Resistenzen gegen Antibiotika? Die Phagen-Therapie kann helfen

Pagen-Wissenschaftler im Labor
© Fraunhofer ITEM
Etwa 2 400 Todesopfer fordern antibiotikaresistente Erreger in Deutschland im Jahr. Das Fraunhofer ITEM forscht an Gegenmitteln.
Sterile Phagen-Abfüllanlage
© Fraunhofer ITEM
In einer sterilen Anlage können die Phagen gleich im Fraunhofer ITEM abgefüllt und dann verschickt werden.

Bakteriophagen infizieren Bakterien und töten sie ab. Schon vor 100 Jahren heilte man mit ihrer Hilfe schwere Infektionen. Jetzt erlebt die Phagentherapie eine Renaissance — im Kampf gegen multiresistente Bakterien.

Mukoviszidose-Patienten haben einen zähen Schleim in ihren Lungen, der ein idealer Nährboden für Bakterien ist. Zu diesen Bakterien gehört auch Pseudomonas aeruginosa, das mittlerweile gegen die meisten Antibiotika resistent ist. Die Phagen-Therapie eröffnet hier jedoch neue Behandlungsmöglichkeiten: Die Bakteriophagen infizieren die Bakterien und töten sie ab. Bekannt ist diese Therapieart bereits seit 100 Jahren – also länger als die Antibiotikatherapie. Allerdings geriet sie in Vergessenheit. Im Zuge der antibiotikaresistenten Keime ist sie ein neuer Hoffnungsträger.

Phagen gegen multiresistente Bakterien

Im Projekt Phage-4cure entwickeln Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM in Braunschweig mit zwei Partnern ein auf Phagen basierendes Medikament für Mukoviszidose-Patienten. Gefördert wird das Projekt vom Bundesforschungsministerium. Zunächst einmal galt es, die passenden Phagen zu finden: Das Team testete an mehr als 130 klinischen Proben von Patienten, welche Phagen am besten gegen die Pseudomonas-Bakterien wirken. »Es gibt keinen Breitband-Phagen, der alle Pseudomonas-Stämme abdeckt«, erklärt Holger Ziehr, Bereichsleiter am Fraunhofer ITEM. »Daher haben wir einen Cocktail aus drei verschiedenen Phagen gemischt, der eine hinreichend breite Abdeckung hat.« Hergestellt werden die benötigten Phagen im Fraunhofer ITEM – in Reinräumen mit entsprechenden Anlagen.

Klinische Studien starten 2021

Aus diesen Phagen entwickelt ein Forscherteam am Fraunhofer ITEM in Hannover ein Aerosol, das die Mukoviszidose-Patienten inhalieren können. Weitere präklinische Tests finden an der Berliner Charité statt, wo die Phagen an lebenden Lungengewebsschnitten getestet werden. In Berlin sind für 2021 auch die ersten klinischen Studien an der Charité Research Organisation vorgesehen – zuerst an gesunden Probanden und dann an Patienten. Bei der Zulassung arbeitet das Phage4Cure-Team eng mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zusammen und betritt damit regulatorisches Neuland.

Phagen

Erklärgrafik: Wie funktioniert die Graphen-Therapie
© Grafik: Vierthaler und Braun

 

Bakteriophagen sind Viren, die ausschließlich Bakterien infizieren. Sie können sich nicht auf tierischen und menschlichen Zellen vermehren. Daher sind sie für den Menschen ungefährlich. Es gibt mehr Phagen auf der Erde als alle anderen Organismen zusammen. Phagen kommen überall dort vor, wo auch Bakterien leben, also auch in der menschlichen Darmflora und auf der Haut. Global gesehen tragen sie wesentlich zur Regulation des Bakterienvorkommens bei.

Der Kopf eines Phagen hat die Form eines Ikosaeders, einer Art Würfel mit 20 Flächen und 12 Ecken. Er enthält das genetische Material und sitzt auf einem langen Schwanz. Mit den Schwanzfasern, die die Form von Spinnenbeinen haben, heftet sich der Phage an seine Wirtszelle. Bakteriophagen können sich nicht selbst vermehren. Sie benutzen dafür Bakterienzellen. Jede Phagenart ist auf einen bestimmten Stamm von Bakterien spezialisiert.

Der Phage erkennt den geeigneten Wirt an speziellen Rezeptoren auf dessen Oberfläche. Die Bakterien-Rezeptoren und die Phagen-Schwanzfasern müssen wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen, damit der Phage das Bakterium infizieren kann.

Nachdem sich der Phage an das Bakterium angeheftet hat (1), injiziert er das Erbgut aus seinem Kopf in die Zelle (2). Das Bakterium beginnt dann mit der Produktion von Phagenbestandteilen (3). Anschließend werden die Phagen zusammengebaut und freigesetzt (4). Aus einem Bakterium können 50 bis 100 neue Phagen entstehen.

Fraunhofer-Magazin-Artikel weiter.vorn 1/2020

Ausweg aus der Antibiotikakrise