, Kommunen und Unternehmen. Die Fraunhofer-Institute für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und für System- und Innovationsforschung ISI sowie das Fraunhofer IGB wollen dabei Daten über den gesamten Trinkwasserkreislauf sammeln: vom Brunnen über die Nutzung bis zur Entsorgung.

Die Idee der smarten Vernetzung: »Industrie und Mittelstand sowie die unterschiedlichen Akteure der kommunalen Wasserver- und -entsorgung haben bereits viele einzelne Innovationen entwickelt«, erklärt Projektleiterin Susanne Liane Buck vom Fraunhofer IAO. »Unser Ansatz ist, diese Insellösungen zu einem System zu verknüpfen und auch den Endverbraucher mit einzubeziehen, um die Effizienz der Trinkwasserversorgung auf der Basis erhobener Daten zu steigern.« Für das Projekt sollen bereits existierende Ansätze – etwa Wassersparduschen sowie getrennte Kreisläufe für Trinkwasser und sogenanntes Grauwasser, also gering verschmutztes Abwasser – in ausgewählte Wohnungen eines Bremer Quartiers eingebaut und getestet werden. Für den Außenbereich ist ein smartes Regenwassermanagement geplant, um die Wasserver- und -entsorgung auch in Trocken- und Regenphasen besser gestalten zu können. Ein neuartiges Bewässerungssystem von Grünanlagen im Quartier soll den Trinkwasserverbrauch senken. Buck: »Wir wollen eine Schablone schaffen für ein ganzheitliches Wassermanagement, das sowohl für den Neubau wie für Bestandsquartiere funktioniert.«

Zwölf Projektpartner vom Wasserversorger und Wohnungsbau über die Gebäudetechnik und Sensorik-Unternehmen bis hin zur Abwasserentsorgung sind bei dem interdisziplinär aufgestellten Projekt InDigWa mit an Bord. Die Datenerhebung in Privathaushalten sei angesichts der Datenschutzregeln eine Herausforderung, so Buck: Schließlich berichtet der Wasserverbrauch aus sehr privaten Lebensbereichen. Doch gerade dieser Blick ins Badezimmer oder in die Küche ist wichtig, um etwa Spararmaturen weiterzuentwickeln. Als Soziologin weiß Buck außerdem, dass es bei der Implementierung von Innovationen nie allein um die Technologie, sondern auch um die Partizipationsbereitschaft des Menschen geht. Und der ist zumindest in Deutschland gewöhnt, dass Wasser in bester Qualität aus dem Hahn kommt und jederzeit verfügbar ist. Die Installation einer zweiten Versorgungsleitung im Haus, die »Wasser zweiter Klasse« spenden würde etwa für das Gießen der Blumen, sieht Dr. Marius Mohr deshalb kritisch: »Mit mehreren Versorgungsnetzen steigt das Risiko von Fehlanschlüssen und das kann man sich im Trinkwassersektor nicht erlauben. Sobald geringste Qualitätszweifel aufkommen, zapfen die Menschen ihr Trinkwasser schnell nicht mehr aus dem Wasserhahn, sondern kaufen vermehrt in Plastik- oder Glasflaschen, was den Nachhaltigkeitsgedanken wieder zunichtemacht.«

Projekte wie InDigWa können aber auch zum Erhalt der Wasserqualität beitragen. »Zunehmend lange Hitzeperioden bringen auch hygienische Probleme mit sich, etwa eine steigende Gefahr von Legionellen im Wasser«, erklärt Susanne Liane Buck. Durch eine kontinuierliche Datenerhebung lassen sich die kommunalen Kontrollen künftig wohl effizienter gestalten.

Für den Endverbraucher könnte die Rückmeldung der eigenen Verbrauchszahlen via App oder eine andere Form ein AhaErlebnis bieten: Wer weiß schon, wie viel Wasser für die Morgendusche oder das Gießen der Blumen durch den Hahn fließt? Derlei Alltagsnutzung in Zahlen festzuhalten und dem Verbraucher – egal, ob Privatmensch oder Unternehmen – zurückzuspielen, ist auch das Ziel des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekts CrowdWater: Unter der Gesamtkoordination des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik FIT werden ausgewählte Haushalte und Gewerbe mit intelligenten Messgeräten ausgestattet und zu einem »Living Lab« vernetzt, also einem virtuellen Labor, das die Wassernutzung in unterschiedlichen Sektoren unter Realbedingungen erfasst.

»Unser Ziel ist, eine dezentrale Datenplattform zu entwickeln, mit deren Hilfe der Wasserverbrauch ereignisspezifisch gemessen und dem Verbraucher zurückgemeldet wird«, erklärt Dr. Marc Jentsch, IT-Experte am Fraunhofer FIT. »Im Anschluss analysieren wir, inwiefern die Kenntnis der Nutzungsdaten den Verbrauch verändert und welche Anreize zu einem nachhaltigen Umgang mit Wasser anregen.« Aktuell suchen Jentsch und sein Team noch Privathaushalte sowie produzierendes Gewerbe aus den Kreisen Troisdorf, Kirchen (Sieg) und Hennef mit Interesse an einer Teilnahme am Living Lab (mehr unter https://crowdwater.info).

Dr. Marc Jentsch.
© Enver Hirsch
Den Datenfluss verbessern: IT-Experte Dr. Marc Jentsch errichtet ein »Living Lab«.

Bereits mit dabei ist eine Sportschule, die bislang den Wasserverbrauch nur an einem Gesamtzähler ablesen kann, im Detail aber nicht weiß, wie viel Wasser etwa auf Kosten des Schwimmbads, der Duschen oder der Bewässerung von Grünanlagen gehen. Jentsch: »Dort erhofft man sich, künftig mit intelligenter Sensorik den jeweiligen Verbrauch in Echtzeit monitoren zu können.« Die beteiligten Versorger hingegen sehen großes Optimierungspotenzial im Detektieren von Lecks. »Wir werden durch CrowdWater das Sensorik-Netz deutlich verdichten, um eine Leckage sehr viel schneller erkennen und beseitigen zu können«, verspricht Jentsch. Weltweit gehen laut einer Studie der International Water Association täglich 346 Millionen Kubikmeter Wasser auf dem Weg zum Verbraucher verloren, in Deutschland geht man von etwa 400 Millionen Kubikmeter Wasserverlust pro Jahr aus.

Marc Beckett.
© Enver Hirsch
Wasser satt: Marc Beckett forscht am Fraunhofer IGB an der Weiterentwicklung der Hydrokultur.

Landwirtschaft: Wenn Pflanzen nur mit Wasser wachsen

Ein Verlust, den man immer weniger akzeptieren darf. Denn Wasser ist nicht nur selbst ein Lebensmittel, sondern auch das Fundament der Lebensmittelproduktion. 69 Prozent der weltweiten Wasservorräte aus dem Grundwasser sowie Binnengewässern werden heute von der Landwirtschaft verbraucht. Da aber die Weltbevölkerung wächst, gehen Prognosen von einem um bis zu 50 Prozent steigenden Durst des Agrarsektors bis 2050 aus – während zugleich klimabedingt das Wasser knapp wird. Der Ansatz der Hydroponie erscheint da auf den ersten Blick widersinnig: Pflanzen nicht mehr in Bodensubstrat, sondern komplett in Wasserbehältern wachsen zu lassen – erhöht das nicht sogar den Wasserverbrauch?

Nein, widerspricht Marc Beckett, der sich am Fraunhofer IGB mit der Entwicklung und Implementierung nachhaltiger Wassermanagement- und Wassernutzungssysteme beschäftigt. Zum einen kann das Wasser, aus dem die Pflanze die benötigten Nährstoffe zieht, im Kreislauf geführt, also immer wieder neu angereichert und verwendet werden, während es beim konventionellen Anbau im Boden versickert oder auch verdunstet. Dadurch erreicht das Wasser nicht die Pflanze, was zu einem höheren Wasserverbrauch führt. »Hier sind durch Hydroponie Wassereinsparungen von bis zu 90 Prozent möglich«, erklärt Beckett. Zum anderen benötigt diese Form des Anbaus deutlich weniger Fläche, kann durch Standortunabhängigkeit auch im urbanen Umfeld implementiert werden und erlaubt »vertical farming«, also den Anbau in der Vertikale.

Noch wichtiger in Sachen Wassereinsparung ist der Fakt, dass für den hydroponischen Anbau nicht zwingend Trinkwasser verwendet werden muss, sondern auch Abwasser, das natürlich vorab gereinigt und – etwa durch UV-Licht, Membran- oder Aktivkohlebiofilter – von Keimen und Schadstoffen befreit wurde. In dem Projekt HypoWave sowie dem Nachfolgerprojekt HypoWave+, in denen sich das Fraunhofer IGB einbringt, werden Lösungen entwickelt für eine hydroponische Pflanzenproduktion bei Nutzung von kommunalem Abwasser als Bewässerungsquelle. »Anstatt Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphor, Kalium oder Calcium energieintensiv aus dem Abwasser zu entfernen, überlassen wir den Pflanzen diese Aufgabe«, erklärt Beckett. Im Landkreis Gifhorn wird dieser Ansatz bereits pilotartig umgesetzt.

 

Den Pflanzenbedarf passgenau stillen

Dafür will Mikrobiologe Dr. Lukas Kriem außerdem Abfallstoffe zur Produktion von Nährstofflösungen für die Hydroponie nutzen: »Kalium etwa lässt sich relativ einfach aus Abfall wie Bananen- und Kartoffelschalen lösen. Schwieriger wird es bei der Rückgewinnung von Phosphat und Nitrat aus Abfällen und Abwasser. Hier arbeiten wir an den Entwicklung geeigneter mikrobiologischer Prozesse.« Geboren ist dieser Forschungsansatz aus einer Notwendigkeit: Bei einem Projekt in einem Flüchtlingslager in der Sahara suchten die Wissenschaftler Beckett und Kriem nach einem Weg, mit den Akteuren vor Ort ein hydroponisches System weiterzuentwickeln, sodass auch Gemüse und Kräuter mit Hydrokultur wachsen können. In dem Folgeprojekt NexusHub wurde seitens des Fraunhofer IGB mit der Weiterverwertung von Tier- und Knochenmehl im hydroponischen Anbau von Gemüse experimentiert und Prozesse erarbeitet, um aus organischen Reststoffen eine hydroponische Nährstofflösung für den Anbau von Koriander und Grünkohl zu erzeugen. Die dafür benötigte Energie soll eine Photovoltaikanlage liefern, die vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT entwickelt wird, sodass diese Anbauweise auch in entlegenen Regionen nachhaltig realisierbar ist. Umgesetzt wurde dieser Ansatz bereits im Pilotmaßstab in Kenia. Kriem: »Wir wollen robuste Lösungen entwickeln, mit deren Hilfe auch Substanzen wertvoll werden, die bislang keinen Wert haben.«

Dr. Lukas Kriem.
© Enver Hirsch
Nutzt neue Nährstoffquellen: Dr. Lukas Kriem.

Jenseits von Afrika wächst die Bedeutung einer effizienten und kostengünstigen Abwasseraufbereitung ebenfalls. Und das nicht nur, weil durch Brauchwasser aus Haushalt und Industrie belastende Substanzen wie Mikroplastik oder die Ewigkeitschemikalien PFAS in die Umwelt gelangen. Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT hat im Verbundprojekt ROOF WATER-FARM ein Verfahren entwickelt, mit dem sogenanntes Schwarzwasser – Abwasser aus der Toilette – dezentral aufbereitet und für die Gemüseproduktion verwendet werden kann. Im Projekt SUSKULT beschäftigen sich die Forschenden mit der Einbindung von Kläranlagen in die Agrarwirtschaft. Denn ob Nährstoffe, Wasser, Wärme oder CO2: All die Ressourcen, die in der Landwirtschaft benötigt werden, sind in Kläranlagen vorhanden. Auch das Fraunhofer IGB setzt im Projekt RoKKa auf die Umgestaltung von Kläranlagen hin zu Abwasser-Bioraffinerien inklusive Nutzung von Rest- und Abfallstoffen: In sechs Pilotanlagen demonstrieren die Forschenden auf der Kläranlage Erbach in Baden-Württemberg die Produktion von Wertstoffen aus Klärschlamm. »Vor allem der im Schlammwasser hochkonzentriert vorliegende Stickstoff ist interessant«, erklärt Marius Mohr. Üblicherweise wird Stickstoff energieintensiv zu Düngungszwecken aus der Luft gewonnen. Eine frühe Abtrennung von Stickstoff könnte außerdem die Emissionen des üblicherweise beim Abbau entstehenden klimaschädlichen Lachgases verhindern.

Industrie: Wasser im Kreis führen, Rohstoffe zurückgewinnen

Die in der Fraunhofer-Allianz SysWasser vereinten Forschungsinstitute fahnden auch nach Innovationen zur Aufbereitung von industriellen wie kommunalen Abwasserströmen, sodass das Wasser dem produzierenden Gewerbe oder der Landwirtschaft erneut zur Verfügung gestellt und dadurch im Kreislauf geführt werden kann. Der Hebel für ein nachhaltiges Wassermanagement ist hier groß: In Deutschland liegt der Wasserverbrauch des produzierenden Gewerbes bei 4,5 Milliarden Kubikmetern jährlich. Parallel zum Bestreben, Wasser einzusparen, wächst in der Wirtschaft das Bewusstsein dafür, dass im Prozesswasser oftmals Chemikalien oder Reststoffe enthalten sind, die industriell erneut genutzt werden könnten. Aus Abwässern metallverarbeitender Betriebe könnten sogar teure Rohstoffe wie Silber oder Kupfer extrahiert und wieder dem Stoffkreislauf zugeführt werden. Dieser Aspekt macht die Rückgewinnung nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen spannend.

Was steckt im Wasser? Um das herauszufinden, wurde am Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS eine Integrationstechnologie entwickelt, mit der künftig mit nur einem Sensorchip kontinuierlich parallel und in Echtzeit Wasserparameter wie pH-Wert, Nitrat-, Phosphat- und Kaliumkonzentration gemessen werden können. Auf dem Chip sind mehrere sogenannte ionensensitive Feldeffekttransistoren (ISFETs) integriert, mit deren Hilfe sich die Konzentration zahlreicher Ionen im Wasser bestimmen lässt. Dr. Olaf R. Hild, Leiter des Geschäftsfelds Chemische Sensorik am Fraunhofer IPMS, ist überzeugt: »Ein derartiges Messsystem eröffnet neue Möglichkeiten für Anwendungen in der Umweltanalytik, der Land- und Wasserwirtschaft sowie im stark wachsenden Markt der Indoorfarming-Anwendungen.«

Forschende des Fraunhofer-Instituts für Keramische Technologien und Systeme IKTS haben auf dem Gelände des Gemeinschaftsklärwerks Bitterfeld-Wolfen eine Technologie-Plattform errichtet, um unterschiedliche Reinigungsverfahren für die Bedarfe der Industriekunden zu entwickeln und zu testen. Die Kläranlage ist eine der größten in Mitteldeutschland, hier laufen die Abwässer von knapp 300 Betrieben eines nahen Chemieparks ein. Durch die Kombination weiterentwickelter Keramikmembranen mit elektrochemischen, sonochemischen und photokatalytischen sowie biologischen Prozessen lassen sich auch extrem heterogen zusammengesetzte Prozesswasser bedarfsgerecht filtern und aufbereiten. Das Ergebnis: Wasser und Wertstoffe – beides bereit für den Wiedereinsatz.

Der Kreislaufansatz kann selbst nachhaltige Produkte noch nachhaltiger machen. Beispiel Photovoltaik: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute für Bauphysik IBP und für Solare Energiesysteme ISE haben zusammen mit der TU Berlin und der Rena Technologies GmbH ein Modell der Wasserflüsse in einer 5-Gigawatt-Solarzellen-Fabrik erstellt. Auf dieser Grundlage prüften sie die Einführung unterschiedlicher Strategien zur zirkulären Wassernutzung. Das Ergebnis: Wassereinsparungen in der Solarzellen-Fertigung von bis zu 79 Prozent und eine Abwasserreduzierung von bis zu 84 Prozent wären bereits mit heutigen Produktionstechnologien technisch möglich. Dies erleichtert den Bau neuer Solarzellen-Fabriken auch an Standorten mit weniger Wasserverfügbarkeit.

»Empfehlen können wir zwei Ansätze: Die Wiederverwendung leicht kontaminierten Abwassers (low contaminated wastewater, LCR) und den sogenannten ›Minimal Liquid Discharge‹ (MLD), bei dem bestimme Reststoffe anderweitig wiederverwertet werden«, erklärt Peter Brailovsky vom Fraunhofer ISE. So könne man etwa zurückbleibende Ätzlösungen noch in der Zementfertigung nutzen.

Dr. Cleis Santos.
© Enver Hirsch
Lichtblick: Dr. Cleis Santos forscht am Fraunhofer IFAM an der Rückgewinnung kritischer Materialien aus Abwasser durch elektrochemische Prozesse.

Aus dem Alten schöpfen: Eine ähnliche Bedeutung kommt in naher Zukunft der Wiederaufbereitung von Wasser zu, das beim Recycling von Lithium-Ionen-Batterien benötigt wird. In dem Abwasser finden sich gelöste Metallionen wie Lithium, Nickel, Kobalt, Kupfer und Aluminium – oder kurz gesagt: kritische Materialien, die für die Batterieherstellung bedeutsam sind, die Deutschland aber meist teuer importieren muss. Am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM arbeitet die spanische Chemieingenieurin Dr. Cleis Santos im Projekt MeGaBatt an elektrochemischen Technologien, mit denen sich das Prozesswasser aus dem Batterierecyclingprozess umweltfreundlich und kostengünstig so aufbereiten lässt, dass auch die kritischen Rohstoffe im Kreislauf gehalten werden. »Dass dies im Labormaßstab funktioniert, wissen wir bereits«, erklärt sie. »Doch unser Ziel ist, am Ende des Projekts 2028 eine Pilotanlage errichtet zu haben, die belegt, dass diese Methode auch im großen Maßstab wirtschaftlich einen Sinn ergibt.« Laut Prognosen wird die Menge der zu recycelnden Batterien in Europa von aktuell 50 Kilotonnen auf 2100 Kilotonnen im Jahr 2040 ansteigen. Ein smartes Batterierecycling könnte mittelfristig die Abhängigkeit von Batteriematerial-Importen zumindest ein Stück weit verringern. Das Projekt MeGaBatt ist Teil der Initiative »BattFutur«, mit der das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter dem Dachkonzept »Forschungsfabrik Batterie« den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Batterieforschung fördert.

Die elektrochemische Entionisierung von Wasser, bei der Ionen über Elektroden aus dem Wasser entfernt werden, ist laut Santos auch für andere Abwasserproduzenten wie etwa Kliniken interessant – und für die Entsalzung von Meerwasser. Mehr Wasser aus Meerwasser? Das klingt verführerisch. Tatsächlich produzieren bereits 22 000 Entsalzungsanlagen weltweit Trinkwasser und Betriebswasser aus dem Nass der Ozeane. Doch die bisherigen Technologien – thermische Entsalzung sowie das Pressen von Meerwasser durch eine Membran, die Salze zurückhalten kann – sind sehr energieintensiv und dadurch teuer. Eine Entsalzung auf elektrochemischem Weg benötigt weniger Energie, betont Cleis Santos. Für Marius Mohr vom Fraunhofer IGB steht fest, dass an dieser Stelle dringend neue Konzepte entwickelt werden müssen. Denn auch wenn wir in Deutschland in naher Zukunft vermutlich kein entsalztes Meerwasser trinken müssen: »Wasser ist kein nationales Problem mehr, sondern muss als eine globale Herausforderung verstanden werden.« Der Bauingenieur beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit den großen Fragen rund um das Thema Wasser. Trockene Forschungsroutine? Die Gefahr sieht Mohr nicht: »Es fühlt sich bis heute wie Pionierarbeit an.«

Ansprechpartner

Contact Press / Media

Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas Rauschenbach

Sprecher der Fraunhofer-Allianz SysWasser

Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB
Am Vogelherd 50
98693 Ilmenau

Telefon +49 3677 461-124

Contact Press / Media

Dr.-Ing. Ursula Schließmann

Geschäftsführerin (komm.) Fraunhofer-Allianz SysWasser

Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB
Nobelstraße 12
70569 Stuttgart

Telefon +49 711 970-4222

Fax +49 711 970-4200