Das Industriematerial Siliciumcarbid (chemische Formel: SiC) ist wegen seiner enormen Härte – fast so hart wie Diamant – und seiner Hitzeresistenz ein begehrter Rohstoff in der Industrie. SiC kommt bei Anwendungen in der chemischen Industrie, als technische Keramik, bei feuerfesten Komponenten, aber auch bei Halbleitern zum Einsatz. Bei der Herstellung im sogenannten Acheson-Verfahren werden Quarzsand und Petrolkoks in einem zylinderförmigen Freiluftofen auf etwa 2500 °C erhitzt. Durch die einsetzende karbothermische Reduktion entsteht Siliciumcarbid als Endprodukt. Das Verfahren ist zwar nicht kompliziert, es entsteht jedoch sehr viel CO2: Allein durch die karbothermische Reduktion werden für 1 Tonne SiC etwa 2,4 Tonnen des klimaschädlichen Gases freigesetzt. Hinzu kommt der enorme Stromverbrauch von 7,15 MWh/t für den tagelangen Betrieb des Ofens. Hierbei entstehen weitere 1,8 Tonnen CO2 pro Tonne SiC.
»Das Acheson-Verfahren ist fast 130 Jahre alt und gehört zu den klassischen schmutzigen Industrieprozessen, die eigentlich nicht mehr in unsere Zeit passen«, erklärt Jörg Adler, Abteilungsleiter Nichtoxidkeramik beim Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS in Dresden. Sein Team hat nun gemeinsam mit dem Industriepartner ESK-SiC GmbH ein Recycling-Verfahren für die beim Prozess anfallenden Abfall- und Nebenstoffe entwickelt. RECOSiC© reduziert die Umweltbelastung und verwandelt die recycelten Materialien in hochwertiges Siliciumcarbid. Die ESK-SiC GmbH mit Sitz in Frechen bei Köln verfügt über langjährige Erfahrung bei der Behandlung und Veredelung von Rohstoffen.
Hightech-Ofen verwandelt Abfall- und Nebenprodukte in SiC
In den Randbereichen der riesigen Freiluft-Acheson-Öfen kann ein erheblicher Teil der Primär-Rohstoffe Quarzsand und Kohle nicht vollständig zu Siliciumcarbid reagieren, weil die Temperatur hier nicht hoch genug ist. Wegen der schieren Größe der Öfen und der enormen Hitze ist eine Aufstellung in der Fabrikhalle kaum möglich. Im Freiluftofen kommen Verunreinigungen aus der Luft hinzu. Das unvollständig verwandelte SiC sowie Neben- und Abfallprodukte sind bislang nur für minderwertige Anwendungen nutzbar oder müssen entsorgt werden. Hier schafft das patentierte RECOSiC© Abhilfe. »Wir erhitzen diese Nebenprodukte unter Schutzgasatmosphäre in einem Hightech-Ofen auf Temperaturen bis zu 2400 °C. Daraus entsteht wieder hochwertiges SiC. Die Energieaufnahme ist bei RECOSiC© um 80 Prozent niedriger als im Acheson-Prozess, damit sinkt auch der CO2-Ausstoß deutlich«, erklärt Adler.
Im Gegensatz zum Acheson-Verfahren fallen im Hightech-Ofen sehr wenig Abfälle oder Nebenprodukte an. Verunreinigungen werden im Zuge der chemischen Reaktion abgeschieden oder verdampft. Metalle wie Eisen bilden unter großer Hitze Klümpchen, die sich mechanisch entfernen lassen. Die Ausbeute liegt damit bei nahezu 100 Prozent.
Ein weiterer großer Vorteil: Bei RECOSiC© entsteht hochwertiges SiC mit einem Reinheitsgrad von 99 Prozent und sogar mehr. Matthias Hausmann, Geschäftsführer der ESK-SiC GmbH, erklärt das mit einem anschaulichen Vergleich: »Das ist ungefähr so, als hätte man ein Verfahren, das aus Altpapier wieder Papier herstellt, das genauso gut oder vielleicht sogar besser ist als das Originalpapier.«
Spezifikationen und Reinheit von SiC werden steuerbar
Um diese hohe Qualität zu erreichen, belassen es die Forschenden vom Fraunhofer IKTS nicht dabei, das Material in den Ofen zu befördern. Das Ausgangsmaterial wird zunächst analysiert, vorbehandelt und stöchiometrisch ergänzt. Das heißt, die Ausgangsstoffe werden in exakt dem Verhältnis gemischt, welches nötig ist, um im chemischen Prozess die gewünschte Verbindung mit den geforderten Eigenschaften entstehen zu lassen. Bei Bedarf ergänzen die Expertinnen und Experten auch bestimmte Zusatzstoffe. Schließlich werden die Prozessparameter im Ofen eingestellt. Dazu gehören Spitzentemperatur, Dauer und die Regelung der Temperaturentwicklung über den gesamten Verlauf. So können sie den Prozess steuern und die Eigenschaften des Endprodukts SiC wie etwa Korngröße oder Reinheitsgrad vorab bestimmen. Hier kommt dem Team des Fraunhofer IKTS auch seine langjährige Erfahrung und Expertise im Umgang mit keramischen Materialien zugute.
»Gemeinsam mit unserem Industriepartner ESK-SiC sind wir als Technologiedienstleister in der Lage, den Rohstoff SiC mit den gewünschten Spezifikationen für die jeweilige Anwendung des Kunden zu liefern«, freut sich Adler. »Gleichzeitig können wir mit Partnern in der Keramikindustrie maßgeschneiderte Rohstoffe und Verfahren entwickeln, die neue Produkteigenschaften bis hin zur Kreislauffähigkeit ermöglichen.«
Das innovative Verfahren verarbeitet aber nicht nur Nebenprodukte aus dem Acheson-Prozess. Auch defekte oder verbrauchte keramikhaltige Komponenten wie etwa Dieselpartikelfilter oder Hitzekacheln aus Müllverbrennungsöfen lassen sich voraussichtlich recyceln. Grundsätzlich eignet sich jedes Material mit mindestens 50 Prozent SiC-Anteil für die Umwandlung in qualitativ hochwertiges Siliciumcarbid.
Abhängigkeit von Rohstofflieferanten reduzieren
Matthias Hausmann sagt: »Mit RECOSiC© gestalten wir einen bislang sehr schmutzigen und klimaschädlichen Industrieprozess deutlich sauberer und sparen obendrein wertvolle Ressourcen ein. Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.«
Die bessere Ausnutzung der Primär-Rohstoffe verringert auch die Abhängigkeit von ausländischen Rohstofflieferanten und den zunehmend fragilen Lieferketten. Das Fraunhofer IKTS hat RECOSiC© mit einer Anlage im Technikums-Maßstab entwickelt und erprobt. Die ESK-SiC GmbH betreibt schon seit dem 2. Quartal 2023 eine Technikumsanlage im Industriemaßstab. Ein weiterer Ausbau der Kapazitäten ist in Planung. In diesem Zuge entstehen in der energieintensiven Rohstoffindustrie attraktive Hightech-Jobs für nachhaltige Technologien am Standort Deutschland.