Werkzeugmaschinen sind Präzisionsapparate. Mikrometergenau fräsen, drehen und schleifen sie Werkstücke. Diese Präzision lässt sich nur erreichen, wenn die Mechanik sauber arbeitet, wenn nichts ruckelt oder vibriert. Denn Vibrationen können sich auf die Werkzeuge übertragen und letztlich zu Fehlern und Ungenauigkeiten am fertigen Werkstück führen. Wenn es schlecht läuft, sind kostspielige Reklamationen die Folge. Wichtig ist es deshalb, Schäden oder Verschleiß an der Maschine frühzeitig zu erkennen. Viele Maschinen werden deshalb mit Sensoren überwacht. Diese erkennen beispielsweise an leichten Vibrationen, dass eine Komponente langsam verschleißt. Sie können einen Warnhinweis geben, damit das Teil ausgetauscht wird, ehe ein Schaden auftritt. Diese vorausschauende Wartung wird Predictive Maintenance genannt. Inzwischen sind zahlreiche Predictive-Maintenance-Systeme auf dem Markt.
Lebenszyklus der Werkzeugmaschinen in der Cloud gespeichert
In der Regel bleiben Predictive-Maintenance-Systeme allerdings Insellösungen. Sie geben zwar eine Warnung aus, damit ein Bauteil gewechselt werden kann. Doch weiter genutzt wird diese wertvolle Information kaum. Fachleute vom Berliner Fraunhofer IPK haben jetzt ein System entwickelt, das deutlich mehr aus Predictive Maintenance herausholt: Sie binden die Sensorik in eine Internet-Plattform ein, in der der gesamte Lebenszyklus einer oder mehrerer Werkzeugmaschinen gespeichert wird. Das macht eine umfangreiche Datenanalyse möglich, mit der sich Maschinen oder ganze Arbeitsabläufe optimieren lassen. Wie das funktioniert, zeigt das Team um Claudio Geisert, stellvertretender Abteilungsleiter Produktionsmaschinen und Anlagenmanagement am Fraunhofer IPK, während der Preview der Hannover-Messe am 12. Februar 2020 in Halle 19 und während der Messe vom 13. bis 17. Juli 2020 am Fraunhofer-Gemeinschaftsstand in Halle 6, Stand A26. Die Forscherinnen und Forscher haben dafür ein zentrales Element einer Werkzeugmaschine ausgewählt: einen Kugelgewindetrieb, mit dem ein Werkstückträger in der Maschine extrem präzise auf einer Spindel hin und her bewegt wird.
Eine solche Spindel kann mit der Zeit verschleißen, was zu unerwünschten Vibrationen führt, die Fehler am Werkstück verursachen können – und die möglichst früh erkannt werden sollten. Das vom Fraunhofer IPK entwickelte Smart-Maintenance-System kann das. Herzstück ist eine Sensorplatine, die einen handelsüblichen Sensorchip enthält, ein Micro Electro Mechanical System (MEMS). Bei diesen MEMS handelt es sich um kleine Silizium-Bausteine, auf deren Oberfläche verschiedene Technik-Komponenten miteinander verknüpft werden. So können sie beispielsweise Umweltreize wie Vibrationen messen und diese mit einem daran angeschlossen Prozessor verarbeiten. MEMS und Prozessor bilden zusammen einen Sensorknoten. »Solche MEMS sind heute millionenfach in Autos und Smartphones verbaut. Sie sind kostengünstig und dennoch für unsere Zwecke ausreichend genau«, sagt Claudio Geisert. Wichtig: Die Verarbeitung der Sensorsignale findet direkt auf dem Sensorknoten statt. Der Prozessor erkennt damit von allein eine Störung und kann diese Information weiterleiten.
Digitaler Zwilling der Werkzeugmaschine in IoT-Plattform integriert
Die Information wird an eine Internet-of-Things-Plattform (IoT-Plattform) gesendet, die die Service-Zentrale alarmiert, welche dann entscheidet, was zu tun ist. Sie legt beispielsweise einen günstigen Zeitpunkt für den Austausch der Spindel fest, damit Produktionsausfälle durch Stillstandzeiten vermieden werden. Zum zweiten enthält diese IoT-Plattform einen sogenannten Digitalen Zwilling der Werkzeugmaschine – eine digitale Kopie, die die Historie der Maschine und alle Zustände und Betriebsparameter enthält.
Flotten-Historie abrufen und analysieren
Wird die defekte Spindel schließlich ausgetauscht, erhält auch der Digitale Zwilling die Information darüber, dass er jetzt eine neue Komponente enthält. »Die Abbildung des tatsächlichen Zustands der Werkzeugmaschinen macht eine umfangreiche Analyse möglich«, erklärt Claudio Geisert. Die Betreiber der Maschinen könnten beispielsweise erkennen, ob bestimmte Prozesse der Anlagen den Verschließ signifikant erhöhen. Damit wird es möglich, die Arbeitsprozesse entsprechend anzupassen. Und die Hersteller der Werkzeugmaschinen können beispielsweise wertvolle Hinweise erhalten, um ihre Anlagen weiter zu optimieren. »Letztlich kann man auf diese Weise die Historie einer ganzen Flotte von Maschinen abrufen und analysieren, um mögliche Schwachstellen zu finden«, sagt Geisert.
Maschinenpark über Standorte hinweg im Blick
Die Kopplung der realen Maschine mit der IoT-Plattform hat aber auch für die Servicekräfte vor Ort an der Maschine Vorteile. Bei der IPK-Lösung scannt der Techniker zunächst einen QR-Code an der Maschine, um zu überprüfen, ob er an der richtigen Maschine arbeitet. Das ist vor allem in Unternehmen wichtig, in denen ganze Maschinenparks zu finden sind. Ebenso kann das Bauteil gescannt und mit den Daten im Digitalen Zwilling abgeglichen werden – damit nicht versehentlich eine andere Komponente ausgetauscht wird. Ferner kann der Mitarbeiter über ein Tablet Hinweise für den Aus- und Einbau des Bauteils abrufen. Ist die Reparatur erfolgt, kann direkt von der Maschine aus ein Testlauf gestartet werden. Hat alles geklappt, drückt der Mitarbeiter einen OK-Button – und gibt damit das Signal, das Bauteil auch im Digitalen Zwilling zu aktualisieren. »Mit der Kopplung der Maschine und der Sensoren an die IoT-Plattform erhalten wir erstmals ein ganzheitliches Bild einer Maschine oder der ganzen Flotte«, sagt Claudio Geisert. »Große Firmen werden damit in die Lage versetzt, ihren gesamten Maschinenpark über einzelne Standorte hinweg im Blick zu behalten.« Die IPK-Lösung, die auf der Hannover-Messe Preview vorgestellt wird, ist bereits so weit entwickelt, dass sie sich in der Industrie einsetzen lässt. Sie bietet die Möglichkeit, die Technologien an die spezifischen Bedürfnisse verschiedener Kunden anzupassen.