Theranostische Implantate gehören aufgrund ihrer Komplexität und Invasivität zu den anspruchsvollsten medizintechnischen Systemen. Daher müssen sie bereits in der Entwicklungsphase im Labor umfänglich getestet werden. Dies ist die Aufgabe von Dmitry Amelin, Biomedizin-Ingenieur am Fraunhofer IBMT. Für die Tests klebt er sich acht Elektroden an den linken Unterarm. Die Elektroden führen zu einem kleinen Kästchen, das vor ihm auf dem Schreibtisch liegt. Amelin führt Daumen und Zeigefinger zu einem Pinzettengriff zusammen und beobachtet auf dem Monitor die Signale, die die Elektroden von seinen Muskeln ableiten. »Wir arbeiten an der Steuerung für eine Handprothese«, erklärt Amelin. »Das kleine Kästchen enthält die gesamte Steuerelektronik und soll dem Patienten später in den verbliebenen Unterarm implantiert werden.«
In dem kleinen Kästchen steckt auch die jahrzehntelange Erfahrung des IBMT mit dem Bau intelligenter Implantate. Dazu gehören die drahtlose Signal- und Energieübertragung sowie Aufbau- und Verbindungstechnik einschließlich biokompatibler Verkapselung. Eine besondere Kunst ist die Entwicklung und Herstellung der Elektroden, mit denen die Implantate mit dem menschlichen Nervensystem kommunizieren.
In den Laborversuchen für die Steuerung der Handprothese werden die Elektroden noch von außen auf die Muskeln geklebt. Bei den handamputierten Patienten will man sie später direkt unter die Muskelhaut implantieren. Spannt der Patient die Muskeln so an, als wolle er mit der Hand einen Pinzettengriff machen, erkennt die Software der Implantatelektronik das Bewegungsmuster und sendet die entsprechenden Steuersignale an die Prothese, die dann auch Daumen und Zeigefinger zusammenführt.
Dies ist die eine Richtung der Kommunikation zwischen Mensch und Prothese. »Das Bahnbrechende an unserem Design ist, dass die Prothese dem Träger auch ein sensorisches Feedback gibt«, erklärt Prof. Klaus-Peter Hoffmann, Hauptabteilungsleiter Biomedizintechnik am IBMT. Dazu werden in die Prothese Sensoren eingebaut und über die Implantatelektronik mit dem menschlichen Nervensystem verbunden. »Wir haben haarfeine doppelseitige Filamentelektroden entwickelt, die man direkt im Nerv fixieren kann«, ergänzt Hoffmann. Auf diese Weise soll der Patient zum Beispiel spüren können, wie fest er mit der Prothese zugreift. Und das in Echtzeit. Bis es in der Praxis so weit ist, werden sicher noch zehn bis fünfzehn Jahre vergehen. Zurzeit laufen die ersten präklinischen Versuche.
Mit der Steuerung von Handprothesen beschäftigt sich Hoffmanns Team bereits seit 2002 in vielen Projekten. Wichtige Fortschritte gelangen jetzt im Fraunhofer-Leitprojekt »Theranostische Implantate«, in dem das IBMT mit zwölf weiteren Fraunhofer-Instituten zusammenarbeitet. In diesem Leitprojekt entwickelte eine Forschergruppe eine intelligente Hüftprothese. Sie ist mit Sensoren und Aktoren ausgestattet, mit denen der Arzt den Sitz der Prothese überwachen und bei Bedarf nachjustieren kann. Im dritten Teilprojekt entstand ein Sensorimplantat zur kontinuierlichen Kontrolle des Blutdrucks.
Im Implantat, das Dmitry Amelin testet, sind die Elektroden noch per Kabel mit dem Implantat verbunden. Nächstes Ziel ist die Entwicklung von Mikro-Implantaten, bei denen Elektrode und Implantat verschmelzen. So kann man auf Kabel und Steckverbindungen verzichten. Voraussetzung für synchronisierte Aktivitäten ist die drahtlose Kommunikation zwischen den Mikro-Implantaten. Dafür will Hoffmann aber nicht die üblichen Funksignale nutzen. Aus einem erschreckenden Grund: »In den USA wurden bereits Herzschrittmacher gehackt. Im Internet kursieren auch Anleitungen zum Hacken von Cochlea-Implantaten für Gehörlose.« Im neuen Projekt »I-call« erforscht das IBMT daher die Kommunikation intelligenter Implantate per Ultraschall.
Sicherheit bei der Übertragung und Speicherung sensibler Daten wird immer wichtiger. Daher entwickelt Fraunhofer mit Partnern aus dem Gesundheitswesen den Medical Data Space. Wenn unterschiedliche medizinische Daten auf einer IT-Plattform miteinander verknüpft werden, kann das für Diagnose und Therapie große Vorteile bringen.
Im Fraunhofer-Leitprojekt »Theranostische Implantate« haben sich zwölf Fraunhofer-Institute unter Federführung des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT zusammengeschlossen, um intelligente Implantate zu entwickeln. Bislang gibt es vor allem rein passive Implantate, zu denen zum Beispiel Knochenplatten zählen. Intelligente »Theranostische Implantate« gewinnen zunehmend an Bedeutung, denn diese vereinen Diagnostik und Therapie in einem medizintechnischen Produkt. In einem geschlossenen Regelkreis erfassen sie Vitalparameter und leiten auf dieser Grundlage therapeutische Maßnahmen ein.