Herr Ambacher, Ihr Institut forscht intensiv im Bereich der Quantensensorik. Was ist das Besondere an dieser Technologie?
Ambacher: Quantensensoren sind sehr klein und empfindlich und können deswegen kleinste Signale mit höchster Ortsauflösung messen. Das ist zum Beispiel wichtig in der Halbleiterindustrie zur Untersuchung nanoelektronischer Schaltungen. Wenn diese nicht funktionieren, ist die Fehlersuche heute oft schwierig. Wir entwickeln Quantensensoren auf Basis von Diamant, die zusätzlich den Vorteil haben, dass sie bei Raum-temperatur funktionieren. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz der Quantensensoren im Markt.
Für welche anderen Bereiche könnten Quantensensoren auch interessant sein?
Auch in der Medizin kann man Quantensensorik einsetzen. Im Moment werden Gehirnströme mit Hilfe von Supraleitern gemessen, die aufwendig mit Flüssighelium gekühlt werden müssen und sehr große Apparaturen erfordern. Mit Quantensensoren bräuchte man vielleicht künftig statt riesiger Hauben nur noch eine dünne Sensorfolie auf dem Kopf, um die Messung durchführen zu können. Es geht also um eine geringere Belastung für die Patienten und auch ein kostengünstigeres Prozedere für die Kliniken.
Wann könnten Quantensensoren in die breite Anwendung kommen?
In der Medizintechnik werden heute schon supraleitende Sensoren eingesetzt, um Gehirnverletzungen oder Gehirntumore zu finden oder nach Schlaganfällen Gehirnaktivitäten zu messen. Auch in der Nanoelektronik ist die Quantensensorik schon angekommen, um die Fehleranalyse an modernen elektronischen Schaltungen durchführen zu können. Wir befinden uns eigentlich schon in der zweiten Generation der Quantentechnologie und stellen uns jetzt Forschungsfragen wie: Wo ist noch Raum für weitere Verbesserungen? Was braucht die Industrie? Welche weiteren Anwendungen können wir erschließen?
Und wo gibt es noch Raum für Verbesserungen?
Zum Beispiel bei der Kühlung: Wir arbeiten gerade stark daran, Quantensensoren bei Raumtemperatur einsetzen zu können. Das würde die Anwendungsfelder verbreitern und die Integration in die Industrieprozesse erleichtern. Wir nutzen dafür Diamant, weil der Kohlenstoff sehr leicht ist und sehr hart im Kristall gebunden ist. In dem Diamantgitter fangen wir mit einer Stickstoffvakanzstelle ein einzelnes Elektron ein, positionieren und kontrollieren es. Das Elektron ist unser Sensor für den Nachweis schwacher magnetischer Felder. Die Wechselwirkung der schwingenden Kohlenstoffatome in Diamant mit dem Elektron ist sehr schwach, deswegen können wir das Elektron, einmal positioniert, sehr lange in dieser Position halten und zur Messung nutzen. Die Herausforderung dabei ist, dass die Kristalle, in denen die Elektronen eingefangen werden, höchste Qualität haben müssen. Unter einer Milliarde Atome darf höchstens ein falsches sein. Das bedingt eine hohe Kunst des Kristallwachstums.
Sie bauen seit Anfang des Jahres ein Applikationslabor für Quantensensorik am Fraunhofer IAF auf. Was passiert dort genau?
Wir richten drei benutzerfreundliche Quantensensorik-Systeme ein, die Industrieunternehmen oder andere Forschungsinstitute für ihre Fragestel-lung nutzen können. Wir erhoffen uns dadurch noch viele neue Ideen zu möglichen Einsatzfeldern. Wenn wir direkt vom Kunden erfahren, welche Bedarfe er hat, können wir das in weiteren Optimierungsschritten berücksichtigen.
Welche Rolle spielen Quantensensoren bei Quantencomputern?
Unser Quantensensor ist im Prinzip ein Qubit, denn das Sensor-Elektron im Diamant hat zwei quantenmechanische Zustände. Es ist also – wie ein Qubit – ein 2-Niveau-System, das quantenmechanisch kontrolliert und manipuliert werden kann. Wo wir in der Sensorik ein einzelnes Qubit als Messinstrument nutzen, müssten wir in einem Quantencomputer 50 oder 100 nebeneinander in ein Array setzen, damit wir daraus einen Speicher oder einen Prozessor bauen können. Da also die gleichen Kompetenzen gefragt sind, haben wir durch unser Leitprojekt zur Quantenmagnetometrie die idealen Voraussetzungen geschaffen, um diese Entwicklung auch für die Realisierung von Quantencomputern erfolgreich voranzutreiben.
Fraunhofer hat dieses Jahr eine Quantencomputing-Initiative mit IBM gestartet, um die Forschung daran hierzulande voranzubringen. Noch werden Quantencomputer in den USA und China gebaut. Was hat Deutschland, was hat Europa dem in Sachen Hardware entgegenzusetzen?
Man darf nicht vergessen, dass maßgebliche Bauteile, auch Teile der Quantenprozessoren oder der Mikrowellenverstärker des IBM-Quantencomputers, in Europa und Deutschland gebaut werden. Es gibt hier ein reiches Ökosystem an Forschergruppen, Start-ups, KMUs und großen Unternehmen mit weitreichenden Kompetenzen im Quantencomputing. Da müssen wir uns definitiv nicht verstecken. Was noch fehlt, ist eine gemeinsame Initiative. Wir müssen unsere Kompetenzen bün-deln, um gemeinsam erfolgreich einen europäischen Quantencomputer zu entwickeln und zu demonstrieren.
Was wird der europäische Quantencomputer dann können, was der Markt noch nicht bietet?
Man kann im Moment schon Limitierungen bei den existierenden Quantencomputern erkennen, zum Beispiel was die Komplexität der Prozessoren angeht. Auch die Skalierbarkeit ist noch lange nicht gegeben. Supraleitende Quantencomputer sind zwar im Moment die leistungsfähigsten, kommen aber aufgrund der hohen Fehlerrate nicht über 50 – 100 Qubits hinaus. Das ist deutlich zu wenig, um zukünftige Optimierungsalgorith-men rechnen zu können. Zudem gilt es, die Architektur an die Anwendung anzupassen. Viele stellen sich vor, dass es den einen Quantencomputer geben wird. Das ist nicht meine Sichtweise. Ich glaube, dass es ein Hybrid sein wird – also ein Quantencomputer-Modul, das man in einen klassischen PC einbauen kann. Sie nutzen dann Ihren klassischen PC und für Fragestellungen, die dieser nicht lösen kann, können Sie Ihr Quantencomputing-Modul dazuschalten. Dieses Modul muss dann auf Ihre jeweilige Anwendung optimiert sein.
Seit April 2020 hat Fraunhofer Zugriff auf einen IBM-Quantencomputer. Was versprechen Sie sich davon?
Der Quantencomputer von IBM wird unsere Lernkurve deutlich nach oben pushen, weil wir direkt erste Anwendungen testen können. Wenn man an den klassischen Computer denkt, hat es Microsoft irgendwann geschafft, eine Software so aufzusetzen, dass man als Nutzer bequem Briefe schreiben oder Bilder bearbeiten kann. Jetzt müssen wir für den Quantencomputer das Gleiche leisten, um ihn für eine breite Anwenderschaft nutzbar zu machen. Wir brauchen den Zugriff zum IBM-Quantencomputer, damit wir überhaupt die nächste Generation für uns aufbauen und bedienen können. Deswegen ist diese Initiative wichtig und richtig.
Die Kooperation geht zunächst bis 2024. Was passiert danach?
Fraunhofer hat schon ganz viele Puzzlestücke zusammen: in der Optik, in der Elektronik, in der Softwareentwicklung. Mit dem nationalen Fraunhofer-Zentrum für Quantencomputing und seinen regionalen Kompetenzzentren können wir in all diesen Bereich noch einmal intensive Entwicklungen vorantreiben. Außerdem führen wir derzeit viele Gespräche mit der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft. Unsere gebündelten Fähigkeiten würden von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung alles abdecken. Wenn sich unsere besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler übergreifend und interdisziplinär zusammentun, dann bin ich davon überzeugt, dass wir gemeinsam mit weiteren Partnern in ein paar Jahren einen europäischen Quantencomputer bauen können.
Das Gespräch führte Mandy Bartel.