Die Entwicklung winziger, in den Körper implantierbarer Helfer hat das Ziel, die Lebensqualität von Menschen mit funktionalen Einschränkungen zu erhöhen. Aktive Implantate wie etwa Hirn- und Herzschrittmacher können über elektrische Impulse Nerven stimulieren. Anders als viele Medikamente wirken sie direkt und lokal. Da sie über elektrische Signale funktionieren, haben sie kaum Nebenwirkungen. Ihre Schwachstellen: Kabelverbindungen zwischen Zentralimplantat und Elektroden können brechen, Batterien müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Ziel des vom Bundesforschungsministerium geförderten Innovationsclusters »INTer-AKTive Mikroimplantate« INTAKT war es daher, eine neue Generation von aktiven, miteinander vernetzten Mikroimplantaten zu entwickeln, die lebenslang im Körper verbleiben können. Mit dem Fraunhofer IBMT als Verbundkoordinator entwickelten 18 Kooperationspartner aus Wirtschaft, Wissenschaft und dem klinischen Bereich ein Netzwerk aus bis zu zwölf Mikroimplantaten, die drahtlos, in Echtzeit und sicher miteinander kommunizieren.
Betroffene können Implantate selbst an ihre Bedürfnisse anpassen
Über die Kommunikation untereinander hinaus können Patient und Arzt jederzeit auch von außen mit dem Implantate-Verbund kommunizieren. »Über Laptop oder Smartphone kann der Betroffene seine eigenen Implantate jederzeit so einstellen, wie es seinen aktuellen Bedürfnissen entspricht, und gemeinsam mit dem Arzt die Therapie oder Rehabilitation optimieren«, erklärt Prof. Klaus-Peter Hoffmann, ehemaliger Hauptabteilungsleiter Biomedizintechnik am Fraunhofer IBMT. Damit sei eine Arzt-Patienten-Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich.
Für das Verbundprojekt INTAKT hatten sich die Cluster-Partner drei Anwendungsfelder ausgesucht: die Behandlung von Tinnitus durch Stimulation der Cochlea, die Milderung von Motilitätsstörungen, also die anregende, verzögernde oder koordinierende Wirkung auf die Darmbewegung, sowie die zumindest teilweise Wiederherstellung der Greiffunktion der Hand nach einer Querschnittslähmung.
Bei der Tinnitus-Applikation etwa stimuliert jeweils ein Implantat das Runde Fenster der Cochlea im Innenohr, moduliert so die Aktivitäten im Hörnerv und verrauscht dadurch das Phantomgeräusch, das rund zehn Millionen Menschen in Deutschland den Alltag verleidet. Um gastrointestinale Motilitätsstörungen – Bewegungsstörungen des Magen-Darm-Trakts – zu beheben, wie sie etwa nach Bauchraum-Operationen, bei Querschnittsgelähmten oder Diabetikern vorkommen können, erfassen die strategisch im Magen-Darm-Trakt verteilten Implantate die Aktivität jeweils eines Abschnitts und kommunizieren dieses Wissen an eine zentrale Steuereinheit. Diese wertet die Datenlage aus, motiviert dann die entsprechenden Implantate zur Stimulation der betroffenen Teile des Intestinaltrakts und bewirkt so einen möglichst störungsfreien Verdauungsprozess.
Mikroimplantat-Netzwerk stimuliert die Muskeln im Unterarm
Besonders komplex ist die partielle Wiederherstellung der Greiffunktion. Dafür können die Muskeln des Unterarms von bis zu zwölf Mikroimplantaten stimuliert und so bis zu acht Handbewegungen wiederhergestellt werden. Der Patient kontrolliert die Handbewegung dabei über ein Eye-Tracking-System: Vorab definierte Augen-, Lid- und Kopfbewegungen geben Befehle an die zentrale Steuereinheit weiter, die dann entsprechend das Implantat-Netzwerk orchestriert.
»Mit der Entwicklung eines Implantat-Netzwerks haben wir mehrere Vorteile geschaffen«, erläutert Elektroingenieur Roman Ruff, Gruppenleiter am Fraunhofer IBMT. Einer davon ist die höhere Biostabilität: »Sensoren und Aktoren wurden direkt in das Gehäuse integriert, sodass wir auf empfindliche Kabelverbindungen verzichten konnten.« Die Implantate interagieren stattdessen über Funk und Infrarot miteinander. Das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS hat für die Implantate einen stark miniaturisierten ASIC (»application-specific integrated circuit«), eine anwendungsspezifische integrierte Schaltung entwickelt, die Biosignale etwa aus dem Armmuskel oder Magen und Darm erfassen und weitergeben und zugleich dazu passende Elektrostimulation initiieren kann.
Batterien werden induktiv und adaptiv geladen
Ein Flaschenhals für Weiterentwicklungen der Hightech-Minis ist die Energieversorgung. Batterien brauchen Platz und müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Bei einem Verbund aus Implantaten ist dies besonders aufwendig, da jedes einzelne Gerät je nach Beanspruchung einen unterschiedlichen Energieverbrauch hat. INTAKT setzt auf induktive Ladung. Eine zentrale Steuereinheit liefert dem Implantat-Netzwerk so für 24 Stunden zuverlässig Energie. Diese Basisstation kann der Patient bei den drei aktuellen Anwendungsfeldern entweder als eine Arm- oder Bauchmanschette oder als Ear-Wearable hinter dem Ohr tragen. »Die Energieversorgung von außen ermöglicht eine Langzeitstabilität des Implantat-Verbunds«, betont Klaus-Peter Hoffmann. »Außerdem erfolgt die Energieversorgung adaptiv – jedes einzelne Implantat erhält genau die Energiemenge, die es benötigt.« Für den Notfall ist eine Batterie als Pufferspeicher im Implantat integriert, die ebenfalls regelmäßig induktiv geladen wird.
Erste präklinische Tests und Probandenstudien haben gezeigt, dass die bislang entwickelten INTAKT-Applikationen funktionieren. Es gilt nun, den weiten Weg zu beschreiten, die Entwicklung in die klinische Anwendung zu überführen und für Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen.