SARS, Ebola, Zika-Fieber und jetzt COVID-19 – Infektionskrankheiten werden künftig häufiger auftreten – da sind sich Fachleute einig. Klimawandel, rasche Urbanisierung, veränderte Landnutzungsmuster, weltweites Reisen und erhöhte Mensch-Tier-Kontakte tragen dazu bei, dass die Wahrscheinlichkeit von Epidemien und sogar Pandemien wächst. Um davor künftig besser gewappnet zu sein, sind Soforttests erforderlich, die in wenigen Minuten hoch sensitiv und möglichst eindeutig Infektionen nachweisen und die Resultate unmittelbar und digital an die Entscheidungsträger übermitteln. An einem solchen Schnelltestsystem forschen die Fraunhofer-Institute für Mikrotechnik und Mikrosysteme IMM und für Experimentelles Software Engineering IESE im Projekt OPEN-POCT. Es soll die Vorteile der sensitiveren PCR-Tests und der günstigeren, aber weniger zuverlässigen, vor-Ort anwendbaren Antigentests, die in Drogerien und Supermärkten verkauft werden, vereinen und dabei günstiger als momentan auf dem Markt befindliche PoC-PCR-Schnelltestsysteme (PoC, kurz für Point of Care) sein. Das Fraunhofer IESE konzentriert sich auf die Bereiche Datenübermittlung, Datensicherheit und Datensouveränität, das Fraunhofer IMM ist als Projektkoordinator für die Hardware und die Integration geeigneter Nachweisreaktionen zuständig. Das Vorhaben wird vom Land Rheinland-Pfalz im Rahmen des europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE REACT-EU) gefördert.
»Der Einsatz von PoC-PCR-Systemen zur Eindämmung oder sogar Prävention einer Pandemie ist aktuell faktisch ausgeschlossen, da die Testsets in hoher Anzahl und sofort überall zur Verfügung stehen und zusätzlich günstige Massentestungen etwa in Testcentern am Flughafen ermöglichen müssten. Dieses scheinbare Dogma zu hinterfragen, ist das Ziel des OPEN-POCT Projekts. Nur eine sensitive, überall einsatzfähige und schnell verfügbare Alternative zum PCR-Test im Labor wird es ermöglichen können, bei einem Ausbruchsgeschehen Infektionsketten effektiv zu unterbrechen, und eine Pandemie damit wirklich im Frühstadium einzudämmen, bevor die globale Bewegung der Menschen dies unmöglich macht«, sagt Dr. Christian Freese, Wissenschaftler am Fraunhofer IMM.
PCR aus dem Labor auf ein Schnelltestsystem bringen
Das Problem: Kostengünstige, in großer Menge produzierbare Antigentests stehen bei dem Ausbruch neuer pandemischer Infektionserkrankungen nicht sofort zur Verfügung und benötigen eine zu lange Entwicklungszeit, um eine Pandemie einzudämmen oder gar zu verhindern. Aktuelle PoC-PCR-Tests wiederum sind bis zu 30-mal teurer als Antigentests. Unter anderem treiben geringe Produktionsmengen, hohe Investitionskosten und logistischer Aufwand sowie komplexe mikrofluidische Strukturen die Preise in die Höhe. Für Massentests und für den Einsatz am Point of Care kommen sie daher nicht in Frage. »Wir wollen die PCR aus dem Labor auf ein Schnelltestsystem bringen, das vor Ort in großer Anzahl einsetzbar ist. Daher konzipieren wir unsere Lösung als offenes System, um vielen Herstellern eine Produktion von Komponenten – etwa Kartuschen oder Reagenzien – zu ermöglichen«, so der Forscher. »Im Prinzip geht es um den Aufbau eines administrativen und regulatorischen Ökosystems für ein skalierbares, offenes und digitalisiertes PoC-PCR-Testsystem zum Nachweis pandemischer Infektionserreger. Der Preis für einen Test pro Person sollte im unteren einstelligen Euro-Bereich liegen«.
Aufheizen und Abkühlen des Heizblocks entfällt
Auch die Dauer des PCR-Verfahrens wollen die Forscher verkürzen. »Ein PCR-Test – z.B. am Flughafen – darf nur wenige Minuten dauern«, so Freese. Die Methodik der PCR erfordert zwei Temperaturen. Die Reagenzien mit der Probenflüssigkeit müssen erhitzt und abgekühlt werden, was sehr zeitintensiv ist. Dabei wird der in den PCR-Geräten integrierte Heizblock zunächst auf über 90 Grad aufgeheizt, damit die DNA-Stränge auseinandergebracht werden können. Anschließend wird er auf knapp um die 60 Grad abgekühlt. Nun wird das Erbmaterial des Virus vervielfältigt: Aus einem DNA-Strang werden zwei, beim nächsten Schritt werden aus zwei vier Stränge und so weiter. So wird das Virus nachweisbar. Um den langwierigen Prozess des ständigen Aufheizens und Abkühlens zu umgehen, verwenden Freese und sein Team zwei verschiedene Heizzonen – eine heiße und eine kühlere Kammer –, zwischen denen die Probenflüssigkeit mithilfe einer Pumpe in der Kartusche hin- und hergepumpt wird. Die Flüssigkeit bewegt sich in der Nachweiskartusche von einer Heizzone zur anderen durch schleifenartige Mikrofluidikkanäle. Dabei wird sie in die Länge gezogen und bietet so eine großes Oberflächen-Volumen-Verhältnis und folglich einen schnellen Wärmetransport. »Dadurch erreichen wir die für die PCR erforderliche Solltemperatur schnell, und auch das permanente Regulieren des Heizblocks auf zwei Temperaturen entfällt«, erläutert der Wissenschaftler. Bei ihren Vortests mit aufgereinigter Virus-RNA waren die Forschenden deutlich schneller als Standard-PCR-Labortests: Nach nur 15 Minuten lag das Ergebnis vor – bei vergleichbarer Sensitivität. Erste präklinische Evaluierungen mit der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz laufen.
Das 15 mal 15 mal 20 Zentimeter große Gerät ist einfach konzipiert: Neben der mikrofluidischen Kartusche und Pumpe umfasst es Heizstrukturen sowie eine Fluoreszenzkamera als Detektor; teure Komponenten sind nicht erforderlich. Auch die schnelle Adaption der OPEN POCT-Plattform für den Nachweis anderer Viren betrachtet Freese als Vorteil. »PCR-Tests lassen sich schnell auf jeden Erreger anpassen, die genetische Information des SARS-CoV-2 war schnell entschlüsselt.« Ein Demonstrator des Systems wird auf der Messe COMPAMED in Düsseldorf vom 14. bis 17. November am Fraunhofer-Gemeinschaftsstand vorgestellt (Halle 8a, Stand G10).
Bürokratieabbau durch digitalen Datentransfer
Ergänzt wird die OPEN POCT-Plattform durch die Integration einer digitalisierten, automatisierten Übermittlung positiver Testergebnisse direkt an die Gesundheitsämter. Um eine rasche Eindämmung einer Pandemie zu erreichen, müssen neben technologischen Hürden auch bürokratische Hindernisse abgebaut werden. Dies gelingt nur, wenn der automatisierte Datentransfer über sichere Datensysteme mit dem Datenschutz von Einzelpersonen, allgemeiner IT-Sicherheit und Datensicherheit verknüpft wird. Eine Ausweitung digitaler Datentransferlösungen, wie die Verknüpfung mit der Corona Warn-App, ist geplant. Entscheidungsträgern bieten die Projektpartner darüber hinaus ein umfassendes Whitepaper, das neben diagnostischen und datenschutzrechtlichen Aspekten auch regulatorische Fragestellungen berücksichtigt.