»Wir machen alles anders!«
Ein Ohrstöpsel als Eintrittstor in die digitale Welt? Möglich dürfte es bald sein: Das Team des Start-ups Arioso Systems GmbH bietet mit seiner Innovation die passenden Mikrolautsprecher.
Vieles lässt sich heute mit dem Smartphone lösen. Doch wäre es nicht praktisch, morgen schon nur noch ein kleines drahtloses Gerät im Ohr zu benötigen, um Brötchen beim Bäcker zu bezahlen, die Wetternachrichten abzufragen, zu einem Ziel zu navigieren? Oder: Um eine direkte Übersetzung der Sätze zu erhalten, die uns der Vermieter der Ferienwohnung in Italien gut gelaunt entgegenplaudert, obwohl wir kein Wort verstehen? Laut Holger Conrad und Jan Blochwitz-Nimoth könnten solche sprachgesteuerten »True Wireless Systems« bald unser neues Eintrittstor in die digitale Welt sein.
Schließlich haben sie eine grundlegende Technologie dafür in der Tasche und möchten nun über ihre Firma Arioso Systems GmbH den entsprechenden Markt erobern: Mikrolautsprecher, die zu hundert Prozent aus Silizium bestehen und sich massenhaft und kostengünstig über übliche CMOS-Verfahren im Reinraum fertigen lassen. Auch erzeugen sie ihre Klänge äußerst energieeffizient. »Die neue Technologie macht alles anders als bisherige Techniken«, erläutert Conrad. Die Idee: »Wir haben das zentrale Element eines Lautsprechers, die Membran, quasi über Bord geworfen. Stattdessen integrieren wir viele dünne Biegebalken, ähnlich den Saiten einer Harfe, in einen MEMS-Siliziumchip. So erhalten wir eine große akustische Innenfläche, können aber gleichzeitig die Außenfläche minimal halten.« Das Ergebnis spricht für sich: Die aktive Chipfläche des Lautsprechers ist nur etwa zehn Quadratmillimeter groß – und kann 120 Dezibel erzeugen, bei bester Soundqualität. Auf nur 25 Siliziumwafern können somit bis zu 50 000 Mikrolautsprecher gefertigt werden, was die Fertigung kostengünstig macht. »Neben den technischen Besonderheiten kann unsere Technologie also in der Zukunft auch in Preisführerschaft gehen«, ist sich Conrad sicher.
Aus einem Flop geboren
Dabei sah es anfangs alles andere als nach einem Erfolg aus. Um nicht zu sagen: Der erste Ansatz floppte. Am Fraunhofer- Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS tüftelte Conrad an Spiegeln, deren Krümmungsradius verstellbar ist. »Für die Bewegung der Spiegel wollte ich piezoelektrische Biegeaktoren einsetzen, bin jedoch technologisch auf die Nase gefallen«, erinnert sich der Elektrotechniker. Er kramte also ein von ihm verworfenes Konzept für einen Mikroaktor aus der Schublade – und fing noch einmal von vorne an. Er ersetzte die Piezos durch einen elektrostatischen Biegewandler. Heraus kamen ein Patent, enorme Unterstützung des Institutsleiters Harald Schenk, eine eigene Projektgruppe und eine Vielzahl öffentlich geförderter Forschungsprojekte. Das Thema wuchs stetig. Doch: Es haperte noch an der konkreten Anwendung des neuen Mikroaktors – am besten eine, für die es bisher noch keine Lösung gab. Diese fand Conrad in den Mikrolautsprechern für Hearables und True-Wireless-Earbuds. »Ab diesem Zeitpunkt gingen überall Türen auf«, schmunzelt Conrad.
Eine solche Tür öffnete sich auch bezüglich der Vermarktung: Der ausgründungserfahrene Hermann Schenk, der im Kuratorium des Fraunhofer IPMS saß, wurde auf das Thema aufmerksam. Er holte Blochwitz-Nimoth hinzu – gemeinsam mit Conrad und dem Fraunhofer-Kollegen Lutz Ehrig gründeten sie 2019 formell die Arioso Systems GmbH, unterstützt wurden sie durch Fraunhofer Venture und 2020 begann das operative Geschäft. »Das Gründungsteam ist super: Hermann und ich bringen die Erfahrung in puncto Ausgründungen mit, Holger und Lutz den nötigen Drive«, erzählt Blochwitz-Nimoth begeistert.
Skalieren – bis 100 Millionen Stück
Fünf Investoren finanzieren Arioso Systems bereits mit 2,6 Millionen Euro. Das Verkaufsargument ist gut: Die Technologie ist reinraumgeeignet und skalierbar. »Und skalieren müssen wir bis 100 Millionen Stück pro Jahr: Nach allen Erwartungen werden Hearables künftig auf dem Niveau von Smartphones verkauft werden, also ein bis zwei Milliarden pro Jahr. Ein viel versprechender Markt – das Thema zieht ungemein«, freut sich Blochwitz-Nimoth. Auf Wachstumskurs ist auch die Mitarbeiterzahl: Bis Ende 2021 soll Arioso auf 13 Mitarbeitende wachsen, über die nächsten Jahre auf 50 bis 60. Doch auch das stellt der Geschäftsführer von Arioso Systems fest: »Ohne die Arbeit am Fraunhofer IPMS gäbe es uns nicht, und auch jetzt ist Fraunhofer noch ein wichtiger Partner für uns.« Schließlich ist nicht nur die Idee am Fraunhofer IPMS entstanden, auch darf das Arioso-Team dort nach wie vor die Reinräume nutzen, bevor die Fertigung nach und nach in externe Produktionsstätten verlegt wird.
»Wir sehen auch viel Begeisterung auf der Kundenseite – und Begeisterung ist alles«, berichtet Blochwitz-Nimoth. Das Erfolgsrezept sieht er, neben der innovativen Technologie, in der frühen Kundenansprache. »Der frühe Kundenkontakt hilft uns, uns schnell aus einer Fraunhofer-Forschungsfirma zu einem eigenständigen erfolgreichen Unternehmen zu mausern.«