Die Nachfrage nach Bargeld ist trotz des wachsenden Trends zum Bezahlen ohne Banknoten und Münzen europaweit unverändert groß. Auch die Coronakrise hat daran nichts geändert. Zwar waren die Barzahlungen im Euroraum während der Pandemie rückläufig, jedoch stieg nach Angaben der Europäischen Zentralbank (EZB) die Nachfrage nach Banknoten. So verzeichnete die EZB einen Anstieg um 190 Mrd € – bzw. 550 € pro Kopf je Bürger des Euroraums – zwischen März 2020 und Mai 2021. Dieses scheinbare Paradoxon lässt sich damit erklären, dass Bargeld als Mittel zur Bewältigung der Unsicherheit gehortet wird. Untersuchungen zeigen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Ausgaben zu Beginn der Pandemie zurückgefahren und ihre Bestände an liquiden Vermögenswerten aufgestockt haben.
Ungehinderter Zugang zu Bargeld
Dass es insbesondere in Krisen und Notfällen unabdingbar ist, den Bargeldkreislauf aufrecht zu erhalten und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen – vor allem, wenn andere, elektronische Zahlungsmittel nicht zur Verfügung stehen – sehen auch die Partner im Projekt BASIC (siehe Kasten). Diese Notfallsituationen können vom Ausfall eines IT-Systems, der etwa zur Schließung einer einzelnen Niederlassung eines Dienstleisters führt, über abrupte Personalengpässe in großer Zahl, bis hin zu einem langanhaltenden Stromausfall oder eben einer Pandemie reichen, die alle Akteure wie etwa die Bundesbank, Geschäftsbanken sowie Geld- und Wertdienstleister betrifft. In solchen Fällen ist eine resiliente und funktionierende Bargeldinfrastruktur erforderlich, um etwa Soforthilfen an die Bevölkerung auszugeben und den Wirtschaftskreislauf aufrechtzuerhalten.
Notfall- und Krisenkonzepte der Bargeldakteure miteinander verzahnen
Im Rahmen von BASIC entwickeln daher Kreditinstitute, Handelsunternehmen und Wertdienstleister sowie Forschungseinrichtungen erstmals ein neuartiges Sicherheitsrahmenkonzept, das besonders auf die Absicherung der Arbeitsprozesse der Geld- und Wertdienstleister im Not- und Krisenfall abzielt. Im ersten Schritt werden mögliche Krisenszenarien beschrieben und die dazugehörigen bereits existierenden Notfallpläne einzelner Handelsgruppen, Geldinstitute und Wertdienstleister untersucht. Da diese Pläne jedoch häufig nur die einzelnen Beteiligten selbst berücksichtigen, validieren die Projektpartner die Pläne auch im Hinblick auf erfolgreiche Bedingungen und Handlungsbedarfe, um sie anschließend in einem einheitlichen Konzept zu harmonisieren und den Bargeldakteuren die Möglichkeit zu geben, ihre Notfall- und Krisenkonzepte zu optimieren und miteinander zu verzahnen.
Mit mathematischem Optimierungsalgorithmus die Bargeldverteilung steuern
»Die Bargeldversorgung gehört zum Bereich der kritischen Infrastruktur. Sie muss auch in Krisenzeiten funktionieren. Für die Bevölkerung ist Bargeld ein wichtiger Vertrauensanker«, sagt Laura Brouer, Wissenschaftlerin der Arbeitsgruppe für Supply Chain
Services des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen entwickelt sie einen mathematischen Optimierungsalgorithmus, der den ungehinderten Zugang zu Bargeld im Krisenfall sicherstellen soll.
Der flexible, anpassbare Algorithmus berücksichtigt zahlreiche Fragestellungen: Wo kann die Bevölkerung weiterhin Geld abheben? Wie kann man die Verfügbarkeit von Bargeldressourcen überregional gewährleisten? Welches sind die optimalen Bargeldbezugspunkte (Geldautomaten, Banken) in Deutschland im Krisenfall, um mit einer geringeren Anzahl derselben trotzdem eine faire Abdeckung sowohl im ländlichen Raum als auch in der Stadt sicherzustellen? Welche Ersatzpunkte müssen für jeden Bargeldbezugspunkt im Krisenfall definiert werden? Welche Kriterien muss jeder Ersatzpunkt erfüllen? Dabei werden Parameter wie Abdeckung, Dichte, Entfernung oder Bankzugehörigkeit einbezogen.
Der Algorithmus wird in Testläufen aktuell mit Geodaten aus OpenStreetMap gespeist – einer öffentlich zugänglichen Datenquelle. Künftig soll die Bundesbank ein Bestandsverzeichnis aufbauen und die Datengrundlage etablieren.
Das Ergebnis liegt in Form von Handlungsempfehlungen vor. »In BASIC gibt der Algorithmus etwa an, welche der verfügbaren Geldautomaten und Banken in Deutschland die optimalen Bargeldbezugspunkte für die Bargeldverteilung sind. Dabei treffen wir eine Teilauswahl aus den bestehenden Bargeldbezugspunkten. Wir ermitteln beispielsweise welche 30 Prozent die relevantesten sind, wenn nur 30 Prozent versorgt werden können«, erläutert die Mathematikerin.
Der Algorithmus als Teil des Sicherheitsrahmenkonzepts kann sowohl in der operativen Krisenunterstützung eingesetzt werden (welche Geldautomaten sollen beliefert werden, wenn etwa nur 30 Prozent zur Verfügung stehen oder wenn aufgrund von Personalmangel nur 30 Prozent angefahren werden können), als auch in der Krisenvorbereitung (welches sind die zentralen Bargeldbezugspunkte, um an diesen Notstromaggregate anzubringen). »Unser Ziel ist es, ein Soll-Informationskonzept anzufertigen, das beschreibt, wie der Algorithmus eingesetzt werden kann«, so Brouer. Mit dem erstellten mathematischen Modell soll das Bargeldentnahmeverhalten im Krisenfall modelliert und anschließend die Bargeldverteilung gesteuert werden. »Wir schaffen deutschlandweit eine optimale Informationsgrundlage für die zentralen Bargeldbezugspunkte, die sich flexibel an verschiedene Krisenszenarien anpassen lässt.«