Gutes Geld – Nachhaltigkeit: So verbindet sie heute Ökologie & Ökonomie

Webspecial zur Titelstory des Fraunhofer-Magazins 1.2020

Dass Klimafreundlichkeit nicht gleich Verzicht bedeutet, beweisen Fraunhofer-Wissenschaftler in zahlreichen Projekten. Sie stellen zum Beispiel Chemikalien auf Basis von Bioorganismen her und verringern damit den Verbrauch fossiler Rohstoffe in der Kunststoffherstellung. Lasertechnik hilft, die wertvollen Rohstoffe aus dem Handy zu bergen. Und beim Schienenverkehr als der größte Stromverbraucher in Deutschland lassen sich durch wissenschaftliche Methoden Energie und Kosten einsparen.

 

Kunststoff im Kreislauf

Kunststoff im Kreislauf spart Kosten und ist gut für das Klima.

Schätze aus dem Smartphone

Recycling: So hilft Lasertechnik, die wertvollen Rohstoffe aus dem Handy zu bergen.

Energiesparen im Schienenverkehr

Um Sekunden optimierte Abfahrtzeiten haben das Potenzial, Städten Millionenbeträge zu sparen.
 

Prof. Julia Arlinghaus

»Das spart richtig Geld!«

Nachhaltigkeit mit dem Blick der Wirtschaft betrachten: Das empfiehlt Prof. Julia Arlinghaus, Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg.

 

Gerd Unkelbach

»Tue Gutes — und verdiene Geld damit!«

Vom Chemielaboranten zum Bioökonom: Diplomchemiker Gerd Unkelbach leitet das Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP. Chemie ist für den 40-Jährigen nicht das Problem – sie ist die Chance, die Probleme zu lösen.

Kunststoff im Kreislauf

Klimafreundlichkeit gleich Verzicht? Kunststoff im Kreislauf spart Kosten und ist gut für das Klima. Nachhaltigkeit schafft zahlreiche neue Geschäftsmodelle.

Deutschland ist spitze. 25 Prozent des Kunststoffs in Europa werden in Deutschland verbraucht. Nun will Deutschland auch die Spitzenposition im Kampf gegen den Plastikmüll einnehmen. 28 Konsumgüter- und Chemiekonzerne kündigten Anfang 2019 an, sich dem Problem stellen zu wollen. Die Dringlichkeit haben Fotos und Filmaufnahmen unübersehbar gemacht – sie zeigen qualvoll verendete Fische und Meeresvögel, verstorben am Plastik in den Meeren. Mehr als 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoffe wurden von 1950 bis 2015 produziert – das ist mehr als eine Tonne Plastik pro Mensch, der derzeit auf der Erde lebt. Nie waren diese Fragen so akut wie heute: Welche Technologien sind verfügbar, um die Probleme zu lösen? Wie steht es um die Wirtschaftlichkeit? Und: Welche neuen Geschäftsmodelle ergeben sich aus der aktuellen Nachhaltigkeitsdiskussion?

Ersetzen

Kunststoffe ersetzen | Biokunststoffe statt Plastik

Porsche verbaut bereits naturfaserverstärkte Kunststoffe in einer Kleinserie mit ein paar hundert Fahrzeugen. Der Porsche Cayman GT4 Clubsport ist seit Anfang 2019 zu kaufen. An neuen Verfahren, um fossil erzeugte Fasern zu ersetzen, arbeitet das Fraunhofer-Institut für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz-Institut, WKI. »Bei Leichtbauteilen für Flugzeuge und teurere Automodelle kommen vielfach carbonfaserverstärkte Kunststoffe zum Einsatz. Die Carbonfasern sind leicht und verleihen den Bauteilen die nötige Stabilität, sind allerdings extrem teuer und verschlingen bei der Produktion extrem viel Energie«, erläutert Ole Hansen, Wissenschaftler am Fraunhofer WKI. »Wir setzen daher stattdessen auf Naturfasern, etwa aus Holz, Hanf, Flachs oder Jute, die die an die Tür gestellten Anforderungen ebenfalls erreichen.« Bei Porsches Cayman macht das nicht nur ökologisch Sinn. Der ökonomische Vorteil der Ökologie: Naturfasern benötigen weniger Energie bei der Herstellung und der späteren thermischen Verwertung; sobald sie in Masse produziert werden, dürften sie deutlich kostengünstiger sein als Carbonfasern. Kunststoffe, die komplett aus biobasierten Materialien hergestellt sind – etwa aus Milchsäure -, sind im Preis heute noch nicht mit den Kunststoffen auf fossiler Basis konkurrenzfähig. Zudem müssen die biobasierten Kunststoffe mit bestehenden Verarbeitungstechnologien verarbeitet werden können und mit bekannten Polymeren und Materialien kompatibel sein.

Dennoch eröffnen sich bereits jetzt lukrative Geschäftsfelder: Und zwar überall dort, wo ökologisch orientierte Endkunden angesprochen werden – etwa bei Kinderspielzeug, Butterbrotdosen und Co. »Politische Rahmenbedingungen wie CO2-Abgaben und Emissionshandel können die Bedingungen weiter zugunsten der biobasierten Kunststoffe ändern und so eine breite, wirtschaftliche Anwendung erlauben. Schließlich haben diese Materialien einen deutlich kleineren CO2-Footprint«, erwartet Dr. Stephan Kabasci, Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT. Das Institut widmet sich daher unter anderem der Aufgabe, entsprechende Kunststoffe zu entwickeln: Die Forschenden setzen zum Beispiel aus biobasierten Molekülen größere Polymere zusammen, die als Additive in Klebstoffen oder biobasierten Schmierstoffen verwendet werden können.

Alternativen für fossile Rohstoffe

Das Problem des höheren Preises von Biokunststoffen löst sich, wenn Abfallstoffe in Kombination mit kostengünstigen Aufarbeitungsverfahren genutzt werden können – wie beim EU-Projekt HyperBioCoat der Fraunhofer-Einrichtung für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS. Die Forschenden nutzen Apfeltrester als Ausgangsmaterial für einen biobasierten und biologisch abbaubaren Polymergrundstoff.Diese Trester stehen nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelindustrie, sind in ausreichender Menge vorhanden und als Abfallprodukt kostengünstig zu beziehen. Das entstehende Hemicellulose-Produkt erlaubt verschiedene Anwendungen, angefangen von Beschichtungen, die Sauerstoff und Wasserdampf abschirmen, über Folien, Schalen und Flaschen aus Kunststoffen bis hin zu Naturwachsen, Papieradditiven und Kosmetikartikeln.

Ebenfalls auf Abfälle als Grundmaterial für Kunststoffe setzt das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB. Der Ansatz hier lautet: Verleiht man den biobasierten Kunststoffen besondere Eigenschaften indem man Moleküle aus der Natur nutzt, deren strukturelle Motive nicht leicht aus petrochemischen Quellen zugänglich sind, können sie sich potentiell aufgrund neuer Eigenschaften trotz eines höheren Preises gegenüber Erdölprodukten durchsetzen. Dieser Strategie folgen Forscher des Fraunhofer IGB gemeinsam mit der Technischen Universität München. Sie entwickelten eine neue biobasierte Polyamid-Familie ausgehend von Terpen-Naturstoffen durch eine industriell kompatible chemische Transformation. Die resultierenden Polyamide tragen nun strukturmerkmale der chemischen Ausgangsverbindungen. Anstelle einer linearen Polymerkette entsteht eine Kette, die viele kleine Ringe und weitere Seitengruppen beinhaltet – was dem Polymer völlig neue Eigenschaften verleiht. »Wir haben damit eine echte Alternative mit deutlichen Unterscheidungsmerkmalen zum bisherigen Stand der Technik geschaffen«, versichert Dr. Michael Richter, Innovationsfeldleiter am Straubinger Institutsteil des Fraunhofer IGB.

Auch aus industrieller Sicht punktet das Verfahren. Denn die moderne Synthese der Monomere findet in einem einzigen Reaktionsbehälter statt, was die Kosten erheblich reduziert. Auch lässt sich der Prozess leicht für große Mengen umsetzen und ist damit effizient. Dazu kommt: Der Ausgangsstoff – Terpentinöl – fällt bei der Zelluloseindustrie als Nebenprodukt in industriell relevanten Mengen an. Sinn macht der Ersatz fossil basierter Kunststoffe vor allem in volumenstarken Anwendungen – sprich dort, wo viel Kunststoff benötigt wird. »Wir schauen mit unserer Entwicklung beispielhaft auf Gemüsekisten, die mit etwa zwei Kilogramm Gewicht sehr materialintensiv sind – und hoffen auf Nachahmer in anderen Branchen«, sagt Christoph Habermann, Wissenschaftler am Fraunhofer WKI. Bis zu 30 Prozent des Kunststoffs ersetzen die Forschenden durch Holzfasern. Das Ergebnis: Das Material wird nicht nur umweltverträglicher, sondern die Rohstoffe sind auch um etwa 20 Prozent günstiger. Zu Testzwecken wurden bereits tausend Gemüsekisten produziert.

Nicht in allen Anwendungen jedoch lässt sich der Kunststoff als solcher ersetzen – sei es nun durch Biokunststoffe oder andere Materialien. In einer Pilotanlage des Fraunhofer-Zentrums für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna werden daher viel verwendete Plattformchemikalien, die bis dato aus Erdöl produziert werden, auf Basis von Bioorganismen nachhaltig hergestellt. Denn: Momentan werden Kunststoffe zu 99 Prozent aus fossilen Rohstoffen gefertigt, etwa sechs Prozent des globalen Erdölverbrauchs gehen somit auf das Konto der Kunststoffproduktion. Das Fraunhofer CBP bietet das Gesamtpaket: In der Holzabteilung stellen die Forscherinnen und Forscher aus geschreddertem Holz Zucker her, mit denen sie Bioorganismen füttern können. In der biotechnologischen Abteilung produzieren sie über Bioorganismen die gewünschten Plattformchemikalien, und in der chemischen Abteilung können diese Plattformchemikalien wiederum den Kundenwünschen entsprechend angepasst werden. In dem Projekt »fermentative Herstellung von Isobuten«, welches hier beispielhaft vorgestellt wird, betreibt ein Team aus 15 Personen im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb eine Pilotanlage für den Industriepartner Global Bioenergies (GBE). In diesem Prozess wird über Escherichia coli Bakterien die Plattformchemikalie Isobuten hergestellt. Langfristig plant GBE, auf Basis der wissenschaftlichen Ergebnisse und dem gewonnenen Know-How aus den Prozesskampagnen der Pilotanlage eine Produktionsanlage im Industriemaßstab aufzubauen.

Recyceln

In Deutschland wird emsig Plastik gesammelt. Mehr als die Hälfte dieser Kunststoffabfälle, 61 Prozent, landeten im Jahr 2017 allerdings in den Müllverbrennungsanlagen. Nur 39 Prozent wurden stofflich verwertet. Echtes Recycling ist die absolute Ausnahme. Neue Kunststoffe entstanden nur aus 15,6 Prozent, der Rest ging in so genannte »niederwertige« Anwendungen. Ein Positiv-Beispiel für Recycling sind auch heute schon PET-Flaschen: Mit einer Quote von 98 Prozent ist es eines der erfolgreichsten Recyclingsysteme – so erfolgreich, dass verschiedene Handelsketten überlegen, ein eigenes System auch für andere Plastikverpackungen einzuführen. So ließen sich beispielsweise Biokunststoffe wie Polymilchsäure trennen und stofflich gleichwertig wiederverwerten.

Produktdesign verbessern und die Recyclingquote zu erhöhen, also die Kunststoffproduktion zirkulärer werden zu lassen, hat sich der Fraunhofer »Cluster Circular Plastics Economy CCPE« zum Ziel gesetzt. Sechs Fraunhofer-Institute bündeln darin ihre Kompetenzen. »Ein wesentlicher Aspekt liegt darin, die unterschiedlichen Akteure in der Wertschöpfungskette miteinander ins Gespräch zu bringen. Nur gemeinsam können wir diese Aufgabe stemmen«, sagt Dr. Hartmut Pflaum, Leiter der Cluster-Geschäftsstelle am Fraunhofer UMSICHT. Zwei der sechs Research Departments arbeiten an der Herstellung nachhaltiger Kunststoffe. Sie wollen etwa Additive entwickeln, die den Kunststoff zersetzen, sobald er mit Umwelteinflüssen wie Meerwasser in Kontakt kommt.

Andere beschäftigen sich mit dem Recycling. So entwickeln die Forschenden unter anderem Antworten auf die Frage, wie sich Kunststoffströme markieren und digital abbilden lassen, wie also ein »digitaler Zwilling« erzeugt werden kann. Bei einem Computergehäuse beispielsweise hieße das: Bei seiner Produktion wird zeitgleich eine Datei erzeugt, die über den gesamten Lebenszyklus des Produkts hinweg gespeichert und mitgegeben wird. Eine Multicycle-Anlage soll im Cluster zudem die Möglichkeiten ausloten, unterschiedliche Kunststoffe wiederzuverwerten. Hier werden die lohnendsten Geschäftsmodelle identifiziert und anschließend aufskaliert. Ein weiterer Forschungsansatz: Wie lässt sich bewerten, ob eine zirkuläre Lösung unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten besser ist als eine einmalige Nutzung? Ist ein werkstoffliches oder ein chemisches Recycling effektiver? In diesem Themenfeld der Materialien für eine zirkuläre Wirtschaft wird sich auch das Fraunhofer IGB mit dem Aufbau des Labors für Technische Biopolymere in Straubing intensiv befassen. Dort soll speziell der Fokus auf die Entwicklung von biobasierten Polymeren für die Zukunft und deren Anwendungen gelegt werden.

Verpackungsmüll vermeiden

Auch für ein echtes Massenproblem sucht der Fraunhofer Cluster CCPE® Lösungen. Mehrere Millionen Pakete werden in Deutschland zugestellt – am Tag! »Im Online-Handel geht es um Systemfragen«, erklärt Pflaum. »Üblicherweise werden bestellte Waren in einem Karton geliefert, der in den allermeisten Fällen anschließend im Altpapier landet. Könnte man hier auf ein Mehrwegsystem umstellen? Welche Anforderungen müsste das System erfüllen?« Im Bereich »Business und Transformation« vermarkten die Forschenden solche Entwicklungen und kommunizieren Innovationen entlang der Wertschöpfungskette – bei den Industriebetrieben, aber auch bei den Verbrauchern. Wie sehr das zirkuläre Wirtschaften den Nerv der Zeit trifft, zeigen Rückmeldungen aus der Industrie: »Zahlreiche Unternehmen aus der gesamten Wertschöpfungskette sind bereits auf uns zugekommen, sowohl Polymer- und Verpackungshersteller als auch Produktvertreiber und Handelsketten«, berichtet Pflaum.

Es ist der Großteil der Kunststoffe, 40 Prozent, der als Verpackung verwendet wird. Schließlich kommen 80 bis 90 Prozent aller Lebensmittel verpackt in die Haushalte. Da Lebensmittelverpackungen hohen Anforderungen gerecht werden müssen, bestehen sie oft aus Mehrschichtlaminatfolien. Für dieses komplexe System verschiedener Materialien gab es bisher kein geeignetes Recyclingverfahren. Hierfür gibt es zahlreiche Recyclingansätze auf Basis des CreaSolv®-Verfahrens aus dem Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV. »Wir verwenden Lösungsmittelgemische, die jeweils für die verschiedenen Kunststoffgemische maßgeschneidert werden«, erläutert Dr. Andreas Mäurer das Prinzip. »Durch eine anschließende Filtration lösen wir zusätzlich Fremdstoffe und unerwünschte Additive heraus.« Dabei haben die Forschenden vor allem den Closed-Loop-Einsatz im Blick, das recycelte Material soll also die gleichen Aufgaben übernehmen können wie vorher. »Mit unseren Business-Plänen sind wir mittlerweile in einem Maßstab angelangt, in dem wir wirtschaftlich recyclen können.« Die Erfolgsbeispiele sprechen für sich: Multilayer-Verpackungen wie bei Chipstüten oder Wurstfolien, die bisher nicht in die Wiederverwertung gebracht werden konnten, werden erstmalig in einer vom Fraunhofer IVV aufgebauten Drei-Tonnen-pro-Tag-Demo-Anlage in Indonesien wiederverwertet. Das CreaSolv®-Verfahren eignet sich durch seine hohe Reinigungsleistung auch für stark belastete Kunststoffabfälle. Beispiele hierfür sind mit Flammschutzmitteln belasteter Elektronikschrott oder Styropor® aus der Gebäudedämmung. In einem EU-Projekt baut das Fraunhofer IVV eine Recyclinganlage für Styropor®, die Kapazität liegt bei dreitausend Tonnen pro Jahr. Und in Bayern werden die Abfälle aus dem gelben Sack in einer Pilotanlage recycelt: Die erste Ausbaustufe geht aktuell in Betrieb, hier sollen einige LKW-Ladungen täglich wiederverwertet werden.

Lange nutzen

Circular Economy in der Elektromobilität | Recycling von Batterien

Nicht nur beim Kunststoff wird Kreislaufwirtschaft stets interessanter. Immer öfter gilt die Devise: »Abfälle sind Rohstoffe am falschen Ort«. Schließlich sind geschlossene Stoffkreisläufe für ein nachhaltiges Wirtschaften unerlässlich. Und noch viel mehr: »Wir betrachten nicht nur die Materialströme, sondern vor allem die Dreifaltigkeit aus Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit«, betont Dr. Andreas Stegmüller, Wissenschaftler an der Fraunhofer-Einrichtung für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS. Die Aufgabe ist komplex. Ein Auto beispielsweise besteht aus tausenden von Einzelteilen, die alle für sich in ihrer Funktion optimiert wurden. »Betrachten wir diese aus Sicht der Circular Economy, müssen jedoch alle Teile auch nachhaltig produziert sein, sollten keine toxischen Materialien enthalten et cetera. Auch beim Recycling haben wir einen bunten Blumenstrauß an technischen Anforderungen«, konkretisiert Stegmüller. Was die laufende Produktion von Autos angeht, so dürfte dies schwer umzusetzen sein. Eine große Chance bietet jedoch der Umstieg auf die Elektromobilität. Besonderes Interesse zeigt die Industrie an modularem Design, bei dem die einzelnen Bauteile zwar miteinander verbunden sind, aber sich leicht austauschen lassen. »Wir fassen dabei Materialien, Prozesse – sowohl Produktions- als auch Recyclingprozesse – und Geschäftsmodelle in einem einheitlichen Modell zusammen«, betont Stegmüller. Was eine solche Analyse bringen kann, zeigt ein Industrieauftragsbeispiel aus dem Recycling von Elektrofahrzeug-Batterien: Was sind die ertragreichsten Nutzungsalternativen für Batterien, wenn ihre Leistung nicht mehr ausreicht? Das Forscherteam hat ein entsprechendes Modell erstellt und verschiedene Möglichkeiten analysiert. Das Ergebnis: Zwar führt ein herkömmliches – also stoffliches – Recycling der Batterien zu soliden Erträgen, allerdings sind bis zu zehnmal höhere Erträge zu erwarten, wenn die Batterien vor einem Recycling zunächst als dezentrale Netzspeicher für regenerative Energiequellen genutzt werden. Denn hier ist die Batterieleistung auch dann noch ausreichend, wenn sie für den Fahrzeugbetrieb nicht mehr reicht. Doch müsste dazu die passende Infrastruktur aufgebaut werden. Sprich: Es braucht die entsprechenden Anbieter, die die ausgesonderten Batterien aufkaufen und weiter vertreiben, damit sie dann beispielsweise in Privathäusern die überschüssige Energie von Photovoltaikanlagen zwischenspeichern können, bis sie benötigt wird. Die entsprechenden Geschäftsmodelle haben die Fraunhofer-Experten klar benannt. Die Antwort hier lautet ganz klar: Etwas Neues wagen!

Lebenszyklus

Potenziale für die Optimierung

Unternehmen stehen vielfach vor großen Herausforderungen, wenn es darum geht, einen effektiven Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit zu leisten – schließlich werden in den Produktionsprozessen und der Nutzung von High-Tech Produkten häufig bereits hohe Effizienzraten für den Material- und Energieeinsatz erzielt. Doch der Schein trügt: »Durch eine veränderte Interpretation können wir neue Potenziale für die Optimierung identifizieren«, sagt Michael Dieterle, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT. Möglich macht es der »life cycle gap«, also die Lücke zwischen der Energie und den Rohstoffen, die man bei der Produktion in ein Produkt hineinsteckt, und dem, was man durch das Recycling wieder herausholen kann. Beispiel Lithium-Ionen-Batterie, wie sie in Elektroautos zum Einsatz kommt. »Im Fall der Lithium-Ionen-Batterie liegt das Potenzial hier bei einer CO2-Einsparung von 45 Prozent«, sagt Dieterle. Allein durch eine Wiederverwendung des Batteriegehäuses lässt sich dieser Gap auf 35 Prozent senken. Auf den gesamten Lebenszyklus der Batterie gesehen sänke die CO2-Bilanz um acht Prozent, trotz zusätzlicher Recyclingaufwände für die Gehäusedemontage.

Durchaus lohnenswert also, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Expertenmeinungen zufolge der Bestand an Elektroautos bis 2025 auf eine Zahl von zwei bis drei Millionen ansteigen wird. Auch für das »Innere« der Batterien gibt es vielversprechende Lösungsansätze: Denn darin stecken wertvolle und teilweise auch versorgungskritische Ressourcen wie Kobalt, Lithium, Nickel und Kupfer, die zumeist aus Ländern außerhalb der EU importiert werden müssen. Ebenso wie Stoffe, die Umwelt und Gesundheit bei unsachgemäßer Entsorgung gefährden würden. Ein effektives Batterierecycling ist somit sowohl aus ökonomischen als auch aus ökologischen Gesichtspunkten von großer Relevanz. Das Problem: Es handelt sich um einen komplexen Verbund aus Materialien. Bislang werden die Batterien entweder mechanisch zerkleinert, also geschreddert – die Materialreinheit liegt bei etwa 70 bis 80 Prozent. Schließlich werden die Verbünde beim Schreddern einfach zerkleinert, die Schnipsel können jedoch durchaus noch aus zwei oder mehreren Materialien bestehen und müssen danach aufwändig behandelt werden. Oder die Batterien werden pyrometallurgisch aufgeschmolzen – die Materialreinheit ist hoch, jedoch können nicht alle Wertstoffe zurückgewonnen werden und das Verfahren ist recht energieintensiv. Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer IWKS haben nun einen dritten Weg entwickelt. »Hydromechanisch können wir alle Komponenten materialspezifisch separieren – und zwar mit einer Reinheit von über 99 Prozent bei den Kathoden- und Anodenmaterialien und nahezu 100 Prozent bei Materialien wie Alufolie, Kupferfolie und Edelstahl«, fasst Dr. Jörg Zimmermann zusammen. »Wir nutzen dafür einen hydromechanischen Prozess, der deutlich selektiver ist als ein rein mechanischer Prozess.« Das Prinzip: Die Experten geben die Zellen der Batterie in ein Wasserbad und erzeugen mit einem hohen Spannungspuls einen Durchschlag im Wasser. Auf diese Weise erzeugen sie eine Druckänderung, die das Material an den Schwachstellen angreift – also an den Materialübergängen. Sprich: Die Batteriezellen werden nicht einfach kleingehackt, sondern in sortenreine Einzelteile zerlegt. Im Technikumsmaßstab funktioniert das Verfahren bereits, bis Ende 2020 soll die Pilotanlage zu einer kontinuierlich laufenden Anlage umgebaut werden.

Leihmodelle

Muss man wirklich alles selbst besitzen, was man hin und wieder braucht? Diese Frage stellen sich im Zuge der Nachhaltigkeit immer mehr Menschen. Was die Mobilität angeht, so sind Leihmodelle schon recht gut bekannt, sei es das Car Sharing, seien es Verleihsysteme für Elektroroller oder Fahrräder – auch für Elektroautobatterien werden solche Modelle in Erwägung gezogen. Recht neu dagegen sind solche Leihansätze, wenn es um Kleidung geht. Sinn machen sie in diesem Bereich allemal: Studien von Greenpeace zufolge werden rund 30 Prozent der gekauften Kleidung nicht oder nur äußerst selten genutzt. Könnte man solche Fehlkäufe vermeiden, wäre schon viel gewonnen. Dieser Gedanke ruft neue Geschäftsmodelle auf den Plan. So bietet Tchibo etwa an, die von ihnen produzierten Kleidungsstücke unter Tchibo Share zu leihen statt zu kaufen. Hinter dem Verleihsystem steht die Relenda GmbH. Doch wie nachhaltig und wirtschaftlich ist ein solches Verleihmodell, wenn man Aspekte wie den großen Logistikaufwand und die kleine Zielgruppe berücksichtigt? Dies untersuchte das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI anhand von zwei bestehenden Geschäftsmodellen der Relenda GmbH in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF geförderten Projekt »Wear2Share«. »Was wir bereits sagen können ist, dass diese Leihmodelle ökonomisch tragfähig sind, auch wenn die Kosten für Logistik und Reinigung hoch sind«, sagt Dr. Johannes Schuler, Projektleiter am Fraunhofer ISI. Was die Nachhaltigkeit angeht, so lässt sich die Frage bisher noch nicht eindeutig beantworten – es kommt hier auf die Rahmenbedingungen an.

Intelligent produzieren

Metallverarbeitung: Energie und Kohlendioxid einsparen

Die richtigen Rahmenbedingungen spielen auch bei Produktionssystemeneine große Rolle – etwa in deutschen Gießereien. Dort werden jährlich über fünf Millionen Bauteile und Komponenten produziert, etwa 25 Prozent der Bruttowertschöpfung fällt an Energiekosten an. Das geht mit hohen CO2-Ausstößen einher, allein im Bereich der Alu- und Leichtmetallteile sind es etwa eine Million Tonnen CO2 pro Jahr. Das geht besser: »Über einen mobilen Tiegel und den Umstieg von Strom auf Gas können wir 60 Prozent der Energie einsparen – was einer Einsparung von bis zu 80 Prozent CO2 gleichkommen könnte«, sagt Marc Kujath, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF. Entwickelt wurde der Ansatz gemeinsam mit Partnern im Projekt ETAL. Die Forscherinnen und Forscher vom Fraunhofer IFF erfassten die Prozesse und bildeten die Fabrik in Modellen ab. Anhand dieser Modelle können sie nun auch für andere Gießerei-Betriebe bewerten, welcher Ansatz sich für sie lohnt.

Hinsichtlich der »grünen« Energie gibt es ebenfalls viel Einsparpotenzial zu heben. So untersuchen die Forschenden des Fraunhofer IFF im Projekt RELflex, wie Unternehmen ihre über Photovoltaik und Co. erzeugte Energie für ihre eigenen Produktionsprozesse nutzen können – und somit ihre Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und Autarkie erhöhen. Dies wirkt sich auch auf die Geschäftsmodelle aus: So können sie etwa die Latte bei »grünen« Produkten höher legen und diese nicht nur mit biologisch erzeugten Materialien herstellen, sondern auch mit grüner Energie. Am effizientesten wäre es, die Produktion anzupassen und Pufferspeicher einzubauen – also auf Vorrat zu produzieren, wenn gerade viel Energie zur Verfügung steht.

Lebensmittelerzeugung: Wasser als wichtige Ressource

Nachhaltigkeit fordern viele Kunden nicht nur bei industriell erzeugten Produkten ein, sondern gerade auch bei Lebensmitteln – wie der Trend zu Bioprodukten und regional hergestellten Lebensmitteln zeigt. Doch nicht nur aus diesem Grund stehen Landwirte vor der Aufgabe, ihre Prozesse anzupassen: Nach den trockenen Sommern der letzten Jahre fürchten sie darüber hinaus, dass sie ihr jetziges Bewässerungssystem nicht mehr aufrechterhalten können: Es fehlt schlichtweg an Wasser.

Einen Ausweg bietet die hydroponische Pflanzenproduktion, bei der die Pflanzen ähnlich wie Hydrokulturen bei Zimmerpflanzen auf Steinwolle wachsen und mit deutlich weniger Wasser auskommen. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB gingen im Projekt »HypoWave« gemeinsam mit Partnern nun noch einen Schritt weiter Richtung Nachhaltigkeit: »Wir haben untersucht, in welcher Form man Wasser aus Kläranlagen für diesen Anbau nutzen kann, und welche Aufbereitung des Wassers nötig wäre«, sagt Dr. Marius Mohr, Leiter Innovationsfeld Wasser am Fraunhofer IGB. Verschiedene Fallstudien zeigten: Sinn macht das vor allem dort, wo aufgrund der sich immer wieder ändernden Vorschriften eine Erweiterung für das Klärwerk nötig wäre. Denn während die Nährstoffe aus den Abwässern entfernt werden müssen, wenn man sie in die Flüsse einleiten möchte, sind sie für die Pflanzenproduktion gewünscht. »Zudem können wir auf diese Weise kleinere und nachhaltigere Wasserkreisläufe realisieren«, sagt Mohr.

Vor allem in trockenen Gebieten stellt die Wasserversorgung für Pflanze, Tier und Mensch eine Herausforderung dar – etwa in Afrika südlich der Sahara. Zunehmend setzt man dort auf die Entsalzung von Meer- und Brackwasser. Die Umkehrosmose hat dabei zwar einen Marktanteil von 65 Prozent, hat jedoch gravierende Nachteile: »Es wird viel Energie verbraucht, was bei konventioneller Energieerzeugung zu hohen CO2-Emissionen führt. Zum anderen sind aufwendige Anti-Fouling-Prozesse nötig, bei denen die eingesetzten Chemikalien vielfach ins Meer oder Grundwasser gelangen «, erklärt der Koordinator des Projekts ICON WASTEC Dr. Lothar Schäfer vom Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST. In dem Projekt arbeiten verschiedenen Fraunhofer-Institute mit der Universität Stellenbosch in Südafrika daran, die Effizienz bei der Entsalzung zu steigern und nachhaltige Reinigungsprozesse zu entwickeln, damit Meer und Grundwasser chemikalienfrei bleiben. Weitere Ansätze sind, die Anlagen zu dezentralisieren und mikrobiell belastetes Wasser für die Nahrungsmittelproduktion aufzubereiten.

Fraunhofer-Magazin

 

weiter.vorn 1.2020

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Nachhaltigkeit: So verbindet sie heute Ökologie & Ökonomie