In immer mehr Bereichen – sei es in der Produktion, der Logistik oder auch der Medizin – teilen sich Mensch und Roboter einen Arbeitsraum. Sicherheit spielt dabei eine zentrale Rolle. Bislang verhindern Abstandssensoren am Roboter schwere Zusammenstöße oder Quetschungen bei Kollisionen. Doch die Sensoren funktionieren nicht, wenn Mensch und Maschine nah beieinander stehen müssen, etwa in der Vormontage. Dann sind andere Lösungen gefragt. Mit dem Cobot-Planer haben Forscherteams des Fraunhofer IFF eine webbasierte Applikation entwickelt, die ermittelt, bei welchen Geschwindigkeiten des Roboters eine sichere Zusammenarbeit gewährleistet ist. Die Planungshilfe unterstützt Programmierer bei der sicheren Auslegung von kollaborativen Robotern. Das Projekt wurde im Auftrag der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) durchgeführt – ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für das Metall und Holz verarbeitende Gewerbe.
Digitale Gefahrenprävention für kollaborative Roboterarbeitsplätze
Wer einen kollaborativen Roboter für seinen Betrieb anschafft, muss eine Risikobewertung vornehmen. Diese ist gesetzlich verpflichtend. Die Unternehmen müssen im Vorfeld überlegen, welche konkreten Gefahren auftreten können, welche vorhersehbaren Fehlanwendungen seitens des Mitarbeitenden möglich sind. Bei der Sicherheitsabnahme wird die maximale Geschwindigkeit messtechnisch ermittelt, die der Roboter erreichen darf. Mit einem speziellen Gerät werden dazu die Kollisionskräfte und -drücke gemessen, die bei Berührung des Roboters auf den Menschen wirken. Die Grenzwerte aus der Norm ISO/TS 15066 dürfen dabei nicht überschritten werden. Andernfalls müsste die Geschwindigkeit der Maschine reduziert werden, um eine Verletzung des Mitarbeitenden durch Klemmung oder Kollision zu vermeiden. Die Messung ist kostspielig und setzt Expertise voraus. Der Roboter muss programmiert und aufgebaut sein. »Gerade kleine Betriebe können sich einen solchen Aufwand nicht leisten. Außerdem erfolgt die Messung zu spät, der Roboter ist ja bereits gekauft. Hier kommt unser Cobot-Planer für die digitale Gefahrenprävention ins Spiel«, sagt Dr. Roland Behrens, Wissenschaftler am Fraunhofer IFF. Unternehmen können mit dem interaktiven Werkzeug noch vor dem Kauf einschätzen, ob die Geschwindigkeit des Roboters ausreicht, um eine bestimmte Aufgabe produktiv und vor allem sicher zu erledigen. »Die Höhe der Kraft hängt von der Schnelligkeit des Roboters ab«, sagt Behrens. Werden die Grenzwerte überschritten, leidet in der Folge die Produktivität. »Angenommen, der Roboter muss eine Palette vorsortieren und hat dafür eine Minute Zeit. Wenn jetzt die Geschwindigkeit aus Sicherheitsgründen um 50 Prozent reduziert werden muss, erhöht sich die Taktzeit auf zwei Minuten, die Wirtschaftlichkeit des Roboters sinkt also um 50 Prozent«, erläutert der Forscher und ergänzt: »Deshalb wäre es wünschenswert, wenn man eine solche Wirtschaftlichkeitsrechnung noch vor dem Kauf des Roboters durchführen könnte.«
Cobot-Planer soll Messung mit Prüfgerät ersetzen
Mit dem Cobot-Planer lassen sich Fehlkäufe und weitere eventuell erforderliche Messungen vermeiden. So können Betriebe mit dem Planungswerkzeug den Engineering-Aufwand bei der Umsetzung zukünftiger MRK-Applikationen deutlich verringern. »Ziel ist es, durch Computersimulation wie beim Cobot-Planer künftig komplett auf die Messungen zu verzichten.« Das Tool steht für alle, die einen MRK-Arbeitsplatz planen, unter www.cobotplaner.de kostenlos zur Verfügung. Die digitale Planungshilfe läuft in allen Browsern.
Die Bedienung ist einfach: Der Anwender muss lediglich Parameter zum Roboter, zur Gefährdung und zum genutzten Werkzeug – etwa einem Greifer – eingeben. Der Cobot-Planer berechnet dann automatisch die Wirkung eines Kontakts zwischen Mensch und Maschine und berechnet die maximal zulässige Geschwindigkeit des Roboters. Auch die Möglichkeit, eigene, individuelle Robotermodelle zu laden, bietet das Tool. Die Eingabe von Parametern entfällt dann.
Die technologische Grundlage bilden verschiedene biomechanische Roboter- und Gefährdungsmodelle. Der Anwender hat die Möglichkeit, unterschiedliche Roboter, Gefährdungssituationen und Werkzeuge zu kombinieren und sich so einen Katalog anzulegen und diesen laufend zu erweitern. Alle eingegebenen Daten lassen sich herunterladen und zu einem späteren Zeitpunkt wiederverwenden. Aus Datenschutzgründen werden die Eingaben nicht auf dem Server des Cobot-Planers gespeichert.
Belastungsversuche mit Probanden liefern Daten für biomechanisches Modell
Das biomechanische Modell simuliert präzise, inwieweit der Mensch durch Klemmung und Kollision beansprucht wird. Es umfasst alle 29 relevanten Körperteile, an denen Menschen Schmerz empfinden können, beispielsweise gehört der Kopf dazu. Dieses Modell geht zurück auf Ergebnisse von Probandenstudien des Fraunhofer IFF, die das Institut weltweit einmalig und im Auftrag der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung DGUV und der BGHM zur Ermittlung biomechanischer Grenzwerte durchführte. Die Simulationsergebnisse des Cobot-Planers hat das Fraunhofer IFF zusammen mit Ärzten der Klinik für Unfallchirurgie der Otto-von-Guericke-Universität und unter Einbindung der zuständigen Ethikkommission experimentell in Belastungsversuchen mit Probanden validiert. Die Tests liefen von 2015 bis 2019.