Erzähl uns doch ein wenig von deinem bisherigen Werdegang und deinem Einstieg bei Fraunhofer: Wie kamst du zu deiner jetzigen Stelle? Was waren für dich wichtige Entscheidungen in deiner beruflichen Karriere?
Marcus: Nach meiner Promotion in theoretischer Astrophysik und zwei Jahren am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft war ich auf der Suche nach einer Tätigkeit, bei der die anwendungsorientierte Forschung im Vordergrund steht und man sich mehr mit den Metafragen der Wissenschaft befasst. Durch die Unterstützung der ZAV (Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademikerinnen und Akademiker) fand ich eine Stelle im Bereich der technologieorientierten Zukunftsforschung am Fraunhofer INT, was für mich ein völlig neues Arbeitsfeld war. Ich wurde 2007 eingestellt und bin nun seit 16 Jahren dort tätig. Die wichtigste Entscheidung in meiner Berufslaufbahn war das Studium der Astrophysik, das mir analytische Fähigkeiten und interdisziplinäre Ansätze vermittelt hat. Die Vielseitigkeit und Offenheit der Astrophysik, die Kompetenzen in verschiedenen Bereichen erfordert, prägt noch heute meine Arbeitsweise.
Vor welchen Herausforderungen standest du bereits im Arbeitsalltag und wie bist du damit umgegangen?
Marcus: Als ertaubte Person, die seit 2006 bzw. 2008 ein Cochlea-Implantat (CI) trägt, ist meine größte Herausforderung die Kommunikation. Oft muss ich erklären, dass ich zwar vieles mit dem CI verstehe, aber eben doch nicht alles und dass die Technik auch ihre Grenzen hat, z. B. in lauten Umgebungen. Eine weitere Hürde besteht darin, dass ich immer wieder klarstellen muss, dass Schwerhörigkeit nicht mit intellektuellen Einschränkungen einhergeht. Es ist wichtig zwischen »nicht hören können« und »nicht verstehen können« zu unterscheiden – eine Unterscheidung, die in unserer Kultur und besonders in der deutschen Sprache oft nicht erfolgt.
Was ist das Besondere an deiner Tätigkeit für Fraunhofer?
Marcus: Zum einen die Menschen. Die Kolleginnen und Kollegen am Fraunhofer INT und bei Fraunhofer faszinieren mich mit ihrem Wissen, ihrer Intelligenz und ihrer Innovationsfreudigkeit. Zum anderen das Aufgabenfeld. Die Arbeit vereint kundenorientierte Aufgaben mit wissenschaftlicher Praxis und erfordert die ständige Anpassung an aktuelle wissenschaftliche Entwicklungen. Die richtige Balance zu finden, ist eine anspruchsvolle, aber auch reizvolle Aufgabe. Es freut mich zu sehen, wie unsere Arbeit die Gesellschaft positiv beeinflusst und Veränderungen bewirkt.
Woran merkst du, dass Inklusion bei euch am Institut wirklich gelebt wird?
Marcus: Kleine Gesten, z. B., dass der für mich optimale Sitzplatz freigehalten wird, sind bei uns am Institut selbstverständlich. Diese Automatismen zeigen mir, dass Behinderung im Alltag keine Rolle spielt und Inklusion in unserem Team gelebt wird. Trotzdem funktioniert Inklusion nicht immer und überall. In meinem Team jedoch nehmen meine Kolleginnen und Kollegen manchmal schon gar nicht mehr wahr, dass ich hörbehindert bin, weil die Kommunikation einfach funktioniert.
Welche Unterstützung hast du im Rahmen deiner Tätigkeit für Fraunhofer erfahren? Wie wird bei dir am Institut dafür gesorgt, dass du optimale Arbeitsbedingungen vorfindest?
Marcus: Neben dem bereits genannten »optimalen Platz« achten meine Kolleginnen und Kollegen darauf, dass nicht alle gleichzeitig sprechen. Ein wichtiges Hilfsmittel in virtuellen Meetings ist ein Bluetooth-Gerät (Telefon-Mic), das Signale vom Rechner direkt an meine Soundprozessoren sendet. Das Institut hat mir dieses essenzielle Gerät bereitgestellt, was Gespräche via Microsoft Teams sehr erleichtert. Generell sind meine Anforderungen bescheiden, was vielleicht ein kleiner Vorteil ist; z. B. benötige ich keine Rampen.
Welche Veränderungen würdest du dir wünschen, damit Menschen mit Behinderungen in der Wissenschaft mehr Teilhabe ermöglicht wird?
Marcus: Ein erster Schritt ist es, Bewusstsein zu schaffen für die speziellen Herausforderungen von Menschen mit Behinderungen in wissenschaftlichen Tätigkeitsfeldern, beginnend an den Universitäten. Es fehlt häufig an angemessenen Vorkehrungen bzw. an einer Kultur des Möglichmachens, z. B. durch einen verbesserten Zugang für Menschen mit Höreinschränkungen zu Gebärdensprach- und Schriftdolmetschenden in den Vorlesungen, wie es etwa in den USA üblich ist. Kreative Lösungen wie spezielle Gebärden für Fachbegriffe sind ebenfalls hilfreich. Inklusion schafft einen Mehrwert für das ganze Wissenschaftssystem und das gesamte Team durch neue Perspektiven und verbesserte Zusammenarbeit.
Welche Tipps möchtest du anderen Menschen mit Behinderungen, die eine Tätigkeit in einer Forschungsorganisation anstreben, mit auf den Weg geben?
Marcus: Es sind eigentlich drei Tipps, die ich geben kann:
- Nicht aufgeben, denn die Freude an der Wissenschaft ist es wert.
- Offen und ehrlich über die eigene Behinderung und die eigenen Bedürfnisse kommunizieren, ohne diese zu verbergen oder herunterzuspielen.
- Die Vernetzung mit anderen schwerbehinderten Akademikerinnen und Akademikern suchen und sich gegenseitig unterstützen, sei es durch Empowerment, Tipps oder den Austausch über gemeinsame Herausforderungen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Diversität, sei es durch Behinderungen, Geschlecht oder ethnische Zugehörigkeit, einen echten Mehrwert darstellt. Diversität ist essenziell für Innovation und die Entwicklung neuer Ideen.