Interview mit Armin Laschet

Fraunhofer-Magazin 2/2021

»Wir brauchen ein Modernisierungsjahrzehnt!«

Dieser Satz gehört zu den Standardforderungen des Kandidaten Armin Laschet. Was er dafür als Kanzler tun will, verrät er im Gespräch.

Armin Laschet
© Dominik Asbach
Armin Laschet, 60, hat sich als Kanzlerkandidat durchgesetzt – zumindest schon einmal innerhalb der Union.

Der Würfel ist gefallen, Herr Laschet, Sie sind Kanzlerkandidat der Union. Glückwunsch!

Armin Laschet: Ich freue mich nun auf einen leidenschaftlichen Wahlkampf!


Sind Sie als historisch interessierter Mensch nicht erschrocken, als Ihr CSU-Mitbewerber Markus Söder die Entscheidung ausgerechnet mit diesem Satz akzeptierte: der Würfel sei gefallen?

Im lateinischen Original ist das ja sogar Plural: alea iacta sunt.
 

So wird Julius Caesar zitiert. Allerdings bevor er mit seinem Heer den zum Sprichwort gewordenen Rubikon überschreitet – und der Bürgerkrieg beginnt.

Es war ja klar, dass eine Entscheidung zwischen zwei Parteivorsitzenden und zwischen zwei Ministerpräsidenten nicht einfach werden wird. Aber klar ist uns beiden: Die Union ist nur ge­meinsam erfolgreich und wir haben eine ge­meinsame Verantwortung. In diesem Bewusst­sein kämpfen wir beide für eine starke Union.


Dann sind wir ja beruhigt. Was zeich­net Armin Laschet als Kanzlerkandidat aus?

Das müssen andere sagen. Von Vorteil ist es, wenn man schon einmal eine Wahl gewonnen hat. Wenn jemand gezeigt hat, dass er ein gro­ßes Land wie Nordrhein-Westfalen regieren kann, ist das sicher auch eine gute Vorausset­zung. Das Entscheidende ist aber, eine Grund­orientierung zu haben. Ich habe eine klare Idee, wo es hingehen soll mit unserem Land: Wir brauchen ein Modernisierungsjahrzehnt!


Da hat die Corona-Krise einige Schwächen gnadenlos offengelegt.

Dass die Gesundheitsämter am Anfang noch mit Faxgeräten und Papier arbeiten mussten, ist in sehr kurzer Zeit abgestellt worden. Aber es bleibt eine Aufgabe für alle staatlichen In­stitutionen, wirklich digital zu arbeiten. Die Wissenschaft macht es, die Wirtschaft macht es. Da darf der Staat nicht der Letzte sein. Die Pandemie hat uns auch gelehrt, dass wir bei der Versorgung mit medizinischer Schutzausrüs­tung unabhängiger von anderen Ländern sein müssen. Dass billigste OP-Masken als Atem­schutz nicht verfügbar waren, weil die Produk­tion komplett nach China verlagert war, zeigt uns, dass wir in Europa in Zukunft bestimmte Grundversorgungen selbst treffen müssen.
 

Gab es für Sie auch Stärken, die sich in der Krise gezeigt haben?

Echte Hilfsbereitschaft! Da waren die Jungen für die Alten da, da haben sich Menschen im Ehrenamt engagiert. Da hat sich gezeigt, welche Stärke in unserer Gesellschaft steckt. Ich bin mir sicher, wenn wir Bilanz ziehen, werden wir feststellen, dass wir im weltweiten und im euro­päischen Vergleich gut durch die Krise gekom­men sind. Es gab eine große Solidarität.


Die aber in der Politik nicht immer erkennbar war.

Ach, am Anfang schon. Erst später kam der Dis­sens um die Frage der Öffnungen. Wobei meine Grundposition immer war, dass auch in einer Pandemie die Grundrechte zu gelten haben. Da mag es manchmal pragmatischer sein, alles zu schließen und vieles zu verbieten. Aber ein Ein­griff in die Grundrechte muss tagtäglich auf den Prüfstand! Vorsicht allein kann nicht die Be­gründung sein, dass der Staat in jedem Lebens­bereich seine Ziele mit Verordnungen durch­setzt. Das darf er eben nur, wenn die Gefahr für Gesundheit und Leben akut ist.


Sehen Sie in der Klimaerwärmung eine akute Gefahr für Leben und Gesundheit?

Klimapolitik wird eine zentrale Herausforde­rung für die nächsten 30 Jahre sein. Ich glaube nicht, dass wir diese gesellschaftliche Aufgabe mit dem Vorschreiben einzelner Lebenswege bewältigen, etwa mit dem systematischen Zu­rückdrängen von Eigenheimen. Ich glaube an die Überzeugungskraft. Nur so gehen die Men­schen auf Dauer mit. Sicher ist, die Maßnahmen zum Klimaschutz werden uns allen viel ab­verlangen. Wir brauchen einen Struktur­wandel. Aber den müssen wir so ausgestalten, dass der Wohlstand in der Breite unserer Gesell­schaft erhalten bleibt – und damit der Zusam­menhalt der Gesellschaft. Mein Ziel ist es, dass wir ein klimaneutrales Industrieland werden: mit der Stahlindustrie, mit der chemischen In­dustrie, mit der Autoindustrie. Deutschland galt einmal als die Apotheke der Welt. Alle wichti­gen Medikamente wurden hier entwickelt und produziert. Hier können wir ansetzen, denn der Bedarf wird auch für künftige Pandemien groß sein. Die Ambition, grünen Stahl herzustellen, ist eine Jahrhundertaufgabe. Diese Ambition habe ich. Ich will auch, dass noch im Jahr 2045 Autos – oder wie immer man das dann nennen wird! – in Deutschland fahren und in Deutsch­land produziert werden.


Da spricht auch der Interessenvertreter Nordrhein-Westfalens. Was hat ein Kanzler Laschet aus seiner Zeit als Ministerpräsident Laschet gelernt?

Mein Bundesland kennt Strukturwandel seit 60 Jahren. Noch 1965 hatten wir im Ruhrgebiet 500 000 Bergleute und null Studierende. Heute haben wir 280 000 Studierende und null Berg­leute. Der Strukturwandel von der Industrie­gesellschaft in die Wissensgesellschaft hat viele Konflikte mit sich gebracht. Er hat vom Staat verlangt, den Wandel sozial abzufedern. Aber: Es hat funktioniert.


Sie kennen den Umbruch aus der eigenen Familie.

Mein Vater war Bergmann im Aachener Revier. Dort wurden die Zechen schon in den Sech­zigerjahren geschlossen. Da hat er für sich er­kannt, dass er so keine Perspektive hat. Er hat dann die Möglichkeit genutzt, dass Menschen mit Berufserfahrung erleichtert in den Lehrer­beruf wechseln konnten. Er hat nachts gearbei­tet und tagsüber studiert – und so für sich und seine vier Söhne den Bildungsaufstieg geschafft. Doch wird der Wandel, der jetzt kommt, noch gravierender sein. Wir brauchen für viele Be­reiche des Klimawandels Forschungsfortschrit­te. Wir brauchen in der Speichertechnologie Forschungsfortschritte. Wir brauchen bei der Wasserstofftechnologie Forschungsfortschritte. Beschlüsse zur Klimaneutralität sind der ein­fache Teil. Klimaneutralität umzusetzen – das geht nur, wenn die Forschung alle Möglichkei­ten bekommt. Wir müssen den Wandel durch Forschung möglich machen.


Was kann die Forschung von einem Kanzler Laschet erwarten?

Als Erstes eine hohe Wertschätzung. Es genügt nicht, die im Bundeshaushalt beschlossenen Mittel einzuhalten. Es ist existenziell, Geld be­reitzustellen, um die Rahmenbedingungen zu schaffen. Modernisierung gelingt nur mit For­schung – nicht mit Verordnungen und Regeln, nicht mit Vorschriften und Verboten.


Und wie lässt sich der Wissenstransfer in die Wirtschaft und in die Anwendung beschleunigen?

Da kann und muss die Politik die Rahmenbe­dingungen schaffen. Der Staat muss Gründern das Leben so einfach wie möglich machen: Bürokratie abwenden und bei den finanziellen Rahmenbedingungen helfen. Aber es braucht auch immer den Wissenschaftler, der den Wil­len hat, seine Erkenntnisse nicht nur zu publi­zieren, sondern den Drive hat, Partner zu finden und seine Idee umzusetzen.


Sie plädieren für eine neue Gründer­kultur?

Sehen Sie, wir leben in Deutschland heute von der Substanz der Familienunternehmen, die vor 100 oder 150 Jahren gegründet wurden. Oft üb­rigens im Sauerland und im Münsterland, in den kleinsten Orten Nordrhein-Westfalens, wo wir heute mehr Industriearbeitsplätze haben als im Ruhrgebiet. Der Mittelständler, der sein Produkt entwickelt und damit den Weltmarkt erobert hat, der ist der Grundbestand Deutschlands.
 

Was ist seit dieser Gründerzeit, die Sie beschwören, verlorengegangen?

Ich glaube, wir sind in vielem viel zu durchre­guliert und zu wenig mutig. Es ging uns zu gut. Da hatten wir uns zu behaglich eingerichtet.

 

War Deutschland zu satt geworden?

Ja. Mit Sicherheit. Zu viele Systeme haben ab­gefedert, was an Risiken da war. Ich glaube aber, dass wir seit einigen Jahren an einem Punkt sind, wo sich das Klima ändert. Man kann kein Silicon Valley für Deutschland kopieren. Aber ich spüre die Bereitschaft, gerade im Umfeld der Forschung etwas anzupacken. Ein gutes Beispiel ist Biontech. Das brauchen wir tausendfach.

 

Das klingt nach Vision. Was macht die Realität?

Die bleibt oft stecken. Sehen Sie, ich teile ja die Idee der Grünen, dass wir innerdeutsch nicht fliegen sollten. Dazu braucht es Alternativen. Mit der Bahn fahren Sie in Deutschland manchmal mit Tempo 300, dann aber wieder auf Trassen, ge­baut gleich nach dem Ersten Weltkrieg. Wir brau­chen schnellere Planungen und Genehmigungen, um das zu erneuern. Sie können aber davon ausgehen, dass jede Bürgerinitiative gegen eine neue Trasse von den Grünen angeführt wird. Das Gleiche gilt bei der Windenergie. Es genügt eben nicht, nur Überschriften zu formulieren.

 

Weil wir gerade bei den Grünen sind: Wann waren Sie das letzte Mal im »Sassella«?

Gar nicht so lange her. Ein sehr schönes Res­taurant in Bonn. Seit 1994 haben sich dort die damals jungen Abgeordneten der CDU und der Grünen getroffen. »Pizza-Connection« hieß das.

 

Wer die Karte kennt, der weiß: Pizza wurde dort nicht gegessen.

Wir haben gut gespeist, und wir hatten viele an­genehme Abende. Das Lebensgefühl der jungen Grünen war uns damals näher als das Lebens­gefühl vieler Älterer in unseren eigenen Reihen. Da sind schöne Kontakte entstanden. Und die haben geholfen, die damaligen Feindbilder aufzubrechen. Wir haben die Gegensätze offen ausgesprochen, hatten aber eine menschliche Wertschätzung. Heute sind die Gemeinsamkei­ten viel größer als damals.

 

Sie sind christlich sozialisiert, bis hin zu Ihrer Arbeit als Chefredakteur einer Kirchenzeitung. Wie wichtig sind Ihnen christliche Werte für die reale Politik?

»C« ist der erste Buchstabe im Parteinamen.

 

Sie meinen aber nicht »C« wie Chaos oder »C« wie Crash?

Christlich ist eine extreme Herausforderung. Als Politiker müssen Sie einen Grundkompass haben. Der ist bei mir immer europäisch und wird immer christlich bleiben.

 

Sind Sie eher Modell Auge um Auge? Oder halten Sie im Zweifel auch die andere Wange hin?

Man muss in der Politik für seine Positionen kämpfen. Und da gibt es viele Kämpfe, die ich gewonnen habe.