Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen: Die weitreichenden Folgen des Klimawandels bekommen die deutschen Bauern schon heute zu spüren und müssen sich in Zukunft verstärkt darauf einstellen. Steigende Temperaturen und veränderte Niederschläge betreffen alle landwirtschaftlichen Größen: Das reicht vom Nutzpflanzenwachstum über die Fruchtfolgen bis hin zur Bodenbearbeitung. Dezentralisierte KI in der Cloud sowie zentrale KI auf den Landwirtschaftsbetrieben kann dazu beitragen, die Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen effizienter zu gestalten, in allen Bereichen der Landwirtschaft zu beschleunigen und somit das Gesamtökosystem agiler und zukunftssicher zu machen.
Hier setzt das Projekt NaLamKI (siehe Kasten) an. Im Fokus der Aktivitäten steht der Aufbau einer cloudbasierten Software-as-a-Service Plattform (SaaS) mit offenen Schnittstellen für Anbieter aus der Landwirtschaft, der Industrie, sowie für Serviceanbieter von Spezialanwendungen im Pflanzenbau. Durch Aggregierung von Sensor- und Maschinendaten, die mithilfe von Satelliten und Drohnen, Bodensensorik, Robotik, manueller Datenerhebung und Bestandsdaten gewonnen werden, entsteht ein Datenpool, aus dem landwirtschaftliche Prozesse durch moderne KI-Methoden nachhaltiger optimiert werden können. Auf der Plattform bereitgestellte KI-Anwendungen unter-stützen Landwirte bei der Analyse von Pflanzen- und Bodenzuständen großer Landflächen und helfen, Nährstoff- und Pflanzenschutzprozesse wie Bewässerung, Düngung und Schädlingsbekämpfung umzustellen und somit ausreichend Ernteerträge in Qualität und Menge zu sichern, Emissionen zu reduzieren und die Artenvielfalt zu erhalten. Durch gezieltes Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln etwa werden Ernteerträge erhöht, Kosten gespart, Ressourcen geschont und aktiver Umweltschutz betrieben.
Landwirte interagieren mit KI
»Neben dem Klimawandel wirkt sich auch der Mangel an Fachkräften auf die Qualität und die Abläufe von landwirtschaftlichen Prozessen aus. Die Über-prüfung von Pflanzenzuständen kann deshalb oft nur sehr punktuell vorgenommen werden. Die Erkennung und präzise Bestimmung etwa von Bodenwasserzuständen oder Schädlingsbefall sind auf großen landwirtschaftlichen Flächen derzeit nicht möglich«, sagt Dr. Sebastian Bosse, Gruppenleiter Interaktive & Kognitive Systeme am Fraunhofer HHI. Um dem zu begegnen, entwickelt das Institut im Projekt KI-Verfahren zur Analyse von Fernerkundungsdaten zur Modellierung landwirtschaftlicher Prozesse und zur 5G-Vernetzung auf Ackerflächen. »Wir kümmern uns unter anderem um die Bildauswertung von Drohnen-, Satelliten- und Roboterkameradaten und um die Plausibilisierung der Ergebnisse für die Landwirte«, sagt der Ingenieur. Durch die Fusion aller Daten erhalten sie bisher kaum verfügbare Erkenntnisse zur Beschaffenheit von Anbauflächen.
Die Landwirte sollen die Möglichkeit erhalten, Fragen an die KI zu stellen und mit dieser zu interagieren. Beispielsweise kann die KI auf Basis der aktuell gemessenen Bodenfeuchte und der Pflanzenerkrankungen Handlungsanweisungen ausgeben und Auswirkungen von verschiedenen Szenarien darstellen. Konkret werden auf einem Dashboard auf einem Tablet die Ackerflächen und der aktuelle Bodenzustand angezeigt. Durch Klicken auf bestimmte Bereiche erhält der Landwirt Auskunft über Probleme wie etwa zu geringe Wasserspiegel sowie Empfehlungen, wie darauf bestmöglich reagiert werden sollte.
SaaS-Plattform basiert auf GAIA-X
Die (Trainings-)daten und KI-Dienste werden dezentral auf Basis von Gaia-X – einer europäischen Cloudinfrastruktur mit Datensouveränität – zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wird ein dezentrales, verteilt lernendes KI-System etabliert, wobei die Daten lokal bei den Landwirken gespeichert sind. Die Bauern können die KI-Modelle austauschen und an die NaLamKI-Plattform übertragen, um so die Algorithmen kontinuierlich zu verbessern. Die Plattform ist offen für Drittanbieter. Startups etwa könnten dort innovative AI-Lösungen anbieten.
Inspektion von Obstplantagen
Erste Datenerhebungen für die Entwicklung von KI-Modellen sind bereits abgeschlossen. Unter anderem liegen von einem Roboter aufgenommene Bilder einer Apfelreihenkultur auf einem Obstbauernhof in der Pfalz vor. Hierfür wurden während der Durchfahrt des (semi-)autonomen Roboters durch die Plantage Daten mit verschiedenen Sensoren, wie Lage- und Positionssensoren, LIDAR, RGB- und Multispektralkameras erfasst, analysiert und zusammengeführt (Sensorfusion). Ziel ist eine aussagekräftige Repräsentation der Baumanlagen einer Obstplantage aufzubauen, die die Anzahl und den Reifegrad der Früchte, den Stammdurchmesser der Pflanzen, den Zustand der einzelnen Pflanzen und des umgebenden Bodens, oder auch Hindernisse, ins-besondere Lebewesen in hohem Bewuchs im Fahrweg detektieren kann. »Wir werten die Daten während der Durchfahrt durch die Plantage aus. Die so gewonnenen Informationen werden der Karte des Obstbaumbestandes fusioniert und in einer Objektkarte repräsentiert. Basierend auf diesen Daten wird eine Dokumentation für den Landwirt erstellt«, erläutert der Forscher die konkrete Anwendung.