Die Lampe anknipsen, das Handy laden, die Milch im Kühlschrank verstauen und noch schnell die Wohnung saugen – wir vertrauen in unserem Alltag darauf, dass der Strom zuverlässig aus der Steckdose kommt. Doch unser Stromnetz ist in seinem Aufbau sehr komplex und das Gleichgewicht, in dem es sich normalerweise befindet, ist fragil. Idealerweise hat der Strom, der durch die elektrischen Leitungen Europas fließt, eine sinusförmige Wechselspannung mit einer annähernd gleichbleibenden Frequenz von 50 Hertz. Ermöglicht wird diese Stabilität durch die physikalischen Eigenschaften von Synchrongeneratoren großer Kraftwerke. Diese bringen über ihre rotierende Masse Trägheit und damit die sogenannte Momentanreserve ins System. Etwaige Erzeugungsdefizite können sie über die gespeicherte kinetische Energie kurzfristig ausgleichen und so die Zeit überbrücken, bis weitere Schutzmaßnahmen wie die Bereitstellung von Regelreserven aktiviert werden. So kommt es auch in kritischen Situationen, wie beispielsweise dem ungeplanten Ausfall großer Erzeugungsleistungen oder dem Zerfall des Netzes in Netzteile, einem sogenannten System Split, nicht sofort zu flächendeckenden Stromausfällen.
Nun werden aber derzeit und in den kommenden Jahren verstärkt große Kern- und Kohlekraftwerke vom Netz genommen und durch erneuerbare Formen der Energiegewinnung ersetzt. »So gehen die Synchrongeneratoren verloren, die eine ganz essenzielle Basis für die Netzregelung darstellen«, erklärt Dr. Sönke Rogalla, Leiter der Abteilung Leistungselektronik und Netzintegration am Fraunhofer ISE. Er und sein Forschungsteam sehen in netzbildenden Wechselrichtern eine erfolgversprechende Alternative, um die Netzstabilität zu erhalten.
Die richtige Programmierung macht‘s
Wechselrichter sind leistungselektronische Geräte, deren primäre Aufgabe die Umwandlung von Gleichstrom in Wechselstrom ist. Je nach Leistungsklasse variieren sie in ihrem Aussehen vom kleinen Batteriespeicher bis hin zur großen Megawatt-Anlage. Ihr elektrisches Verhalten ist nicht physikalisch definiert, sondern muss über bestimmte Regel-Algorithmen erst entsprechend festgelegt werden. Heutzutage sind Wechselrichter in der Regel so programmiert, dass sie eine gewünschte Leistung in ein starr angenommenes Stromnetz einspeisen, das von starken Großkraftwerken bereitgestellt wird. Netzbildende Wechselrichter hingegen sind so programmiert, dass sie sich wie eine Spannungsquelle verhalten. Vergleichbar mit dem Verhalten von konventionellen Kraftwerken reagieren netzbildende Wechselrichter damit kurzfristig auf den Bedarf des Netzes und stellen Momentanreserven bereit.
»Wichtig ist beispielsweise, dass die Geräte in Spezialfällen wie Überlastsituationen, defekten Leitungen oder System Splits reflexartig richtig reagieren und das Netz stabil halten«, sagt Roland Singer, Gruppenleiter Stromrichterbasierte Netze. »Hierzu forschen wir an der Entwicklung von Geräten und Algorithmen. Verschiedene Anwendungsszenarien können wir mithilfe von Simulationen sowie mittels der Testinfrastruktur in unserem institutseigenen Multi-Megawatt Lab in Freiburg überprüfen.«
Ganzheitliche Betrachtung im Projekt »VerbundnetzStabil«
Dass netzbildende Wechselrichter für einen großen Anteil der Anlagen, die neu ans Netz gehen, notwendig werden, sei unter den Übertragungsnetzbetreibern inzwischen Konsens, erklärt Rogalla. So steht das Fraunhofer ISE diversen Stromnetzbetreibern beratend zur Seite und arbeitet seit 2017 mit verschiedenen Kooperationspartnern aus Wissenschaft und Wirtschaft im Projekt »VerbundnetzStabil« zusammen (siehe Infokasten unten). »Hier ist es uns gelungen, in einer einmaligen Konstellation Kompetenzen aus dem Bereich Leistungselektronik und Regelungstechnik mit Kompetenzen in der Netzdynamik und der Verbundnetzregelung zusammenzubringen. Den Einsatz von und die genauen Anforderungen an netzbildende Wechselrichter konnten wir so im größeren Maßstab ganzheitlich betrachten«, so Rogalla.
Im ersten Projektschritt wurden die Anforderungen an zukünftige Stromnetze geklärt und kritische Situationen definiert. Dies bildete die Grundlage für eine konkrete Geräteentwicklung und -programmierung zusammen mit dem Wechselrichterhersteller KACO new energy. Im Multi-Megawatt Lab konnten die Forschenden dann ein Stromnetz im Kleinen nachbauen und dort untersuchen, wie sich der Anteil von Synchronmaschinen und netzbildenden Wechselrichtern sowie die implementierten Regelungen in verschiedenen Störszenarien auf die Spannungsstabilität auswirkten.
Mit den Ergebnissen sind Rogalla und Singer sehr zufrieden. »Unsere Untersuchungen zeigen noch einmal deutlich, dass eine Umstellung von Synchrongeneratoren auf netzbildende Wechselrichter funktioniert und auch immer dringender wird«, betont Singer. »Gleichzeitig konnten wir klar definieren, was das Netz der Zukunft wirklich braucht, und mithilfe einer Prüfrichtlinie, die wir erarbeitet haben, Vorschläge für wichtige technische Details liefern, bei denen es bisher noch keinen klaren Standard gibt«, ergänzt Rogalla. »Damit wollen wir der Branche für die anstehende Markteinführung von netzbildenden Wechselrichtern eine Hilfestellung bei der technischen Bewertung geeigneter Geräte geben.«
Aktuell wird am Abschlussbericht des Projekts geschrieben. Gleichzeitig wollen die Forschenden ihre Geräte und Erkenntnisse am realen Stromnetz in einem der Institutsbürotrakte überprüfen. In einem weiteren Forschungsprojekt, das gerade geplant wird, soll die erarbeitete Technologie in einem großen Photovoltaik-Speicher-Kraftwerk implementiert und sollen Netzwechselwirkungen unter realen Bedingungen untersucht werden.