Bausteine der Zukunft

Kreislaufwirtschaft

Mit innovativen Recycling-Methoden Gips- und Bausand-Mangel entgegenwirken

Elektrodynamische Fragmentierung von Bauschutt

Dr. Volker Thome
© Sonja Och
Eine runde Sache: Dr. Volker Thome vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP im Sattdampfautoklaven zur Herstellung von Porenbeton.

Ganz neuer Bedarf entsteht auch in anderen Berei­chen. Für den Laien scheint Gips alles andere als rar zu sein – schließlich begegnet man diesem Baustoff aller­orten. Allein die deutsche Industrie benötigt jährlich zehn Millionen Tonnen. Doch: 60 Prozent des Gipses stammen aus Kohlekraftwerken, die 2040 geschlossen werden. Stand heute werden dann jährlich also rund sechs Millionen Tonnen Gips fehlen.

»Über Recycling von Gips aus Bau­schutt lässt sich diese Lücke stop­fen«, sagt Dr. Volker Thome, Abtei­lungsleiter am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. Daran arbeitet das Forscherteam im Discover- Projekt ENSUBA, kurz für »Ent­sulfatisierung von Bauschutt«. Bisher landet die Feinfraktion des Bauschutts, also alles kleiner zwei Millimeter, auf der Deponie. Die Mengen sind durchaus lohnens­wert: Fünf Millionen Tonnen, vom Volumen her entspricht das 160 Mal dem Fernsehturm in Berlin. Diese Feinfraktion enthält etwa zehn Prozent Gips, der chemisch gebunden vorliegt.

Mit einem nasschemischen Verfahren können die Forscherin­nen und Forscher des Fraunhofer IBP den Gips wirtschaftlich aus der Feinfraktion herauslösen. »Zu­nächst vermischen wir den Bau­schutt mit Ammoniumcarbonat, besser bekannt als Hirschhornsalz, einem Backpulver für Lebkuchen«, erläutert Thome. Das Ergebnis: sulfatfreier, kalkhaltiger Bauschutt, der direkt im Zementwerk wei­terverarbeitet werden kann, und Ammoniumsulfat. Gibt man Kalk zum Ammoniumsulfat, fällt der Gips aus. Ze­mentwerke kämen als Abnehmer für beide Fraktionen in Betracht. In einem großen Pilotprojekt des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand wollen die Forscher das Verfahren nun hochskalieren und Kinderkrankheiten ausmerzen. »Die Methode ist relativ einfach – und das Interesse dementsprechend groß«, sagt Thome. 500 000 Tonnen Gips ließen sich auf diese Weise jähr­lich gewinnen. Viel, aber nicht ausreichend. Daher ent­wickeln und optimieren die Forscher am Fraunhofer IBP im Verbundprojekt »Baucycle« gemeinsam mit dem Fraun­hofer IML, dem Fraunhofer UMSICHT und dem Fraun­hofer IOSB ein Verfahren, mit dem sich größere Bauschutt- Stücke elektrooptisch erkennen und über Druckluft aussortieren lassen. Auf diese Weise können Bruchstücke zwischen zwei Millimetern und acht Zentimetern bei­nahe sortenrein wiedergewonnen werden.

Selbst Bausand gibt es längst nicht mehr wie Sand am Meer. So herrscht in Dubai bereits ein großer Bausand-Mangel, denn der Wüstensand eignet sich nicht – der gesamte Bausand wird aus Australien importiert. Auch andernorts ist Bausand heiß begehrt: Sandpiraten bauen vor Afrika illegal Sand ab und richten irreparable ökologi­sche Schäden an. Auch sind 20 indonesische Inseln durch Sandraubbau gänzlich von der Landkarte verschwunden. Könnte man den Bausand aus altem Beton dagegen wie­der zurückgewinnen, würde sich eine gigantische Quelle eröffnen: Denn Beton ist neben Wasser die meistgenutzte Substanz der Welt. Leicht ist das Unterfangen allerdings nicht: Noch lässt sich der Sand nicht von der umgebenden Matrix trennen. »Bisher wird der Beton einfach mecha­nisch zerkleinert. Mit der elektrodynamischen Fragmen­tierung haben wir jedoch erstmals eine Trennmethode entwickelt, mit der sich Sand, Kies und Stahlfasern aus dem Beton zurückgewinnen lassen«, berichtet Thome vom Fraunhofer IBP. Dabei werden unter Wasser ultra­kurze Blitze erzeugt, die sich in den Festkörpern bevor­zugt entlang von Phasengrenzen entladen und den Beton in seine Komponenten zerlegen. »Bereits bei der ersten Vorentladung, die die Gegenelektrode erreicht, entste­hen Drücke im Bereich einer TNT-Explosion«, berichtet Thome. Während sich der Kies auf diese Weise sortenrein abtrennen und gleichwertig wiederverwenden und auch Stahlfasern sich sauber isolieren lassen, ist beim Sand noch etwas Forschungsarbeit nötig. Der liegt der­zeit noch als Mischung aus Sand und Zementstein vor. Die Forscherinnen und Forscher arbeiten momentan an der sortenreinen Trennung. Bis dahin lässt sich jedoch auch die Mischung weiterverwenden: Etwa für die Her­stellung von Dämmstoffen. Bedeutende Hürden beim Re­cyclingprozess haben die Forscherinnen und Forscher bereits genommen. »In einem Kooperationsprojekt mit einem Generatorenhersteller konnten wir den Energie­verbrauch für die elektrodynamische Fragmentierung auf ein Zehntel senken, dieser liegt jetzt im Bereich einer mechanischen Aufbereitung«, freut sich Thome. Auch das Problem des bislang geringen Durchsatzes löste das Team erfolgreich: Ende des Jahres soll eine Anlage mit einer Kapazität von drei Tonnen pro Stunde laufen – bisherige Anlagen schaffen nur eine.

Interessant ist das Verfahren auch beim Recycling von Müllverbrennungs-Aschen: Eisen, Nichteisen-Me­talle wie Alufolie, Kronkorken, Glas, Steine und Keramik mit Größen über zwei Millimeter lassen sich komplett sortieren und verwerten. Das Aschevolumen lässt sich somit auf 50 bis 60 Prozent reduzieren.

Ein weiteres An­wendungsfeld der elektrodynamischen Fragmentierung sind Feuerfestkeramiken, die unter anderem bei der Ei­sen- und Stahlherstellung oder in Müllverbrennungsan­lagen eingesetzt werden. Einmal jährlich müssen diese ausgetauscht werden, die alten Keramiken werden de­poniert. Da China jedoch einen hohen Eigenbedarf an diesen Keramiken hat, explodieren derzeit die Preise für Zuschläge – so etwa der für hochreines Bauxit: Es kostet mittlerweile 800 bis 1200 Euro pro Tonne. Zum Vergleich: Für Beton muss man lediglich 6 bis 14 Euro pro Tonne bezahlen. »Über die elektrodynamische Fragmentierung können wir diese Zuschläge in Originalqualität abtren­nen, wir haben das Verfahren daher bereits 2017 zum Patent angemeldet«, erzählt Thome. Im aktuellen Fraun­hofer-Projekt FAVRE, kurz für »Fragmentierungsanlage für Verbundwerkstoff-Recycling«, gefördert von der Fraun­hofer-Zukunftsstiftung, skalieren die Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IBP die Technologie nun hoch. Und erschließen damit eine neue Quelle für Bauxit und Co., die die Preise hoffentlich wieder purzeln lässt und die Verfügbarkeit der Rohstoffe langfristig sicherstellt. Auch in diesem Bereich zeigt sich: Wertstoffe werden im­mer wertvoller.

Projekte

ENSUBA − Entsulfatisierung von Bauschutt

Er steckt in Wänden, Decken und Böden von Gebäuden: der Baustoff Gips. Und das in erheblicher Menge: Schon heute besteht die Gebäudesubstanz Deutschlands bis zu zehn Prozent aus Gips, schließlich lässt sich dieses Material angenehm verarbeiten. Doch hat es auch einen gravierenden Nachteil, und zwar in puncto Recycling. Denn Gips ist chemisch gesehen nichts anderes als Calciumsulfat-Dihydrat – also ein Sulfat. Und genau dieses bereitet Probleme, wenn es um die Wiederverwendbarkeit von Bauschutt geht.

BauCycle − Recycling von feinkörnigem Bauschutt

Entgegen dem Sprichwort, nach dem etwas so häufig wie Sand am Meer ist, ist dieser endlich und in manchen Ländern sogar knapp, denn Strand- oder Wüstensand sind für den Bau nicht geeignet; er ist zu klein und zu rund. Doch der weltweite Bauboom benötigt Unmengen an Kies, anderen Gesteinen und eben Bausand für die Herstellung von Beton, Mauersteinen oder Putzen. Um dieser Ressourcenverknappung entgegenzuwirken, haben sich vier Fraunhofer-Institute im Rahmen des Projekts »BauCycle« mit der Verwertung von mineralischen Baustoffen aus Abbruchmaterialien beschäftigt.

FAVRE − Mineralische Werkstoffe und Baustoffrecycling

Im Projekt FAVRE bereiten Dr. Thome und sein Team ein neues Verfahren zum Recycling von Bauschutt für die industrielle Anwendung vor. Den Forschenden ist es gelungen, mithilfe von »ultrakurzen Blitzen« Altbeton in seine Bestandteile zu zerlegen und ihn so aufzubereiten, dass die Fraktionen als klimafreundliche und ressourcenschonende Ersatzstoffe für die Zementherstellung zur Verfügung stehen.