Die meisten Flugzeuge zapfen die Luft zur Versorgung und Druckregulierung der Passagierkabine direkt aus dem Triebwerk ab. Unter ungünstigen und seltenen Umständen enthält diese Zapfluft (engl. Bleed Air) Triebwerks- und Hydrauliköle oder Enteisungsmittel, die in die Flugzeugkabinen gelangen, die Qualität der Kabinenluft beeinträchtigen und ungewöhnliche Gerüche verursachen können. Man spricht hier von sogenannten Fume und Smell Events. Welche Mengen an Abbauprodukten sammeln sich in der Kabinenluft? Durch welche Maßnahmen kann man mögliche gesundheitliche Risiken verringern? Dies ist bislang nicht geklärt: Die seltenen Fume Events sind nicht vorhersehbar, daher ist es auf regulären Flügen nicht möglich, damit verbundene Schadstoffe in der Kabinenluft zu identifizieren und zu quantifizieren.
Der Frage, ob eine durch Triebwerksöle kontaminierte Kabinenluft die Gesundheit des Bordpersonals und der Passagiere beeinträchtigen könnte, wie man dies vermeiden und Risiken rechtzeitig erkennen kann, widmen sich Forschende des Fraunhofer IBP. Mit ihrer Testeinrichtung Bleed Air Contamination Simulator (BACS) sind sie in der Lage, die Druck- und Temperaturverhältnisse der Luftversorgung nachzubilden und die Luft gezielt mit Ölen und Enteisungsmitteln zu kontaminieren. Die Triebwerksöle werden in definierten Mengen in heiße, komprimierte Luft eindosiert, sodass sie den gleichen Zerfallsprozessen ausgesetzt sind wie in der Zapfluft. Damit ist eine genaue Analyse der Abbauprodukte möglich, die unter ungünstigen Umständen in die Kabine und das Cockpit gelangen können. »Fume Events treten unerwartet und selten auf, daher können sie mit einer vorher festgelegten Anzahl an Testflügen nicht erfasst werden. Mit unserer Testeinrichtung können wir die wichtigen Untersuchungen am Boden durchführen und diese beliebig wiederholen. Das spart Kerosin, Emissionen und Kosten«, sagt Dr. Christian Scherer, Leiter der Abteilung »Umwelt, Hygiene und Sensorik« am Fraunhofer IBP. Die zwanzig Meter lange, zwei Meter breite und zwei Meter hohe Testeinrichtung bietet die Möglichkeit, an 40 Anschlussstutzen Proben für die Online-Analytik und für Laboruntersuchungen zu entnehmen. Der Luftdurchsatz beträgt bis zu 300 kg/h und entspricht somit einem Fünftel des Luftumsatzes in einem Langstreckenflugzeug.
Ob die thermischen Zersetzungsprodukte der Triebwerksöle toxisch wirken, untersuchen die Forschenden am IBP derzeit unter anderem gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM im Projekt CAQ III (kurz für engl. »cabin/cockpit air quality«), das von der EASA initiiert wurde. Ziel ist es, wissenschaftlich fundierte Daten über Fume Events zu gewinnen, um die Grundlage für eine umfassendere Bewertung von Gesundheitsrisiken zu schaffen und die Entwicklung von Luftfahrtstandards in diesem Bereich zu unterstützen. »Der Verdacht, dass Zersetzungsstoffe von Triebwerksölen wie etwa organische Säuren (z. B. Pentansäure) oder Spuren von Organophosphaten (z. B. Tricresylphosphat) neurotoxisch wirken könnten, hat sich in unseren Tests bislang nicht bestätigt«, sagt Dr. Florian Mayer, Kollege von Dr. Scherer. Nennenswerte Mengen an Feinstaubpartikeln der Größenklassen PM10 oder PM2.5 entstehen nicht. Allerdings steigt die Konzentration an ultrafeinen Partikeln mit einem Durchmesser < 0,1 µm stark an. Desweiteren ließ sich kein Anstieg von CO und CO2 feststellen. Detailliertere Ergebnisse stehen jedoch noch aus und werden im Lauf des Jahres 2025 erwartet.
Testeinrichtung mit Alleinstellungsmerkmal
Um die Analysen durchführen zu können, wird zunächst die Umgebungsluft von einem Kompressor angesaugt. Der Lufterhitzer bringt die Luft je nach Bedarf auf bis zu 590 °C. Danach werden in die heiße, auf bis zu 8 bar komprimierte Luft Kontaminationsflüssigkeiten in verschiedenen Konzentrationen eindosiert. Nachdem das Öl-Luft-Gemisch durch einen Mischer strömt, auf 3 bar entspannt und in einem ersten Wärmetauscher abgekühlt wird, können die Forschenden eine erste Probe entnehmen. Der Luftstrom wird nun in einem zweiten Wärmetauscher weiter abgekühlt und auf Umgebungsbedingungen entspannt, bis er Raumtemperatur erreicht. In diesem Bereich können nun etwa Partikelproben gezogen werden. Der nachgeschaltete 300-Liter-Kessel simuliert die Flugzeugkabine.
»Unsere Anlage ist in ihrer Art einzigartig, und ihre Anwendungsbereiche sind breit gefächert. Wir simulieren nicht nur den Abbau von Flugzeug-Betriebsmitteln. Vielmehr bietet die Testeinrichtung uns und potenziellen Kunden die Möglichkeit, unterschiedliche Behandlungstechnologien, wie sie im Flugzeug vorkommen, hinsichtlich ihrer Effektivität zu testen«, so Scherer. Mit der verunreinigten Luft lassen sich auch Luftreinigungssysteme wie Filter, Katalysatoren und Konverter auf ihre Wirksamkeit prüfen. Ebenfalls können Sensoren auf ihr Ansprechverhalten gegenüber den Verunreinigungen untersucht werden. »Dass unsere Messungen präzise und realitätsnah sind, konnten wir vielfach nachweisen«, so Mayer.