Die Bereitstellung von Lebensmitteln belastet die Umwelt, was im besonderen Maß für tierische Produkte gilt. Ein erheblicher Teil der Lebensmittel geht auf dem Weg vom Acker zum Verbraucher verloren, was die Umwelt zusätzlich belastet. Hier können geeignete Verpackungen einen wichtigen positiven Beitrag leisten. Optimierte Verpackungen sowie pflanzliche Alternativen für Fleisch- und Milchprodukte sind Kernthemen des Freisinger Fraunhofer-Instituts für Verpackungs- und Verfahrenstechnik IVV.
Plastikmüll und wohin damit?
Plastik- oder Einwegverpackungen entwickeln sich in einigen Regionen der Welt zu einem im wahrsten Sinne erdrückendem Problem. Dennoch können sich diese in der Gesamtbetrachtung positiv auf die Umwelt auswirken, wie Prof. Dr. Horst-Christian Langowski in seinem virtuellen Vortrag vor über 50 Teilnehmenden deutlich macht. Viele Lebensmittel sind in irgendeiner Form von Plastik verpackt. Gelangen diese Verpackungen in die Umwelt, richten sie Schaden an und sind sichtbar. Das Problem des Plastikmülls in den Weltmeeren und in der Umwelt scheint derzeit so erheblich, dass jede Vermeidung von Kunststoffen als positiv wahrgenommen werde, doch ganz so einfach könne diese Betrachtung nicht ausfallen, warnt Langowski.
Kunststoff-Verpackungen zum Beispiel auf Papier umzustellen würde sich in Punkto Ressourcenverbrauch möglicherweise sogar negativ auswirken, sagt Langowski. Zumal auch die Papierherstellung für zusätzliche Umweltbelastung sorge. Auch andere Verpackungsmaterialien wie etwa Hanf benötigen wieder zusätzliche Komponenten und vor allem zusätzliche Anbauflächen, so dass auch bei diesen neuen Alternativen häufig hinsichtlich der Umweltverträglichkeit nicht viel gewonnen ist. »Da wird auch viel Etikettenschwindel betrieben«, so Langowski.
»Es ist das Produkt, das die Verpackung vorgibt, und die lässt sich nicht einfach beliebig austauschen.« Nur ein kleines Segment der Lebensmittel könne »unverpackt« in den Handel gebracht werden. Bis umweltfreundlichere Alternativen verfügbar sind, werden zumindest im Lebensmittelbereich noch einige Jahre vergehen, vermutet Prof. Langowski.
Verluste in der Versorgungskette
In der Lebensmittel-Versorgungskette treten an vielen Stellen Verluste auf und die Bereitstellung und Herstellung von Lebensmitteln belastet unter anderem mit CO2-Emissionen die Umwelt. Gehen also weniger Lebensmittel in der Versorgungskette verloren, hilft das der Umwelt. »Verpackung kann dabei helfen, diese Verluste um 50 Prozent zu reduzieren.« Im Mittel fallen rund 10 Prozent des Energieaufwands für das Gesamtprodukt auf die Verpackung, der Anteil ist also vergleichsweise gering, erklärt Langowski. »Ungeeignete Verpackungen dagegen können sich sehr kontraproduktiv auswirken, die Hebelwirkung ist sehr hoch.«
Bei Obst oder Gemüse lassen sich durch optimierte Verpackungen die Verluste im Handel – etwa durch vorzeitiges Verderben oder durch Druckstellen – um den Faktor 2 bis 12 reduzieren. Ähnliche Effekte gibt es bei Käse oder Fleisch. »Wir haben bei Verpackungen also positive Wirkungen sowie negative Wirkungen durch Abfall und Ressourcenverbrauch. Diese beiden Aspekte müssen wir gegeneinander aufwiegen, aber dafür gibt es leider kein Patentrezept«, resümiert Langowski.
Die beteiligten Industrien hätten lange nicht darauf geachtet, dass Kunststoffe in die Umwelt gelangen und dort sichtbar werden. Einige Länder in Europa, darunter auch Deutschland, praktizieren bereits die Verwertung von Kunststoffabfällen. Verpackungen z. B. für Farbe, Motoröl oder Kosmetika seien teilweise schon heute aus Recycling-Kunststoff. Im Lebensmittelbereich dagegen beschränke sich das noch auf PET-Flaschen. Dennoch: Auch in Deutschland wird trotz vergleichsweise hoher Rückführungsrate immer noch rund die Hälfte des Kunststoffabfalls der so genannten »energetischen Verwertung« zugeführt.
Weltweit betrachtet dagegen ist für den Experten die Recycling-Quote mit gerade mal 16 Prozent »sehr enttäuschend«. Von den rund 143 Millionen Tonnen Kunststoffverpackungenen werde rund ein Viertel auf Deponien ausgebracht. Bei 29 Prozent des Mülls ist laut Langowski überhaupt nicht bekannt, was damit passiert. »Daher verwundert es nicht, dass man in der Umwelt so viele Kunststoffe wiederfindet.«
Einfach mal machen
Aber es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten, dieses Problem weltweit anzugehen. Langowski sieht als »wichtigste, wenn auch technisch trivialste Maßnahme« die weltweite Einführung einer geordneten Abfallwirtschaft. Im zweiten Schritt müsse die Deponierung von Kunststoffen – auch in Europa –drastisch reduziert werden. Auch hier gehe es nur noch um die Umsetzung bereits vorgesehener Vorgaben.
Die generelle Recyclingfähigkeit von Verpackungen zu optimieren ist natürlich ebenfalls eine geeignete Maßnahme und hier kommt auch das IVV als Forschungspartner ins Spiel. Zunächst gelte es, den Wiedereinsatz im Non-Food-Bereich und dann im nächsten Schritt die Steigerung im Food-Bereich zu realisieren. Bei kompostierbaren Verpackungen dagegen geht Langowski davon aus, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis diese für den breiten Einsatz verfügbar sind.
Zwei Planeten für den Fleischkonsum
Nicht nur Verpackungen können sich negativ auf die Umwelt auswirken, auch Lebensmittel selbst sorgen für erheblichen Ressourcenverbrauch: Mit einem drastischen Beispiel illustriert Dipl.-Ing. M. Sc. Christian Zacherl, Geschäftsfeldmanager Lebensmittel am Fraunhofer IVV, ein wachsendes Problem: Immer mehr Menschen konsumieren immer mehr Fleisch. Setzt sich dieser Trend zusammen mit dem Wachstum der Weltbevölkerung weiter fort, bräuchte man in 50 Jahren zwei Erden, alleine um das Futter für die Tiere zu produzieren. »Würden sich dagegen alle Menschen rein pflanzlich ernähren, dann würden die heute zur Verfügung stehenden Anbauflächen ausreichen, um 17,5 Milliarden Menschen zu ernähren.« Diese hohe Diskrepanz ist vor allem dadurch zu erklären, dass etwa die fünffache Menge an pflanzlichem Protein aufgewendet werden muss, um 1 Kilogramm tierisches Protein herzustellen. Folglich werden derzeit weltweit etwa 60 Prozent der Agrarbiomasse als Futtermittel verwendet, verdeutlicht Zacherl.
Trotz geeigneter Verpackungen gehen zudem weltweit etwa 33 Prozent der produzierten Lebensmittel über alle Versorgungswege hinweg verloren, so Zacherl. In der EU sind das jährlich bis zu 100 Millionen Tonnen. Auch beim Endverbraucher verderben viele Lebensmittel, »weil Fleisch und andere Produkte immer noch zu billig und zu wenig wertgeschätzt sind«, erklärt Zacherl.
Pflanzen statt Milch und Fleisch
»Daher sind wir am IVV seit Jahren bestrebt, Agrarrohstoffe integriert zu nutzen, um Verluste bei der Nutzung zu minimieren, und mehr Pflanzenproteine zum Einsatz zu bringen«, so Zacherl. Am IVV konzentriert man sich vor allem auf so genannte Leguminosen und Ölsaaten wie Lupine, Soja, Sonnenblume, Raps oder Leinsamen. Doch nicht nur der Einsatz in Lebensmitteln, sondern auch für Futtermittel oder technische Anwendungen ist Thema an dem Freisinger Institut. Bei Lebensmitteln konzentrieren sich die Forscher*innen am IVV auf pflanzliche Brotaufstriche wie Frischkäse- oder Käsealternativen, Wurst- oder Fleischersatz, Getränke oder Milch auf Pflanzenbasis.
Die Prolupin GmbH, ein Spin-off des Fraunhofer IVV, vertreibt über den Einzelhandel seit einigen Jahren erfolgreich Milchalternativen auf Lupinen-Basis. Ein weiteres Highlight des IVV ist auch die vegane »Milchschokolade«, die Viktor Deleski, Moderator der virtuellen Veranstaltung, vor wenigen Wochen selbst kosten durfte.
Bei der Frage, ob ein Rohstoff als pflanzliche Alternative in Betracht kommt, prüfen die Forscher*innen vor allem den Nährwert, also Proteingehalt, Mineralstoffe und Vitamine, die Sensorik, dazu zählt die Textur und natürlich der Geschmack sowie die Techno-Funktionalität der Rohstoffe. So lassen sich beispielsweise Hafer oder Reis vollständig etwa für eine Milchalternative nutzen, andere wie Soja oder die Lupine müssen zunächst verarbeitet werden, um bestimmte Bestandteile wie Proteine gezielt herauszulösen. Schließlich entsteht aus diesen Pulvern in mehreren Schritten eine stabile Emulsion. Nach Homogenisierung und Pasteurisation ist die Pflanzenmilch fertig für den Verbrauch.
Kooperation mit Bakterien
»Um weitere Produktkategorien herstellen zu können, untersucht das IVV auch die Fermentation mit unterschiedlichen Milchsäurebakterien. Je nach Stamm bilden diese verschiedene Aromen und Endprodukte. Oft nutzen wir eine Kombination von 3-5 Keimstämmen«, erklärt Zacherl. Und mit diesen Kombinationen können die Forscher*innen bereits Alternativen herstellen, die sehr nah an Milchprodukte wie Joghurt oder Frischkäse heranreichen. »Immer noch die größte Herausforderung« sei laut Zacherl ein Camembert auf Pflanzenbasis. Die veganen Kopien sehen äußerlich dem Original sehr ähnlich, jedoch bleiben diese auch bei fortschreitender Reifung schnittfest. Funfakt: Milchsäurebakterien-Stämme gelten übrigens dann als vegan, wenn sie in vierter Generation auf einem pflanzlichen Medium wachsen.
»Vegane Produkte gibt es schon seit einiger Zeit. Langfristige Effekte im Konsumverhalten lassen sich nur erreichen, wenn der Genusswert den Erwartungen der Verbraucher entspricht. An die Funktion und Sensorik dieser Produkte werden daher hohe Anforderungen gestellt. Es muss mit anderen Worten schmecken, wenn wir eine flächendeckende Änderung bei Fleischessern oder Flexitariern erreichen wollen«, so Zacherl weiter.
Etwas mehr als 1 Million Menschen in Deutschland ernähren sich derzeit Vegan oder verzichten weitestgehend auf tierische Produkte. Die Zahl der Vegetarier dürfte noch höher liegen. Klar ist aber, dass pflanzliche Alternativen nicht nur gut für den Planeten sind, sondern auch voll im Trend liegen und das haben inzwischen auch Investoren und das Venture Capitial entdeckt.
Follow the Money
Diese Investitionen untersucht Prof. Dr. Dietmar Grichnik, Professor für Entrepreneurship und Technologiemanagement an der Universität St. Gallen, unter anderem mit dem FoodTech Lab, einer Organisation der Universität St. Gallen, die einerseits den Markt für Lebensmittel analysiert und die Entwicklung neuer Geschäftsideen und Technologien unterstützt. Beispiele dafür sind Essento, das erste Insekten-Food-Startup in der Schweiz, oder die HSG/ETH-Ausgründung Planted, die in der Schweiz Fleischersatzprodukte anbietet.
Die relevanten Food-Trends der vergangenen Jahre orientieren sich an den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, darin sind Grichnik und sein Doktorand Eduard Müller, Research Associate & Project Manager Startup@HSG an der Universität St. Gallen einig. Grund dafür sei vor allem die projizierte Zunahme der Weltbevölkerung. »Die Agar- und Food-Branche ist im Vergleich zu anderen Sektoren von sehr hohen Ineffizienzen gekennzeichnet. Daher ist hier ein hoher Bedarf an Innovationen festzustellen. Folglich gehen immer mehr Startups Herausforderungen oder Probleme in der Agrar- und Nahrungsmitteltechnologie an.«
Dass es sich dabei tatsächlich um einen Trend handelt, lasse sich laut Grichnik durch die Analyse der Investitionen in diesem Bereich belegen: In Europa seien alleine in 2019 mehr als 3,4 Milliarden Dollar in den Agrar- und Food-Sektor und hier vor allem in den Endkundenbereich geflossen. Das bedeutet einen starken Anstieg gegenüber den Vorjahren.
Investoren entdecken Food-Tech
Laut Müller sind die Vermeidung von Foodwaste, Verteilung und Weiterverbreitung derzeit die wichtigsten Bereiche. Als Beispiel nennt Müller ein Start-up, das über die Auswertung von Konsumenten-Daten Restaurants dabei unterstützt, zielgerichtet Lebensmittel zu bestellen und Überangebote zu vermeiden. Start-ups, die Lebensmittel vor der Müllkippe retten und in einem neuen Markt weiterverkaufen, haben wie Upcycling-Modelle, wenn etwa aus weggeworfenen Bananenschalen Fasern extrahiert werden, die Aufmerksamkeit der Investoren, das gilt auch für »alternativen Proteine« etwa aus Hanf, Erbsen, Insekten, Laborfleisch, Soja oder Lupinen. Neue Anbauformen wie die unterschiedlichen Spielarten des Vertical Farmings oder auch Personalisierte Ernährung, Connected Kitchen oder Direct2consumer sind ebenfalls interessante Themen.
»Investitionsströme schaffen Visibilität«, erklärt Grichnik und im Zentrum dieser neuen Start-up-Biotope stünden nicht etablierte große Namen. »Der Kleine dominiert in diesem Spiel, fungiert als Orchestrator, weil hier die Stärke in der Kundenschnittstelle liegt«, so Prof. Grichnik. In diesem Food-Tech-Markt treten nicht nur spezialisierte Venture-Captitalisten auf, sondern auch Generalisten, was laut dem Gründungsexperten als Zeichen für die Etablierung dieses Marktes gewertet werden kann.
Gaumenrevolution
Wie aber sieht die Zukunft dieses Marktes aus? Für Grichnik sind die Mechanismen entscheidend, die die Entwicklung antreiben. »Man darf nicht davon ausgehen, dass Veganer oder Vegetarier die entscheidenden Gruppen sind, die diese Trends prägen, denn diese sind verhältnismäßig klein. Wichtig ist, durch neue und verbesserte Produkte die große Masse zu überzeugen. Wenn man nicht nur ein Ersatzprodukt hat, das aussieht wie eine Wurst, sondern ein viel besseres Produkt anbietet, dann erreichen wir diese Wende, die, worin wir alle übereinstimmen werden, absolut notwendig ist«, so Grichnik. Und nicht zuletzt aufgrund des steigenden Investitionsvolumen in diesem Bereich beschleunige sich die Entwicklung von Alternativen deutlich.
Auch trotz starker Beharrungskräfte in traditionellen Bereichen geht Grichnik davon aus, dass der entscheidende Druck auf der Nachfrageseite entsteht. »Ich glaub auch, dass dieser Druck unumkehrbar ist und das kann man ja auch heute schon an den Zahlen ablesen.«
Mitglieder des Fraunhofer-Alumni e.V. können im Vereinsportal (Registrierung erforderlich) Mitschnitte der Veranstaltung sowie weitere Materialien zur Veranstaltung abrufen.