Die WHO empfiehlt, die Tagesdosis von 25 Gramm Haushaltszucker pro Kopf und Tag nicht zu überschreiten – das entspricht etwa fünf bis zehn Teelöffeln. Diese Obergrenzen einzuhalten, ist nicht leicht, denn viele Fertiggerichte, Soßen, Dressings, Gemüse- und Obstkonserven, Frühstückscerealien, Smoothies, Fruchtsäfte, Fruchtjoghurts und Softdrinks sind Zuckerfallen. Allein ein Glas Cola (250 Milliliter) enthält mit 27 Gramm mehr Zucker, als man am Tag konsumieren sollte. Im Projekt NovelSweets unterstützen Forschende des Fraunhofer IME gemeinsam mit den Partnern metaX Institut für Diätetik GmbH und der Firma candidum GmbH das Ziel des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), den Zuckergehalt in Fertigprodukten und Getränken zu reduzieren, um den steigenden gesundheitlichen Problemen durch falsche Ernährung entgegenzuwirken. Auf Basis von süß schmeckenden Proteinen, sogenannten SPs, die als natürliche Moleküle in einigen Pflanzen und Früchten vorkommen, wollen sie mit biotechnologischen Verfahren proteinbasierte Süßungsmittel als künftigen Zuckerersatz herstellen. Aufgrund ihrer Struktur docken die SPs – ähnlich wie Zucker – besonders gut an die Rezeptoren auf der Zunge an, durch die wir süßen Geschmack wahrnehmen.
Brazzein als Basis für neue Proteinvarianten
Eines der bekannten SPs ist Brazzein aus der afrikanischen Pflanze Pentadiplandra brazzeana. Die Extraktion des SPs aus der Pflanze wäre zwar möglich, ist aber zu aufwändig und wenig ertragreich. Daher entwickeln die Projektpartner Proteinvarianten basierend auf der Proteinsequenz des Brazzeins, optimieren diese in puncto pH- und Temperaturstabilität und stellen sie biotechnologisch her. Zudem verbessern sie die Proteinvarianten hinsichtlich ihrer Süßkraft und ihres Geschmacks. »Brazzein kratzt im Hals. Wir verändern die Proteinsequenz, um diesen unerwünschten Effekt zu verhindern. Ziel ist eine verbesserte Sensorik ohne unangenehmen Bei- oder Nachgeschmack«, erläutert Dr. Stefan Rasche, Wissenschaftler am Fraunhofer IME in Aachen.
10 000-fach süßer als Haushaltszucker
Hergestellt werden die verbesserten Kandidaten biotechnologisch durch mikrobielle Fermentation: Das Gen, das für das süß schmeckende Protein kodiert, also eine Beschreibung der Aminosäuresequenz dieses Proteins enthält, wird in Hefezellen eingeschleust, die dann in einem Bioreaktor unter kontrollierten Bedingungen so vermehrt werden, dass möglichst große Mengen des SPs gebildet werden. Nach einem Reinigungs- und Trocknungsprozess liegt das proteinbasierte Süßungsmittel vor – X3 nennen die Forschenden den so hergestellten Zuckerersatz. »Ein Gramm des Ersatzstoffs hat die gleiche Süßkraft wie etwa 10 kg Zucker. Gemeinsam mit unseren Partnern konnten wir also ein SP entwickeln, das ca. 10 000-fach süßer ist als Haushaltszucker«, sagt Rasche. Im Vergleich zu natürlichem Brazzein weist es eine drei- bis vierfach höhere Süßkraft auf. Für figurbewusste Verbraucherinnen und Verbraucher ist das innovative Süßungsmittel eine echte Zucker-Alternative: »Eine typische Cola enthält ca. 106 Gramm Zucker pro Liter. Das entspricht 1800 Kilo/Joule (kJ). Wenige Milligramm unseres SPs reichen aus, um die gleiche Süße zu erzielen, wodurch die Kalorienzahl erheblich reduziert werden kann.«
X3 mit honigartigem Geschmacksprofil
Darüber hinaus schmeckt X3 leicht nach Honig, was es zu einem idealen Kandidaten für ein Süßungsmittel macht. »Im Vergleich zu bisher verfügbaren künstlichen Süßstoffen überzeugt X3 durch seinen besseren Geschmack, wie unsere Verkostungen mit Testpersonen zeigen konnten. Da sie praktisch kalorienfrei ist, verursacht unsere modifizierte Brazzein-Variante keine Karies und wirkt sich nicht auf den Blutzuckerspiegel aus«, betont der Forscher weitere Vorteile. Zunächst soll der Ersatzstoff Getränken hinzugefügt werden. Erste Produkte mit X3 wie ein eiweißarmes, kakaohaltiges Getränkepulver werden derzeit beim Projektpartner metaX getestet und entwickelt. Bevor jedoch der Zulassungsprozess starten kann, stehen die Optimierung des Herstellungsprozesses sowie weitere Maßnahmen zur Produktvalidierung an, um so das volle Potenzial der Proteinvariante X3 zu erschließen.