Der Ausbau von Photovoltaik und Windkraft wird angesichts des drohenden Klimawandels längst als Notwendigkeit akzeptiert. Ohne den weitreichenden Umbau des Energieversorgungssystems sind die hochgesteckten Ziele der Energiewende nicht erreichbar. Doch die Stromproduktion bei den erneuerbaren Energien ist abhängig von Witterung oder Tageszeit und schwankt daher ständig. Je volatiler die Stromerzeugung, desto häufiger müssen Energieversorger teils aufwendige Maßnahmen ergreifen, um den nachgefragten Strom zuverlässig liefern zu können. Dazu gehören die Regelung von Kraftwerkskapazitäten, die Umleitung von Strom in den Verteilnetzen und nicht zuletzt der Ausbau der Netzinfrastruktur. Auch Batteriespeicher liefern einen wichtigen Beitrag, aufgrund der Größenordnung der Schwankungen und der hohen Investitionskosten reicht dieser aber nicht aus.
Nun hat das Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV gemeinsam mit Gesamtprojektkoordinator Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA im Projekt SynErgie neuartige Konzepte zur Unterstützung des Stromversorgungssystems entwickelt. Beteiligt waren auch die Fraunhofer-Institute für Integrierte Schaltungen IIS, für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU, für Angewandte Informationstechnik FIT, die Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT sowie Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft. Die Konzepte sehen vor, die Fluktuationen der erneuerbaren Energien durch die Anpassung des industriellen Stromverbrauchs auszugleichen. SynErgie ist eines von vier Projekten der Forschungsinitiative »Kopernikus-Projekte für die Energiewende«. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte die erste Phase der Projekte zwischen 2016 und 2019 mit insgesamt 120 Millionen Euro. 30 Millionen entfielen auf SynErgie. Aktuell läuft die zweite dreijährige Phase mit einer ähnlichen finanziellen Ausstattung, eine dritte Phase wurde vom Ministerium in Aussicht gestellt.
Strombedarf und Stromerzeugung werden synchronisiert
Die Grundidee von SynErgie besteht darin, den Energiebedarf der Industrie gezielt an die aktuelle Stromproduktion anzupassen. Dazu werden beispielsweise Produktionsschritte mit hohem Strombedarf zu Zeiten mit viel Wind- und Sonne eingeplant. Wenn die Wind- und Photovoltaikkraftwerke schwächeln, werden bevorzugt Anlagen mit geringem Stromverbrauch genutzt. Im Einzelfall können auch energieintensive Maschinen zeitweise gedrosselt werden. Die Produktionsziele werden trotz des flexibel angepassten Energieverbrauchs jederzeit eingehalten.
Dass dies tatsächlich möglich ist und am Ende sogar deutliche Einsparungen bei den CO2-Emissionen bringt, konnte das Projekt SynErgie bereits in der ersten Förderphase von 2016 bis 2019 unter Beweis stellen.
Dazu wählten die Forschenden Augsburg und umliegende Landkreise als Modellregion. Hier finden sich u. a. Betriebe aus Maschinenbau, Metallerzeugung und -verarbeitung sowie Papier-, Chemie- und Kunststoffgewerbe und damit ein repräsentativer Querschnitt durch die deutsche Industrie. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtstromversorgung liegt derzeit bei etwa 35 Prozent. Wegen dieses für deutsche Industrieregionen typischen Profils ist die Modellregion Augsburg sehr gut geeignet, das Potenzial und die möglichen Probleme einer energieflexiblen Fabrik zu identifizieren und Lösungen exemplarisch umzusetzen.
SynErgie untersucht energieintensive Prozesse
Die Expertinnen und Experten nahmen vor allem energieintensive Anlagen und Prozesse in den Blick. »Insbesondere Branchen mit hohem Energiebedarf verfügen über flexibilisierbare Anlagen, die durch ihre Größenordnung spürbar positive Effekte auf das Versorgungssystem haben«, erklärt Stefan Roth, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Fraunhofer IGCV. Besonders energieintensiv sind etwa Schmelzprozesse in Gießereibetrieben, Umformmaschinen für die Stahlbearbeitung oder die Halbstofferzeugung bei der Papierherstellung. Die Forschenden wollten dabei auch herausfinden, welche Folgen die Flexibilisierungsmaßnahmen für die Produktionsziele und die Energiebilanz haben, beispielsweise, wenn eine Anlage gedrosselt wird und dann wieder hochfährt. Denn für den Neustart benötigt eine Maschine oft viel Strom. Mithilfe von Simulationen haben die Forschenden analysiert, wie sich die Flexibilisierung des Strombedarfs auf die Produktionsziele, die Effizienz und Leistung der Maschinen sowie die Gesamtenergiebilanz des Unternehmens auswirken würde.
Das Ergebnis zeigt, dass die energieflexiblen Fabriken kosteneffizient realisierbar sind und die CO2-Bilanz des Gesamtsystems verbessert wird. »Für die Modellregion Augsburg wurden durch drei exemplarische Maßnahmen energieflexibler Fabriken deutlich positive Effekte auf die regionale Energiebilanz erreicht. Diese bewegen sich im Maßstab eines mittelgroßen fossilen Kraftwerks. Durch den höheren Anteil erneuerbarer Energien am Strommix sinkt auch der CO2-Ausstoß der Stromerzeugung«, erklärt Jana Köberlein, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IGCV.
Strompreise fließen in das ERP-System ein
Doch wie gelangen die Informationen über den aktuellen Status der Stromerzeugung zu den Unternehmen? An dieser Stelle kommen Daten von Strombörsen ins Spiel. Denn Fluktuationen bei der Stromerzeugung wirken sich auch auf die Strompreise aus. Auf Plattformen wie EPEX SPOT hängt der Preis für eine Megawattstunde Strom u. a. vom Zeitpunkt ab, wann diese verbraucht wird. Das Konzept der energieflexiblen Fabrik sieht daher vor, dass die ERP-Plattformen (Enterprise Ressource Planning) der Unternehmen neben den bereits vorhandenen unternehmensinternen Daten auch den aktuellen Strompreis sowie Strompreisprognosen mit einbeziehen. Dann kann die Produktionsplanung alle relevante Parameter und Daten verwenden und so Energiekosten senken, ohne die Produktionsziele zu gefährden oder gar die Produktqualität einzuschränken. »Diese energieorientierte Produktionsplanung ist eine Voraussetzung für die Realisierung von energieflexiblen Fabriken. Wenn Prozessschritte, Anlagenverfügbarkeiten und Liefertermine mathematisch modelliert werden, kann ein Algorithmus einen kostenoptimalen Produktionsplan errechnen, der dann grafisch dargestellt wird«, so Lukas Bank, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IGCV.
Heutiger und zukünftiger Nutzen für die Unternehmen
SynErgie ist damit zunächst besonders für energieintensive Betriebe attraktiv. Aber auch kleine und mittlere Unternehmen können in Zukunft von den entwickelten Systemen profitieren, beispielsweise bei der Vermeidung von teuren Lastspitzen oder der aggregierten Vermarktung von Flexibilität. Wenn es so der Industrie gelingt, sich beim Stromverbrauch auf die Stromerzeugung einzustellen, werden weniger konventionelle Kraftwerke benötigt und der schnelle Ausbau der Stromnetze wird weniger dringlich. Ein durchdachter Technologiemix sorgt auch für regionale Energiewertschöpfung und hilft, Deutschland als Leitmarkt für Energietechnologie zu etablieren.
Das Fraunhofer IGCV und seine Partner arbeiten an weiteren Pilotprojekten in der Modellregion Augsburg und installieren Softwareplattformen bei Industriepartnern. Diese können dann im Zusammenspiel mit den regionalen Netzbetreibern erprobt werden.