Im Projekt SeaClear wollen Sie künftig Müll vom Meeresboden sammeln. Warum?
Oeffner: Die Verschmutzung der Meere ist eines der wichtigsten globalen Probleme. Sie hat Auswirkungen auf Umwelt, Wirtschaft, Sicherheit, Gesundheit und Kultur. Da vor allem Kunststoffe schwer abbaubar sind, werden sie voraussichtlich Hunderte von Jahren im Meer bleiben. Wenn man bedenkt, dass die Kunststoffproduktion sich Prognosen zufolge bis 2050 vervierfachen könnte, haben wir ein immenses Problem, wenn wir nicht handeln. Laut dem Weltwirtschaftsforum WEF betrug im Jahr 2014 das Verhältnis von Kunststoffen zu Fischen 1 zu 5 – 2050 könnte es dann genau so viel Plastikmüll wie Fische geben.
Es gibt bereits viele Ansätze, um den Plastikmüll von der Meeresoberfläche zu fischen. Wie ist ihr Konzept?
Oeffner: Wir konzentrieren uns erstmals auf die Säuberung des Meeresbodens, vor allem in Küstengebieten, wo die Verschmutzung besonders stark ist. Im SeaClear-Konzept vernetzen wir verschiedene Roboterfahrzeuge miteinander. Ein autonom fahrendes oder ferngesteuertes Mutterschiff (USV) an der Oberfläche wird durch zwei Unterwasser-Roboter (ROV) und eine Flugdrohne (UAV) unterstützt. Die Drohne und einen Roboter setzen wir für die Kartierung des Mülls auf der Oberfläche und in der Wassersäule ein. Der zweite Roboter sammelt an Hand dieser Informationen den kartierten Müll mit einem Greifarm und einer Saugvorrichtung am Meeresboden und bringt ihn zum Sammelbehälter am Schiff.
Welche Technologien stecken dahinter?
Delea: Zur synchronen Steuerung aller autonomen Fahrzeuge nutzen wir Multi-Agenten-Steuerungstechniken für heterogene Roboter. Das heißt, die Positionsänderung eines Roboters muss von den anderen Robotern bestätigt werden. Jeder Roboter verfügt über die eingebaute Funktion, um diese Änderungen ohne die Intervention von Menschen zu verarbeiten. Aber wir geben nur einen Befehl für einen Roboter und die anderen passen sich an. Um die Abfälle aus der Meeresfauna und -flora zu erkennen und zu klassifizieren, verwenden wir Deep Learning-Algorithmen. Spezifisch kombinieren wir verschiedene sensorische Systeme wie traditionelle und Multispektralkameras oder akustische Sensoren, um relevante Daten über die Gewässer zu erhalten und, nach mehreren Training-Sessions, den Müll zu erkennen und klassifizieren.
Wie werden die autonomen Roboter trainiert?
Delea: Erkennung und Klassifizierung benötigen intensives Training. Für beides werden in den ersten Schritten Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen verwendet, etwa große Online-Datenbanken, die Filmmaterial über das Leben in den Meeresgewässern liefern. Dann führen wir ein weiteres Training mit Dummy-Targets durch. Vor den endgültigen Demonstrationen gibt es dann noch vorläufige Versuche zur Bewertung der Leistung.
Nun sind Küstengebiete ja sehr unterschiedlich: Wo finden die Versuche statt?
Oeffner: Wir testen die Technologien aktuell an zwei unterschiedlichen Standorten in zwei verschiedenen Szenarien in Tiefen von 20 bis 30 Metern. Im Hamburger Hafen wollen wir das Procedere in einem laufenden Hafenbetrieb mit bestehender Infrastruktur und festen Abläufen demonstrieren. Dieses Szenario konzentriert sich demnach auf den industriellen Hafenbereich. Das Küsten-Szenario in Dubrovnik, Kroatien, adressiert den Tourismussektor und zielt konkret auf die Gewässerreinigung touristischer Hot-Spots ab. In beiden Gebieten gab es im Frühjahr erste Tests. Nach einer Corona-bedingten Pause sind weitere Test in Dubrovnik im Spätsommer geplant.
Was sind die größten Herausforderungen im Projekt?
Delea: Die Herausforderungen an den zwei Teststandorten sind verschieden: Die Hamburger Gewässer sind aufgrund ihrer Trübung und geringen Sichtweite extrem schwierig zu analysieren. Derzeit gibt es keine klare Statistik über Art und Menge der Unterwasserabfälle. Hier wollen wir vor allem die Robustheit und einzelne Features des SeaClear-Systems weiterentwickeln und zur Marktreife bringen. Dafür beziehen wir Interessenvertreter des Hamburger Hafens mit ein, um SeaClear als zukünftige Hafendienstleistung zu prüfen. In Dubrovnik ist es vor allem schwierig, dass der Zugang der Öffentlichkeit nicht beschränkt werden kann. Dadurch ist eine Reihe zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen nötig, die bei der Einführung des Systems ergriffen werden müssen. Aber weil die Sicht in den Gewässern hier fast ideal ist, soll vor allem das Gesamtsystem validiert und gezeigt werden, was alles möglich ist.
Wie gehen Sie die Probleme an?
Delea: Im Fall Hamburgs versuchen wir durch Fusion von verschiedener Sensoren eine relevante Kartierung zu erstellen, um so abzuschätzen, welche Art von Unterwasserabfällen in den Gewässern zu finden ist. Wegen der begrenzten Sicht kommen hier vor allem akustische Sensoren zum Einsatz. In Dubrovnik werden wir zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen an der Flugdrohne installieren, aber auch mit Hilfe von Sensorik am Mutterschiff. Ziel ist es, Unsicherheiten zu minimieren und Kollisionsunfälle zu vermeiden.
Und wie stellen Sie sicher, dass keine fragilen Ökosysteme wie Korallenriffs beschädigt werden?
Delea: In Hamburg stellt sich die Frage ja nicht und auch der kroatische Teststandort hat wenige Korallenriffe. Das finale SeaClear System würde aber, wenn es auf Korallenriffe träfe, über optische Sensoren und KI sicherstellen, dass diese nicht beschädigt werden und nur der Müll eingesammelt wird.
Welchen Teil des Projekts verantwortet das Fraunhofer CML und welche Partner arbeiten noch am Projekt mit?
Oeffner: Das CML ist technischer Koordinator des Projekts und verantwortlich für die Integration des Gesamtsystems sowie die Konzeptionierung und Entwicklung des Auffangbehälters, in dem der Müll gesammelt wird. Zudem entwickeln wir ein virtuelles Überwachungszentrum, das Befehle an die Roboter sendet und deren Daten weitergibt. Auch den Aufbau des Kommunikationsnetzes sowie der Server-Infrastruktur verantworten wir, um die SeaClear-Services über Web-Schnittstellen für die diversen Clients bereitzustellen. Zudem sind maßgeblich beteiligt: die Technischen Universitäten in München, Delft, Dubrovnik und Cluj-Napoca Sowie SubSea Tech Marseille, Hamburg Port Authority und DUNEA Regional Development Agency Dubrovnik. Ziel ist, dass die beiden letztgenannten die finale Infrastruktur nach Projektabschluss auch betreiben und nutzen werden.