Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, muss in Zukunft weitgehend auf Öl, Gas und Kohle verzichtet und auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Für deren Speicherung und flächendeckende Verteilung ist Wasserstoff als Energieträger ein Schlüsselelement. Doch Wasserstoff kann noch mehr: Er verkörpert die einmalige Chance, Energiebereitstellung, Klimaschutz und Wertschöpfung zu vereinen. So spielt er eine zentrale Rolle bei der Senkung der CO2-Emissionen und bietet gleichzeitig ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Geschäftsfeld für den Produktionsstandort Deutschland.
Für die klimaneutrale Herstellung von Wasserstoff sind Elektrolyseure notwendig. In ihnen wird Wasser mit Strom aus Wind oder Sonne in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der dabei entstehende grüne Wasserstoff kann verschiedenen Nutzungspfaden zugeführt werden: Er kann entweder in der Prozessindustrie als nachhaltiger Rohstoff weiterverarbeitet oder mit Hilfe von Brennstoffzellen rückverstromt werden. Doch sowohl Elektrolyseur als auch Brennstoffzelle werden bislang wenig automatisiert in kleinen Stückzahlen und zu hohen Kosten hergestellt. Hier liegt das Potenzial für Wissenschaft und Industrie die Produktion von Wasserstoffsystemen in ein neues Zeitalter effizienter industrieller Massenproduktion zu bringen.
Damit dieser Schritt gelingt, müssen bestehende Produktionstechnologien analysiert und hinsichtlich ihres Einsatzes für eine qualitätsgerechte Serienfertigung von Elektrolyseuren und Brennstoffzellen bewertet werden. Zudem braucht es neue kontinuierliche Verfahren und Anlagen, die auf eine massentaugliche Produktion ausgerichtet sind. Nur so lässt sich der Produktionsaufwand substanziell reduzieren und schließlich eine Kostenparität von Wasserstoff und fossilen Energieträgern herstellen.
In der aktuellen Phase der hohen technologischen Variabilität und des beginnenden (Elektrolyseur) bzw. für die 2030er Jahre adressierten Markthochlaufs (Brennstoffzelle) braucht die deutsche Industrie eine produktionstechnische Orientierung. Nur so wird es für Unternehmen sinnvoll sein, frühzeitig in dieses Geschäftsfeld zu investieren, um es nachhaltig zu gestalten und sich im internationalen Wettbewerb langfristig erfolgreich zu positionieren. Zur Gewährleistung dieser Orientierung und Unterstützung wurde die Referenzfabrik.H2 für eine flexible, sich dynamisch anpassende, stückzahlskalierbare Serienproduktion von Wasserstoffsystemen konzipiert. Das Konzept ist durch die direkten Partizipationsmöglichkeiten der Industrie einzigartig. Unternehmen können nicht nur Nutzer der Services, sondern auch Partner der Referenzfabrik.H2 sein.
Hybrides Produktionssystem beschleunigt Transfer in die Industrie
Die Referenzfabrik.H2 ist ein Produktionssystem, das auf physischen und virtuellen Komponenten beruht. Darin werden ein Referenzdesign und neue Technologielösungen geschaffen bzw. bestehende optimiert. Parallel werden digitale Zwillinge von den Produktionselementen entwickelt und in einer virtuellen Architektur verankert. Dadurch entsteht ein Baukasten von Technologien, die verglichen und flexibel zu Prozessketten kombiniert werden. »So können regionale Kompetenzen und Infrastrukturen besser genutzt und die Industrie stärker bei der Entwicklung eingebunden werden. Dies beschleunigt den Transfer der Lösungen in die Industrie«, sagt Dr. Ulrike Beyer, Leiterin der Wasserstoff-Taskforce am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU und Koordinatorin des Projekts. »Im Prinzip bauen wir eine B2B-Plattform auf, in dem wir die Kernkompetenzen der Fraunhofer-Institute und der beteiligten Partner zu einer hoch effektiven Wertschöpfungskette für Wasserstoffsysteme fusionieren und somit potenziellen Interessenten einen ganzheitlichen Überblick zu den wirtschaftlichen Chancen verschaffen«, so Beyer. Die virtuellen Abbilder bieten den Forschungsteams die Möglichkeit, die Vernetzung neuer Produktionsverfahren und -anlagen zu simulieren und bereits am Rechner im Detail zu prüfen, zu vergleichen und so die geeigneten Materialien, Werkzeuge und Anlagen für eine effektive Fertigung auszuwählen. Auf diese Weise lassen sich Gesamtzusammenhänge bis hin zu kompletten Prozessketten übersichtlich darstellen und die bei der Fertigung der Wasserstoffsysteme entstehenden Kosten bewerten.
Geplant ist, der deutschen Industrie ab dem dritten Quartal dieses Jahres Services und konkrete Formen der Beteiligung an der Referenzfabrik.H2 anzubieten. Gemeinsames Ziel wird sein: Produktionstechnologien und -anlagen für die kostengünstige Serienfertigung von Brennstoffzelle und Elektrolyseur zu entwickeln, die den Markthochlauf ab 2025 substanziell unterstützen.
Die Referenzfabrik.H2 wurde vom Fraunhofer IWU in Chemnitz konzeptioniert und wird gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT in Aachen betrieben. Eingebunden werden auch die Forschungsinhalte des Fraunhofer-Instituts für Elektronische Nanosysteme ENAS in Chemnitz und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart. Das Konzept der Referenzfabrik.H2 ist außerdem ein wesentliches Element des Verbunds »FRHY – Referenzfabrik für hochratenfähige Elektrolyseurproduktion« des Wasserstoff-Leitprojekts des Fraunhofer-Konzepts »H2GO – Nationaler Aktionsplan Brennstoffzellen-Produktion«, in dem 14 weitere Fraunhofer-Institute involviert sind.
Chance Wasserstoffsystem-Produktion
»Herzstück der Wasserstoffsysteme ist der Stack, in dem die Wasserspaltung bzw. die Stromgewinnung ablaufen«, erläutert Beyer. Ein solcher Stack besteht aus mehreren hundert aufeinandergestapelten und verschalteten Einzelzellen, in denen die chemische Energiewandlung abläuft. Aufgrund seiner vielen Wiederholelemente bietet es sich an, die Produktion des Stack in eine industrielle Produktion mit großen Stückzahlen zu überführen und dadurch die Kosten substanziell zu senken.
Die Referenzfabrik umfasst Maschinen und Anlagen zur Fertigung der wesentlichen Stack-Komponenten Bipolarplatte (BPP) und Membran-Elektroden-Einheit (MEA). »Das neuartige Konzept ermöglicht, dass die erforderlichen Technologieentwicklungen dezentral jeweils vor Ort erfolgen, so dass eine Umformpresse für BPP in Chemnitz und eine Fertigungsanlage für MEA in Aachen zur Verfügung stehen können. Deren digitale Zwillinge werden zentral in einer gemeinsamen Architektur gesammelt und dort für Verfahrensvergleiche sowie -bewertungen bzw. Prozesskettenbetrachtungen genutzt«, erläutert Beyer. Ziel ist es, einen Baukasten von Technologien zu entwickeln, dessen Einzelkomponenten technologisch und wirtschaftlich bewertet werden können. Somit soll das Investitionsrisiko reduziert und Unternehmen bei der Entwicklung ihres Geschäftsfeldes Wasserstoff unterstützt werden.
Details zum Konzept der Referenzfabrik.H2, das Leistungsangebot und die Möglichkeit sich zu beteiligen, erhalten Interessierte auf der Hannover Messe 2022 am Fraunhofer-Gemeinschaftsstand (Halle 5, Stand A06). Hier bietet ihnen die Referenzfabrik.H2 neben Informationen zu Kompetenzen, Infrastrukturen, Technologien und Projekten auch eine Aktionsfläche für vielfältige Interaktionen.