Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiger Hebel, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Zu einer Schlüsselkomponente der Kreislaufwirtschaft kann das Remanufacturing werden – ein Prozess zum Angleichen gebrauchter Geräte an den Neuzustand. In Kombination mit einer anschließenden Wiederverwendung lässt sich die Lebensdauer von Produkten verlängern. Dieses Ziel verfolgen Forschende am Fraunhofer IPK im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF geförderten Projekt EIBA. Projektpartner sind die Circular Economy Solutions GmbH, die Technische Universität Berlin und die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech. Statt Altteile zu recyceln, sollen sie aufbereitet und erneut genutzt werden. Laut einer Studie des VDI Zentrums Ressourceneffizienz können bis zu 80 Prozent der Herstellungskosten durch das Remanufacturing von Altteilen eingespart und bis zu rund 90 Prozent der Materialverbräuche reduziert werden.
Vier-Augen-Prinzip senkt Fehlerquote
Die Herausforderung im Remanufacturing besteht in der eindeutigen Identifikation und Bewertung der Fahrzeugbauteile. Viele Produkte unterscheiden sich kaum voneinander und sind aufgrund von Verschmutzung und Verschleiß nur schwer zu identifizieren. Bislang wird diese Aufgabe unter hohem Zeitdruck von Fachleuten manuell erledigt. Hier setzt das KI-basierte Assistenzsystem des Fraunhofer IPK an: Es soll die Mitarbeitenden künftig nach dem Vier-Augen-Prinzip beim Verlesen, also dem Erkennen und Beurteilen von defekten Verschleißteilen wie Anlasser, Klimakompressoren und Lichtmaschine unterstützen.
Mensch und Maschine arbeiten Hand in Hand
»In der Automobilindustrie wird nach dem Ausbau des Altteils im Sortierzentrum anhand von bestimmten Kriterien bewertet, ob es wiederverwendet werden kann«, sagt Marian Schlüter, Wissenschaftler am Fraunhofer IPK. »Dies ist jedoch alles andere als trivial. Teilenummern als das einzige optisch zuverlässige Merkmal sind nicht mehr lesbar, zerkratzt, überlackiert, oder Typenschilder sind abgefallen. Der Werker sortiert es also fälschlicherweise aus, es wird rein stofflich verwertet. Genau hier kommt die KI ins Spiel. Sie identifiziert die Altteile unabhängig von der Teilenummer anhand ihres Aussehens und führt sie einem zweiten Lebenszyklus zu.« Dabei werden Identifikations-merkmale wie Gewicht, Volumen, Form, Größe und Farbmerkmale herangezogen, aber auch Kunden- und Lieferdaten fließen in die Bewertung ein. Der Mitarbeiter wiederum erkennt lose Komponenten oder verbrannte Bauteile, wo das KI-System mit seiner Bildverarbeitung scheitert.
Letzte Kontrolle liegt beim Mitarbeiter
Doch wie läuft der Prozess im Detail ab? Zunächst wird das Altteil bildbasiert verarbeitet. Dabei scannt das System die Verpackung, um Informationen über die Produktgruppe zu erhalten. Durch die Zerlegung in Teilprobleme reduziert dieser Ansatz den Suchraum für die Identifikation von 1:120 000 auf 1:5000. Anschließend wird das Altteil gewogen und von 3D-Stereokameras aufgenommen. Die aus der bildbasierten Verarbeitung resultierenden Ergebnisse werden mit der Analyse der teilspezifischen Geschäftsdaten wie Herkunft, Datum und Ort kombiniert, um eine zuverlässige Identifikation zu erhalten. Die Informationen werden von zwei KI-Systemen parallel verarbeitet. Die Ergebnisse der bildbasierten Verarbeitung werden mit der Analyse der teilspezifischen Geschäftsdaten wie Herkunft, Datum und Ort fusioniert, um eine zuverlässige, gesamtheitliche Identifikation des Altteils zu erhalten. »Ein KI-System wurde für die Bildverarbeitung trainiert, dies war unsere Aufgabe im Projekt, das zweite für die Geschäftsdaten. Bei der Methode der bildverarbeitenden KI verwenden wir Convolutional Neural Networks. Das sind auf die Extraktion von Merkmalen aus Bilddaten spezialisierte Algorithmen aus dem Bereich des maschinellen Lernens«, erläutert der Produktionstechniker. Das Ergebnis der Identifikation wird dem Mitarbeiter angezeigt, er erhält eine Vorschlagsliste mit Vorschaubild und Teilenummer und behält so die Kontrolle. »Die KI wird in den laufenden Betrieb integriert, der Arbeitsvorgang wird nicht gestört. Der Werker hat keine zusätzlichen Aufgaben, was bei diesem zeitsensiblen Prozess von großer Bedeutung ist. Unser KI-System läuft auf herkömmlichen Desktop-PCs. Über die Cloud lassen sich alle Firmenstandorte vernetzen, sodass das Erfahrungswissen eines Mitarbeiters Werkern an anderen Standorten zugutekommt«. Die flexible Technologie lässt sich für formbeständige Bauteile aller Art einsetzen.
Jährlich werden etwa fünf bis sieben Prozent von einer Million Altteilen, die die Circular Economy Solutions GmbH handhabt, also bis zu 70 000, aussortiert, weil sie nicht identifiziert werden können. Eine Studie im Projekt zeigt eine Wiedererkennungsgenauigkeit von 98,9 Prozent. Bezogen auf die 70 000 aussortierten Altteile können durch eine KI-basierte Identifikation voraussichtlich 67 200 mehr Altteile als zuvor dem Kreislauf zugeführt werden.
Die Projektpartner überprüfen das Vorhaben kontinuierlich hinsichtlich seiner Nachhaltigkeit. Ziel des Projekts ist es, mehr Altteile im Kreislauf zu halten. Doch lohnt sich dies angesichts des hohen Energieverbrauchs, der für das Training der KI, das Betreiben der Kameras und PCs erforderlich ist? »Dies können wir eindeutig bejahen, das Einsparpotenzial von CO2-Äquivalenten ist hoch, demgegenüber ist der Energiebedarf der KI zu vernachlässigen. Nach unseren Hochrechnungen rentiert sich das KI-System, wenn man die CO2-Äquivalente betrachtet, spätestens nach einer Woche«, resümiert der Forscher.