Energiesouveränität – langfristig durch Kernfusion?

Zuverlässige Energieversorgung ist weltweit ein wesentlicher Wohlstandsfaktor. Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge steigt der globale Energiebedarf bis 2050 um bis zu 30 Prozent. Laut Prognosen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE verdoppelt sich der Stromverbrauch allein in Deutschland bis zum Jahr 2050. Zusätzlich zu diesem Anstieg besteht die Herausforderung, den Energiebedarf künftig dauerhaft wettbewerbsfähig und klimaneutral zu decken. Besonders die Industriestaaten benötigen dafür zukunftstaugliche Konzepte und Lösungen für zusätzliche Stromquellen, die grundlastfähig sind und den Strommix der Zukunft CO2-neutral ergänzen.
 

Kernfusion als Schlüsseltechnologie

Kernfusion bietet nicht nur großes Potenzial für die Energiegewinnung, sondern auch hinsichtlich der Schaffung neuer Märkte für Schlüsseltechnologien für Fusionskraftwerke. Mit der weltweit erstmaligen Zündung eines brennenden Plasmas bei der lasergetriebenen Trägheitsfusion an der National Ignition Facility (NIF) im Dezember 2022 gelang ein bemerkenswerter wissenschaftlicher Durchbruch. Zusätzlich wurden maßgebliche Fortschritte in der Magnetfusion erzielt, wie etwa über 5,2 Sekunden die Freisetzung von 69 Megajoule aus einem magnetisch eingeschlossenen Plasma am Joint European Torus (JET) im Oktober 2023. Diese Entwicklungen haben weltweit das Interesse der Öffentlichkeit und der Industrie an der Energiegewinnung aus Kernfusion geweckt.

Für die Magnet- und Laserträgheitsfusion sind noch signifikante Technologieentwicklungen erforderlich, um zukünftig Fusionskraftwerke zu realisieren. Es ist wichtig, dass Lösungskonzepte kontinuierlich unter Berücksichtigung des Fortschritts der Technik auf ihre Wirtschaftlichkeit hin evaluiert werden. Um diese Forschung und Evaluation zielgerichtet und marktorientiert voranzubringen, ist eine enge und frühzeitige Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie unerlässlich. Die Fraunhofer-Gesellschaft bringt ihre Kompetenzen und ihr Know-how in der angewandten Forschung sowie im Technologietransfer für die Kernfusion ein, um dieses Ziel zu erreichen.
 

Förderprogramm Fusion 2040

Die deutsche Industrie und Forschungslandschaft nehmen eine Spitzenposition bei der Entwicklung von Schlüsseltechnologien ein. Gemeinsam mit Unternehmen möchte die Fraunhofer-Gesellschaft dem Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF an das deutsche Wissenschaftssystem nachkommen, Schlüsseltechnologien von der Grundlagen- in die angewandte Wissenschaft zu überführen, neue Märkte frühzeitig zu adressieren und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu stärken. Ziel des aktuell veröffentlichten Förderprogramms Fusion 2040 ist es, ein Innovationsökosystem für die Fusion aufzubauen und im Rahmen von Public-Private-Partnerships anwendungsorientierte Verbundforschung zu fördern.

 

Magnetfusion und Trägheitsfusion – verschiedene Ansätze der Energiegewinnung

Im Gegensatz zur Kernspaltung werden bei der Kernfusion leichte Atomkerne miteinander verschmolzen (fusioniert), wobei Bindungsenergie freigesetzt wird, die anschließend in nutzbare Energieformen überführt wird.

Die Umsetzung der Kernfusion auf der Erde ist technisch hochanspruchsvoll. Um die sich zunächst stark abstoßenden Atomkerne zu verschmelzen, müssen extrem hohe Drücke und Temperaturen (von ca. 150 Millionen °C) erzeugt und über gewisse Zeitperioden aufrecht erhalten werden. Die dabei entstehenden Plasmen können nicht mehr in materiellen Gefäßen eingeschlossen werden.

Aus diesem Grund werden bei der sogenannten Magnetfusion (MCF »Magnetic Confinement Fusion«) magnetische Felder zum Einschluss genutzt. Starke Energieverluste durch Emission von Lichtquanten im Röntgenbereich und Verlust von heißen Teilchen müssen durch stetiges Nachheizen kompensiert werden. In internationalen Großprojekten werden Forschungsreaktoren basierend auf verschiedenen Magnetfeldgeometrien betrieben, in denen der notwendige Plasmadruck bisher für Sekunden bis Minuten aufrechterhalten werden konnte. Eine positive Energiebilanz soll 2035 mit dem derzeit größten Forschungsinstrument ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) erreicht werden, der seit 2007 im südfranzösischen Forschungszentrum Cadarache von den Mitgliedstaaten der EURATOM, China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und USA betrieben wird.

Bei der Trägheitsfusion (IFE »Inertial Fusion Energy«) ist erst kürzlich ein wichtiger Durchbruch erreicht worden. Mit Hilfe einer Vielzahl von gepulsten Hochenergielasern wird das in kleinen Kapseln eingeschlossene Fusionsgemisch kurzzeitig auf die notwendige Dichte und Temperatur zur Verschmelzung komprimiert. Am Lawrence Livermore National Lab LLNL (Kalifornien, USA) wurde mit dieser Technik im Jahr 2021 weltweit erstmalig ein brennendes Fusionsplasma gezündet, das eine Fusionsenergie von 1,35 Megajoule (MJ) freisetzte, entsprechend etwa 70 Prozent der zur Kompression und Zündung genutzten Laserenergie. Folgeexperimente bauten das Verständnis der physikalischen Prozesse weiter aus. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurde am 5. Dezember 2022 die freigesetzte Fusionsenergie auf 3,15 MJ gesteigert, die durch eine Laserenergie von 2,05 MJ komprimiert und gezündet wurden. Der Netto-Energiegewinn beträgt so mehr als 150 Prozent. Damit konnte zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein brennendes Plasma im Labormaßstab auf der Erde gezündet werden, das mehr Energie durch Fusion freisetzte, als Laserenergie zur Kompression und Zündung eingestrahlt wurde. Dies ist ein entscheidender Meilenstein in der Fusionsforschung.

Die National Ignition Facility (NIF) ist eine experimentelle Versuchsanlage, die zur Erforschung und Generierung von brennenden Plasmen gebaut wurde. Eine Versuchsanlage zur Erforschung der Trägheitsfusion zur Energiegewinnung existiert noch nicht. Mit dem Ergebnis des NIF Experiments steht man jetzt an der Schwelle, diesen Pfad zu beschreiten und in der kommenden Dekade die erheblichen ingenieurwissenschaftlichen Herausforderungen zu lösen.

Erste privatwirtschaftliche Unternehmen, finanziert durch private Investoren, engagieren sich daher bereits auf diesem Gebiet. Derzeit sind über 30 Unternehmen im Bereich der magnetischen Fusionsenergie und der Magneto-Inertial-Technologien und 6 Unternehmen im Bereich IFE tätig. Die Gesamtinvestitionen sind nach Angaben der Fusion Industry Association (FIA) von 1,8 Milliarden Dollar in den letzten zwei Jahren auf heute über 4,7 Milliarden Dollar gestiegen. Vier der Start-ups sind in Deutschland ansässig.
 

Technologien made in Germany liefern relevante Beiträge zur Fusionsforschung

Deutschland verfügt bereits über umfangreiches Know-how in Schlüsseltechnologien, die für die Entwicklung der Kernfusion von Relevanz sind. Im Bereich des magnetischen Einschlusses sind zum Beispiel Forschende der Max-Planck-Gesellschaft weltweit führend. In der Lasertechnik und der optischen Industrie, die für die lasergetriebene Trägheitsfusion notwendig ist, belegt Deutschland eine internationale Spitzenposition. Die Fraunhofer-Gesellschaft forscht und ist weltweit führend in der Entwicklung von Höchstleistungs-Kurzpulslasern und vielen anderen optischen Technologien. Auch die Materialwissenschaften zählen zu den Kompetenzen der deutschen Forschungslandschaft auf diesem Gebiet.

In Anbetracht der jüngsten Erfolge ist es daher essenziell, Forschung und Entwicklung in diesem Technologiebereich weiter zu fokussieren und auszubauen. So können Deutschland und Europa auch langfristig zu einem zentralen Ausrüster auf dem Gebiet der Kernfusion werden.

Expertenkommission zur Laserfusion übergibt Memorandum / 22.5.2023

Pressemitteilung BMBF

Stark-Watzinger: Brauchen mehr Ambition auf dem Weg zu einem Fusionskraftwerk


Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingesetzte Expertenkommission zur Laserfusion hat ihr Memorandum an Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger übergeben. Das Memorandum beschreibt die Potenziale des Industrie- und Forschungsstandorts Deutschland mit Blick auf die Laserfusion und gibt Empfehlungen zur weiteren Erforschung und Umsetzung.

 

Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT Pressemeldung / 13.12.2022

Historischer Durchbruch in der Fusionsforschung: Laser haben die Kernfusion gezündet!

Laser haben einen Mini-Stern auf der Erde gezündet und damit den Grundstein für eine saubere Energiequelle der Zukunft gelegt: Ein historischer Durchbruch in der Trägheitseinschluss-Fusionsforschung an der National Ignition Facility im Lawrence Livermore National Lab und ein entscheidender Moment für die Photonik! Eine der vielversprechendsten Anwendungen der Lasertechnologie, die Realisierung der lasergetriebenen Fusion, hat einen historischen Durchbruch erzielt.

Was ist Kernfusion?

Kernfusion ist das Verschmelzen zweier leichter Atomkerne (meist Deuterium und Tritium) zu einem schweren Kern (Helium). Die Masse des schweren Kerns ist geringer als die Masse der beiden leichten Kerne zusammen. Dieser Massenunterscheid wird als nutzbarer Energie freigesetzt. Der Prozess imitiert die Energiequelle der Sonne und anderer Sterne und stellt damit eine nachhaltige Form der Energiegewinnung ohne direkte CO2-Emission und mit weithin verfügbaren Fusionsbrennstoffen dar.

Die Umsetzung der Kernfusion auf der Erde ist technisch hoch anspruchsvoll. Um die sich zunächst stark abstoßenden Atomkerne zum Verschmelzen zu bringen, müssen extrem hohe Drücke und Temperaturen (etwa 200 Millionen °C) über gewisse Zeitperioden aufrechterhalten werden. Die dabei entstehenden Plasmen lassen sich nicht mehr in materiellen Gefäßen einschließen. Wie Mitte Dezember 2022 bekannt wurde, gelang Fachleuten in den USA am Bundeslabor Lawrence Livermore National Laboratory vor Kurzem ein wissenschaftlicher Durchbruch: In einem experimentellen Fusionsreaktor konnte erstmals mehr Energie erzeugt als verbraucht werden.
 

Welche Vorteile birgt die Kernfusion?

Kernfusion besitzt prinzipiell hohes Potenzial zur nachhaltigen, standortunabhängigen Energiegewinnung. Aus einem Gramm Brennstoff kann in der Kernfusion genauso viel Energie gewonnen werden wie aus der Verbrennung von elf Tonnen Steinkohle. Dabei verursacht die Erzeugung keine direkten CO2-Emissionen wie z. B. bei Erdgas oder Kohle. Zusätzlich entstehen keine langlebigen radioaktiven Abfälle bzw. es besteht keine Gefahr einer Kettenreaktion und Kernschmelze wie bei der Kernspaltung.
 

Warum sollte sich Deutschland in der internationalen Forschung zur Kernfusion engagieren?

Deutschland importiert zurzeit ca. 70 Prozent der Primärenergieträger (Erdöl, Steinkohle, Erdgas, Uran); eigene Energieträger sind nur die Braunkohle (ca. 8 Prozent des Primärenergieverbrauchs) und regenerierbare Quellen (ca. 16,5 Prozent). Gleichzeitig machen wachsende Treibhauseffekte eine Reduktion der CO2-Emission dringend erforderlich, die derzeit hauptsächlich durch den Ausbau regenerativer Energiequellen umgesetzt wird. Kernfusion besitzt perspektivisch das Potenzial, mit überschaubarem Platzaufwand und unabhängig von Witterungsverhältnissen oder Zugriff auf lokale Ressourcen zuverlässig und sicher Energie zu produzieren.
 

Was kann Fraunhofer im Zusammenhang mit der Kernfusions-Technologie leisten?

Im Bereich der Kernfusion ist noch umfangreiche Vorlaufforschung erforderlich, die aber bereits im jetzigen Stadium mit Fokus auf Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit ausgelegt sein sollte. Gerade Entwicklungen in den Zuliefertechnologien, die für das Forschungsfeld nötig sind, bieten auch aktuell schon hohes Potenzial für Industriepartner. Die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihrer starken Anwendungsorientierung und Industrienähe bietet sich hier als Schnittstelle an.  

An mehreren Fraunhofer-Instituten arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler derzeit an Projekten, deren Ergebnisse Anwendung in der Fusionsforschung finden: So hat das Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV für das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) geeignete Herstellungsparameter für das selektive Laserstrahlschmelzen von Wolfram auf verschiedenen Laserstrahlschmelzanlagen erarbeitet. Wolfram, das Metall mit dem höchsten Schmelzpunkt, wird derzeit als unmittelbar plasmabelastetes Material für Wandkomponenten in Fusionsanlagen favorisiert.

Im Projekt CALORI entwickelte das Fraunhofer-Institut für Mikrotechnik und Mikrosysteme IMM spezielle Strahlungssensoren, sogenannte Bolometer, welche die aus dem Plasma abgestrahlte Leistung an verschiedenen Stellen des Reaktionsgefäßes bestimmen. In vielen weltweit in Betrieb befindlichen Fusionsforschungsanlagen stammen diese Strahlungssensoren heute vom Fraunhofer IMM. Für das derzeit im Bau befindliche, weltweit größte Fusionsexperiment ITER arbeitet das Fraunhofer IMM gemeinsam mit dem IPP an Bolometer-Sensorik, die die besonders anspruchsvollen Betriebsbedingungen erfüllen kann.