Langsam senken sich die Spitzen des Pipettierroboters über die kleinen Reagenzgläser, in denen sich Gewebeproben befinden. Sie tropfen eine Lösung hinein, die das Gewebe auflöst. Fast lautlos bewegen sich die Pipettenspitzen nach oben, während die Reagenzgläser auf dem Fließband schon zur nächsten Station fahren. Vollautomatisch wird die Probe Schritt für Schritt mit Reagenzien versetzt, zentrifugiert und gereinigt, bis zum Schluss die reine RNA vorliegt.
Die RNA ist das Untersuchungsobjekt im Projekt RIBOLUTION, das seit 2011 am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI in Leipzig läuft und von der Fraunhofer-Zukunftsstiftung gefördert wird. RNA ist ganz ähnlich wie DNA aufgebaut. Während die DNA im Zellkern sitzt und die Erbinformation trägt, hat die RNA in der Zelle unterschiedliche Aufgaben. Am bekanntesten sind die Messenger-RNAs, die den Code für die Proteinsynthese beinhalten. Noch nicht so lange bekannt sind die »non-coding RNAs« – kurz »ncRNAs«, die ganz unterschiedliche Prozesse in den Zellen regulieren. Das macht sie für die Forschung interessant. Der Gedanke, der dahintersteht: Ist durch eine Erkrankung die Regulation in der Zelle aus dem Gleichgewicht, sieht man das am Profil der ncRNAs.
Mit dieser Hypothese im Kopf machte sich das Team um Prof. Friedemann Horn am Fraunhofer IZI auf die Suche nach Biomarkern für die Diagnose von Prostatakrebs. Ein zuverlässiger Test ist dringend nötig, da der zurzeit gebräuchliche PSA-Test zu oft für falschen Alarm sorgt. »Bei einem erhöhten PSA-Wert erfolgt in der Regel eine Biopsie«, berichtet Horn. »In Deutschland werden pro Jahr über 200 000 Prostata-Biopsien gemacht. Der Verdacht auf ein Karzinom bestätigt sich nur bei rund 67 000 Patienten.« Ein Großteil der Biopsien ist also unnötig.
Im ersten Schritt isolierte das RIBOLUTION-Team aus Tumorproben, gutartigen Wucherungen und gesundem Gewebe die gesamte RNA. Das können pro Gewebeprobe mehrere Hunderttausend verschiedene Moleküle sein. Diese Moleküle wurden sequenziert und miteinander verglichen. Dann untersuchten die Forscher, welche ncRNAs in den jeweiligen Proben besonders häufig waren. Um die großen Probenmengen bearbeiten zu können, wurde in Kooperation mit anderen Fraunhofer-Instituten und der Industrie der gesamte Prozess mit Pipettierrobotern automatisiert und damit eine Plattformtechnologie für die RNA-Analyse geschaffen.
»Wir haben rund zehn ncRNA-Moleküle identifiziert, die als Biomarker geeignet sind. Sie bilden die Basis für einen Test zur Diagnose von Prostatakrebs im Urin«, sagt Friedemann Horn. Mit der Markteinführung rechnet er im Jahr 2020. Dann wird auch ein ncRNA-Test auf den Markt kommen, mit dem sich voraussagen lässt, ob ein Prostatakarzinom aggressiv ist und sofort operiert werden muss oder ob es nur langsam wächst und man eventuell auf eine OP verzichten kann.
Mit dem automatisierten Verfahren kann man jetzt relativ schnell neue Biomarker für die verschiedensten Erkrankungen finden. Interessant ist die Plattformtechnologie auch für Pharmafirmen, die Tests entwickeln, mit denen sich die Wirksamkeit neuer Medikamente in klinischen Studien beobachten lässt. Forschungen an Diagnostik und Therapie wachsen immer mehr zusammen. Nirgendwo sind sie enger verbunden als in den theranostischen Implantaten – Implantaten, die Therapie und Diagnose in einem System vereinen. Am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT in St. Ingbert wird ein solches Implantat entwickelt. mehr Info
Im Center wurde in enger Zusammenarbeit von 5 Fraunhofer-Instituten und mehreren Universitäten am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI in Leipzig aufgebaut. Die Wissenschaftler entwickeln neuartige Biomarker auf der Basis von Ribonukleinsäuren. Zurzeit stehen Entwicklungsprogramme in den Bereichen Prostatakrebs, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung und Infektionserkrankungen im Mittelpunkt der Aktivitäten.
Im Fraunhofer-Leitprojekt »Theranostische Implantate« haben sich zwölf Fraunhofer-Institute unter Federführung des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT zusammengeschlossen, um intelligente Implantate zu entwickeln. Bislang gibt es vor allem rein passive Implantate, zu denen zum Beispiel Knochenplatten zählen. Intelligente »Theranostische Implantate« gewinnen zunehmend an Bedeutung, denn diese vereinen Diagnostik und Therapie in einem medizintechnischen Produkt. In einem geschlossenen Regelkreis erfassen sie Vitalparameter und leiten auf dieser Grundlage therapeutische Maßnahmen ein.