Neben dem Einsatz der Phagen selbst erforschen Loh und ihr Team auch die therapeutische Verwendung einzelner Phagen-Proteine. Loh: »Ein Phage besteht aus DNA, die von einer Proteinhülle umschlossen ist. Zudem produziert er weitere Proteine, die Bakterien abtöten können. Um das Bakterium zu zerstören, nutzen wir bestimmte Phagen-Proteine, die Zellwand und Zellmembran durchlöchern.« Man könne sich das Bakterium wie einen prall gefüllten Wasserballon vorstellen, in den mit sehr dünnen Nadeln gepikst wird: »Irgendwann platzt er.« Die Vorteile dieser Methode: Antibakterielle Proteine wirken nicht nur auf sehr spezifische Bakterienstämme, sondern breiter. Loh: »Weit wichtiger ist jedoch, dass die Arzneimittelzulassung vereinfacht wird.« Denn die therapeutischen Proteine dürfen im Unterschied zu Viren als sogenannte Biologika produziert werden. Man könnte sie wie ein chemisches Antibiotikum einsetzen. Das Problem bestehe allerdings darin, so Loh, geeignete Proteine zu finden: »Ich schaue mir daher jeden Phagen genau an und identifiziere alle Gene, die potenziell interessant sein könnten. Dann stelle ich die Proteine separat in Bakterien her und teste sie.«
Doch selbst wenn die Phagen-Forschung zurzeit an Dynamik gewinnt: Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis erste Präparate auf den Markt kommen. Bis dahin ist es umso wichtiger, die Ausbreitung der gefährlichen Erreger einzudämmen und die Zahl der Infektionen, vor allem in Krankenhäusern oder Altenheimen, so gering wie möglich zu halten. Ein Forschungsteam am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart hatte zu diesem Zweck eine einfache, aber sehr effektive Idee, die bereits erfolgreich in zwei Kliniken getestet wurde: antimikrobielle Wandfarbe, die Bakterien und Viren zuverlässig abtötet. Dr. Christina Bauder, Teamleiterin Lackchemische Anwendungstechnik: »Wir haben der Farbe photokatalytisch aktive Pigmente beigemischt. Durch Tageslicht oder künstliche Raumbeleuchtung werden sie aktiviert und bilden Radikale, die mit den Keimoberflächen reagieren und sie so zerstören.« Dafür müssen die Erreger noch nicht einmal mit der Wandfläche direkten Kontakt haben – es reicht, wenn sie durch die Luftzirkulation in die unmittelbare Nähe kommen. »Das Schöne an unserer Methode ist: Die chemische Reaktion läuft endlos weiter, der Photokatalysator wird nicht verbraucht«, unterstreicht Bauder. Denn er nutzt den Sauerstoff und das Wasser aus der Raumluft, um die für Menschen ungefährlichen Radikale zu erzeugen. So behält die Wandfarbe dauerhaft ihre Wirksamkeit – im Unterschied zu anderen antimikrobiellen Beschichtungen, die nach und nach Stoffe abgeben, um die Keime abzutöten. Bauder: »Wenn diese Substanzen aufgebraucht sind, ist der Schutz nicht mehr gegeben. Das kann bei uns nicht passieren. Sogar im Dunkeln hat unser Photokatalysator eine Restaktivität, die mindestens 24 Stunden anhält.« Die Ergebnisse der Feldversuche in der Oberschwabenklinik in Ravensburg und im Kantonsspital Graubünden in Chur sind beeindruckend: Die Farbe war hochwirksam, die Abstrichproben, die die Forschenden von den Wänden nahmen, waren nahezu keimfrei.
Trotz aller Lösungsansätze bleibt die Antibiotikakrise hochgefährlich, denn es gibt ein besonderes Problem: Antibiotika sind nicht lukrativ. Die Preise sind niedrig, die Entwicklungskosten hoch. »Eigentlich müssten wir in der Lage sein, dieser schleichenden Pandemie, wie es der frühere Präsident des Robert Koch-Instituts Lothar Wieler einmal formuliert hat, mehr entgegenzusetzen«, sagt Dr. Dorothee Winterberg vom Fraunhofer ITEM. Es gebe zwar zahlreiche Forschungsinitiativen, aber leider zu wenig Geld. Winterberg seufzt: »Das macht einen manchmal verrückt.« Ähnlich sieht das Prof. Till Schäberle vom Fraunhofer IME. »Der Markt wird es nicht richten, das muss staatlich gesteuert werden«, ergänzt er. Er setzt Hoffnungen auf große, global agierende Förderinitiativen wie CARB-X, die unter anderem von der Bill & Melinda Gates Foundation, der US-amerikanischen und kanadischen Regierung sowie dem deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wird. Schäberle ist überzeugt: »Es ist nötig und daher wird sich auch etwas tun.«