Menschen in der Forschung 2022

»Wenn Sie mich vor 2019 gefragt hätten: Fühlen Sie sich sicher in Deutschland?, hätte ich gesagt: Hundertprozentig!«, bemerkt Prof. Dr. Dr. Michael Lauster, stellvertretender Sprecher des Fraunhofer-Leistungsbereichs Verteidigung, Vorbeugung und Sicherheitsforschung VVS. Inzwischen würde der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich- Technische Trendanalysen INT anders antworten. Das liegt an der Pandemie und am Umgang mit der Flutkatastrophe im Ahrtal und an der Erft, die große Teile seines Instituts in Euskirchen zerstörte, am Angriffskrieg gegen die Ukraine und an den Anschlägen auf Infrastrukturen wie Nord Stream 1 oder auf die Deutsche Bahn im Oktober 2022. Zu denken gibt ihm, dass die Vorbereitung auf Notsituationen erhebliche Lücken aufweist: Vom Maskenmangel bei Ausbruch von Corona bis hin zu gemeindegenauen Wettervorhersagen vor der Flutkatastrophe 2021, die nicht in entsprechenden Katastrophenwarnungen resultierten. Lauster kennt die Folgen: Am eigenen Haus und am Institut, das er leitet, wurden Keller und Erdgeschoss zerstört. Insbesondere die kritischen Infrastrukturen sieht der Sicherheitsforscher gegenwärtig in großer Gefahr und merkt an: »Dabei leben wir in einem Land, das hochmodern ausgerüstet ist, etwa mit Rettungskräften, deren Anspruch es ist, in sieben Minuten vor Ort zu sein.

Michael Lauster hält neben der Leitung des Fraunhofer INT einen Lehrstuhl für Technologieanalyse und -vorausschau an der Fakultät für Maschinenwesen der RWTH Aachen University. Im Anschluss an seine Offiziersausbildung folgte ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität der Bundeswehr München. Nach der Promotion über irreversible Thermodynamik habilitierte er in Statistik.

Seit Februar 2014 ist Lauster Sprecher der Fraunhofer AVIATION & SPACE. »In jeder zweiten ESA-Mission in den letzten 20 Jahren waren Fraunhofer-Technologien an Bord!«, betont der Luft- und Raumfahrttechniker. Inzwischen spiele Fraunhofer eine wichtige Rolle in der europäischen Raumfahrt sowie beim Schutz kritischer Infrastrukturen.

Lösungen dazu eröffnet »New Space«: Neueste Technologien und das Vordringen privater Unternehmen mit ihren Investitionen können die Dienstleistungen bisheriger Satellitensysteme ergänzen mit neuen Optionen für Kommunikations-, Zeit- und Navigationsdienste oder für die Erdbeobachtung: Etwa durch Flotten kleiner, seriengefertigter Satelliten wie die Plattform ERNST des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI. »Solche Nanosatelliten können uns beim Klima- und Katastrophenschutz helfen. Oder indem sie große Gebiete wie die Kommunikationsleitungen in den Weltmeeren überwachen und Störungen aufdecken«, erklärt Michael Lauster.

Als Sicherheitsforscher beleuchtet Michael Lauster »die Sicherheit« – das Englische unterscheidet zwischen Safety und Security – nicht nur von vielen Seiten, sondern auch über lange Zeitläufe: »Erst für uns, für die die Zukunft offen und durch gegenwärtige Handlungen gestaltbar ist, ergibt es Sinn, sich über Bedrohungen durch zukünftige Ereignisse und deren Vermeidung Gedanken zu machen.« Was der Wissenschaftler vermisst, ist eine quantifizierte Theorie der Sicherheit. »Kann aus den Investitionen in die Sicherheitsarchitektur ein Maß gewonnen werden, das Rückschlüsse auf die Resilienz eines Systems zulässt?«