Brücken am Anschlag

Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden hat gezeigt, wie wichtig es ist, Schwachstellen in der Infrastruktur frühzeitig zu erkennen. Tatsächlich sind Straßen und Brücken, Schienen und Stromtrassen in Deutschland in die Jahre gekommen und weisen teils erhebliche Mängel auf. Laut der letzten Zustandserfassung von 2022 im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) sind 7 112 Kilometer Autobahn, 8 000 Autobahnbrücken und 17 630 Schienenkilometer als sanierungsbedürftig eingestuft. Innovative Fraunhofer-Lösungen können beitragen, Wartung, Analyse und den Instandhaltungsprozess zu vereinfachen, zu beschleunigen und finanzierbarer zu machen – ein Überblick.

Die Hälfte der deutschen Autobahnbrücken ist alt und überlastet, Sperrungen und Staus sind vorprogrammiert. Ein neues Monitoringsystem zur permanenten Zustandsüberwachung soll helfen.

Lärmender, stinkender Schwerlastver­kehr verstopft seit Anfang Dezember 2021 die Straßen im sauerländischen Lü­denscheid. Rund 25 000 Fahrzeuge werden hier täglich von der A45 ab- und durch das früher beschauliche Städtchen umgeleitet, weil es auf der Autobahn nicht mehr weitergeht: Die Rahmede-Talbrücke musste wegen gravie­render Schäden komplett gesperrt werden. Eine Sanierung der 53 Jahre alten Brücke ist nicht mehr möglich, es bleibt nur noch der Abriss und Neubau – kein Einzelfall.

Etwa die Hälfte der 28 000 Autobahnbrücken in Deutschland stammt aus der Zeit zwischen den 1960er und 1980er Jahren. Allein seit Beginn der 1980er Jahre hat sich der Verkehr nahezu verdop­pelt, vor allem der Schwerlastverkehr hat deutlich zugenommen. Doch die Lkw wurden nicht nur mehr, sie wurden auch deutlich massiger. 40 Ton­nen Gesamtgewicht und elf Tonnen Achslast sind keine Seltenheit. »Alte Brücken und aktueller Ver­kehr passen nicht zusammen«, bringt es Dr. Jürgen Krieger auf den Punkt, Direktor und Professor bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Der Bauingenieur leitet die Abteilung Brücken- und Ingenieurbau. Sanierungen oder Neubauten kön­nen jedoch nur nach und nach vonstattengehen, wenn der Verkehr weiter fließen soll. »Wir müssen also dafür sorgen, dass dieser Altbestand so lange wie möglich weiter funktioniert«, mahnt Krieger.

Permanentes Monitoring senkt Kosten

Helfen will dabei Prof. Hans-Georg Herrmann mit seinem Team am Fraunhofer-Institut für zerstö­rungsfreie Prüfverfahren IZFP in Saarbrücken. Der stellvertretende Institutsleiter, Ingenieur und Experte für Sensorik arbeitet an einem Sensor­system zur permanenten Zustandsüberwachung von Brücken. »Es ist zwingend notwendig, von einem reaktiven zu einem prädiktiven, also vorausschauenden Erhaltungsmanagement zu kommen, um die Kosten und Konsequenzen für den Verkehr so gering wie möglich zu halten«, ist Herrmann überzeugt. Prof. Krieger pflichtet ihm bei. Mithilfe einer intelligenten Sensorik sollen problematische Veränderungen am Bauwerk in Zukunft frühzeitig entdeckt werden – bevor sicht­bare Schäden entstehen.

Brücken werden bisher von speziell geschulten Bauwerksingenieuren in einem dreijährigen Inter­vall von Haupt- und Zwischenprüfungen begut­achtet – fast ausschließlich visuell. Die Hauptprü­fungen erfolgen nach DIN 1076 »vollflächig« und »handnah«, das heißt: Jeder Quadratmeter wird genaustens inspiziert. Der Prüfer muss dabei so nah sein, dass er jederzeit das Bauteil anfassen und zum Beispiel abklopfen kann. Er dokumen­tiert und bewertet Risse oder andere Schäden. Ist er sich unsicher, ordnet er eine tiefergehende Ana­lyse an. Dann kommen auch etablierte zerstörungs­freie Prüfverfahren wie Ultraschall oder Georadar zum Einsatz, wie sie am Fraunhofer IZFP entwi­ckelt werden. »Wir verfolgen einen multimodalen Ansatz, das heißt wir kombinieren verschiedene, teilweise auch neu konzipierte Sensoren, Mess- und Zustandsgrößen, um eine Fragestellung, die uns die Bauingenieure vorgeben, zu lösen. Das System soll sich vielfältiger Informationsquellen bedienen, ähnlich wie es der Mensch mit seinen Sinnen macht«, erklärt Herrmann. So könne bei­spielsweise die Dicke von Betonstrukturen ge­messen werden oder Korrosion am eingebetteten Stahl – eine charakteristische Schwäche der Spann­betonbrücken, die einen Anteil von rund 70 Pro­zent am Bundesfernstraßenbestand haben. Vor allem die Brücken aus den 1970er und 1980er Jah­ren sind von der sogenannten Spannungsrisskor­rosion bedroht, die dazu führen kann, dass Spann­stähle unerwartet reißen und im Extremfall die Brücke einstürzen lassen. »Wir haben enorme Fortschritte bei den Baumaterialien gemacht. Da­mals war der Beton längst nicht so haltbar und dicht wie heute«, sagt Krieger. Die Folge: Der alte Beton ist empfindlich, Risse tun sich auf, Wasser und Streusalz dringen ein und setzen den betag­ten Baustählen zu. Krieger seufzt. »Dann kann man eigentlich nichts mehr machen.«

Damit es nicht so weit kommt, ist es wichtig, die Fahrbahndecken aus Beton, die mit einer Stahl­bewehrung verstärkt sind, also eingelegten Stahl­matten, engmaschig zu kontrollieren – und ge­gebenenfalls auszubessern. »Wir arbeiten gerade daran, unsere Prüfsysteme so zu miniaturisieren, dass sie als permanente Sensoren vor Ort instal­liert werden können«, sagt Herrmann. Die Ener­gieversorgung der effizienten, intelligenten Sen­soren soll autark sein, idealerweise über Solarzellen, das System eine Echtzeit-Zustands­erfassung erlauben. Das Auslesen der Daten vor Ort kann dann drahtlos per Handy erfolgen oder durch einen automatisierten Transfer in die Cloud. Eine erste Teilkomponente ist bereits entwickelt und wird zurzeit getestet.

Auch Carsten Chassard von der Autobahn GmbH des Bundes, die seit Anfang 2021 für Pla­nung, Bau und Betrieb der Brücken zuständig ist, wür­de ein Sensorsystem als wei­teres Werkzeug der Bau­werksüberwachung und nachhaltigen Erhaltung be­grüßen. Der Bauingenieur, der die Außenstelle Neun­kirchen bei Saarbrücken lei­tet, ist für ein 334 Kilometer langes Autobahnstrecken­netz mit 527 Brücken verant­wortlich. Auch er klagt über korrodierten Betonstahl und Risse im Betongefüge. Mit einer kontinuierlichen Über­wachung, so hofft er, könnten Maßnahmen früher und zielgerichteter ergriffen werden. »Das Mess­programm muss aber immer an die spezielle Brü­cke und deren statische Besonderheiten angepasst sein.«

Dabei ist es wichtig, die Erkenntnisse aus den Bauwerksprüfungen, bereits identifizierte Schäden und charakteristische Schwachstellen verschie­dener Brückentypen zu berücksichtigen. Gemes­sen werden müssen auch grundlegende Werte wie die Einwirkungen des Verkehrs oder die Luft- und die Bauwerkstemperatur. Nur so lassen sich die Daten einordnen und korrekt interpretieren. Die Sensoren sollten vor allem an den Stel­len mit maximaler Beanspru­chung angebracht werden, die für jede Brücke individuell ermittelt werden müssen. »Wir haben in Deutschland keine Baukasten-Standard­brücken. Wenn der Sensor ir­gendwo sitzt, wo nichts pas­siert, bringt das nichts«, warnt Krieger. Ein permanentes Mo­nitoring aller Sorgenkinder sei jedoch illusorisch. Statt­dessen müsse man repräsen­tative Objekte auswählen und die Erkenntnisse auf ähnliche Brücken oder Bauteile übertragen – um Sperrungen wie in Lüdenscheid und die damit einhergehenden volkswirtschaftlichen Schäden in Millionenhöhe zu vermeiden.

Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren IZFP | Geschäftsfeld Infrastruktur / Bau

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