Nicht zuletzt in der Corona-Krise hat sich gezeigt, wie wichtig ein nachbarschaftliches Miteinander ist – viele Menschen sind aufgrund ihrer Lebenssituation auf die Hilfe von anderen angewiesen, beispielsweise im Krankheitsfall, bei handwerklichen Tätigkeiten oder bei der Betreuung von Kindern und Haustieren. Anders als auf dem Land, wo man schnell mal beim Nachbarn klingelt, wenn Hilfe benötigt wird, leben Städter anonym. Die Hemmschwelle, Unbekannte um Unterstützung zu bitten, ist groß. Personennahe, soziale Dienstleistungen sind meist teuer. Eine gegenseitige, unentgeltliche Nachbar-schaftshilfe bietet daher große Potenziale. Hier setzt das Verbundprojekt INSELpro an, in dem die Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services SCS des Fraunhofer IIS in Erlangen gemeinsam mit seinen Konsortialpartnern – dem Erlanger Software-Unternehmen develop group, dem Evangelischen Gemeindeverein Nürnberg-Mögeldorf e.V. und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, (Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insbesondere im Dienstleistungsbereich / Lehrstuhl für Psychologie im Arbeitsleben) – ein neuartiges, digitales Dienstleistungskonzept für Nachbarschaftshilfe entwickelt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF fördert das Vorhaben.
Das Dorf in der Stadt
»Mit Hilfe der App wollen wir das Dorf in die Stadt bringen und die Nachbarn in einem Quartier miteinander vernetzen«, sagt Matthias Goldhan, Wissenschaftler am Fraunhofer IIS. Die Anwender der App sind sowohl Nutzer auch als Anbieter von Dienstleistungen, sogenannte Prosumenten. Mögliche Hilfsangebote reichen von Einkaufen, Reparaturen, Behördengängen, Betreuung von Personen bis hin zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten. Auch professionelle Dienste wie etwa örtlich ansässige Handwerksbetriebe können in die Liste der Anwender aufgenommen werden. »Über die neue digitale Plattform ist eine Integration der Bürger mit ehrenamtlichen, gemeinnützigen Organisationen möglich«, so Goldhan. Wichtig sei der nicht monetäre Aspekt. Der Ausgleich von Dienstleistungsangebot und -inanspruchnahme basiere auf dem Prinzip »Geben und Nehmen«.
Kein Schwarzes Brett
Anders als bereits verfügbare Nachbarschafts-Apps funktioniert die App der INSELpro-Projektpartner nicht wie ein Schwarzes Brett, auf dem Anfragen gepostet werden. Viel-mehr werden die Anfragen und Vorschläge der Prosumenten miteinander abgeglichen. Die Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer IIS entwickeln das Vermittlungs-Back-End. »In der App werden die Profile der Anwender gepflegt. Wir ordnen die Anfragen den Bewohnern bzw. den von ihnen angebotenen Dienstleistungen zu. Wer eine Dienstleistungsanfrage einstellt, erhält eine Liste mit passenden Prosumenten, aus denen ausgewählt werden kann«, erläutert Goldhan das Konzept.
Die Prosumenten beschreiben sich mit Eigenschaften. Beispielsweise können sie ihren Fitnesszustand, Tierhaarallergien, Hobbies und vorhandene Werkzeuge angeben oder auch informieren, welche Tätigkeiten sie nicht übernehmen möchten. Dabei ist der Datenschutz gewährleistet: Nur als vertrauenswürdig befundene Prosumenten werden freigeschaltet. Die Datenbank, in der ein semantisches Modell der Nutzer, Dienstleistungen und Kriterien zur Optimierung des Abgleichs von Angebot und Nachfrage hinterlegt wird, ist gesichert. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des Systems: Die Dienstleistungsgesuche werden in Echtzeit vermittelt.
Die Konzeption und Umsetzung der neuen personennahen Dienstleistungen erfolgt beispielhaft im Stadtteil Nürnberg-Mögeldorf. Neben den Anwohnern wird das Bauprojekt Langseestraße eingebunden, das derzeit von 120 Bürgern bezogen wird. Diese sind zugleich Tester der App. Die Bedienerfreundlichkeit der Benutzeroberfläche wurde be-reits im ersten Quartal dieses Jahres von den künftigen Quartiersbewohnern der Langseestraße geprüft, weitere Tests sind geplant.
Ziel des Projekts ist es, die Hilfsbereitschaft im Stadtviertel und im Quartier zu stärken und den Zusammenhalt und die sozialen Interaktionen zu fördern. Caritative und kommunale Einrichtungen profitieren von den aufgebauten Strukturen und können mit den Bürgern im Betreuungsbereich einfacher als bisher zusammenarbeiten. Das Dienstleis-tungskonzept sowie die Softwareentwicklung sind auf andere Städte übertragbar, die App kann lizensiert werden.