Klimawandel, Naturkatastrophen, Cyberangriffe, Energiewende – es gibt viele Faktoren, die unsere Stromversorgung gefährden können. Ein lang anhaltender Stromausfall etwa könnte dramatische Auswirkungen haben. Die Trinkwasserversorgung würde zusammenbrechen, ebenso wie der Bahnverkehr, das Telefonnetz, die Straßenbeleuchtung und vieles mehr. Die aktuelle Notfallstrategie: Wenn das örtliche Stromnetz ausfällt, halten Dieselgeneratoren die Energieversorgung aufrecht. Die Notstromaggregate sollen für Sicherheit von Menschen und Geräten – etwa in Krankenhäusern – sorgen. »Ein solcher Notbetrieb funktioniert über drei Tage, aber nicht bei einem einwöchigen Stromausfall. Dann sind die Treibstoffreserven aufgebraucht. Hinzu kommt, dass sich für viele kritische Kleinverbraucher wie Wasserpumpen oder Kommunikationsknoten ein wartungsintensives Vorhalten von Notstromaggregaten nicht rentiert«, sagt Jan Reich, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE. Im Projekt SmartKRIT untersuchen der Forscher und seine Kollegen von den Fraunhofer-Instituten für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB und für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT, wie sich die Stromversorgung solcher kritischer Infrastrukturen im Krisenfall ausfallsicher gestalten lässt. Im Vorhaben entwickeln sie alternative Lösungen, um im Katastrophenfall so schnell wie möglich Maßnahmen einleiten und rasch wieder zur Ausgangssituation zurückkehren zu können.
Automatisierte Transportflotten vernetzen Energieerzeuger und -verbraucher
Die Idee: Vernetzte Elektrofahrzeuge sollen die benötigte Energie von den Erzeugern zu den Verbrauchern transportieren, die wiederum mit entsprechenden bidirektionalen Ladeschnittstellen ausgestattet sind. »Natürlich lässt sich das nicht in einem oder zwei Jahren realisieren. Wir haben jedoch die Vision, dass sich unser Konzept in etwa zehn Jahren umsetzen lässt, wenn die Verbreitung von entsprechenden mobilen Energiespeichern und von vernetzten automatisierten Fahrzeugen zugenommen hat«, so der Informatiker.
Die Koordination der Elektrofahrzeuge, Erzeuger und Verbraucher erfolgt digital über eine zentrale Leitstelle. Eine eigens entwickelte Planungshilfe zum Resilienzmanagement soll Städte bei den komplexen Steuerungsabläufen unterstützen. Eine Laufzeit-Software-Plattform ermöglicht darüber hinaus künftig die prioritätsbasierte Überwachung einer dynamischen Energieversorgung mit autonomen Fahrzeugen. »Welche Verbraucher müssen aktuell mit Energie versorgt werden, welcher Energieerzeuger kann Energie-Kapazitäten zur Verfügung stellen, wo befinden sich die einzelnen Transportsysteme der Fahrzeugflotte – alle diese Informationen laufen in der Software-Plattform zusammen«, erläutert Reich. Algorithmen berechnen das optimale Zusammenspiel aller Verbraucher, Transportsysteme und Ressourcen wie etwa Windräder, Solarpanels, Blockheizkraftwerke und Industrieanlagen. Als Energiespeicher sollen nicht die Batterien der E-Fahrzeuge genutzt werden, sondern mobile Akkus.
Mit Digitalen Zwillingen auf Störeinflüsse reagieren
Ziel ist es, eine Echtzeit-Informationsgrundlage über Energieangebot, -übertragungskapazität und -bedarf zu schaffen, die Krisenstäbe bei Entscheidungen zur optimalen Energieversorgung unterstützt. Die Verantwortlichen werden in die Lage versetzt, schnell und effektiv auf dynamische Veränderungen des verfügbaren Energieangebots und der Verbraucherkapazitäten reagieren zu können. Entscheidendes Hilfsmittel bei der Umsetzung sind Digitale Zwillinge, die das komplette System digital repräsentie-ren. »Beispielsweise ermöglicht es die in einer Windkraftanlage verbaute Sensorik, In-formationen zu digitalisieren und den Zustand der Anlage im Digitalen Zwilling zu speichern. So lässt sich für jeden Erzeuger und für jeden Verbraucher eine digitale Repräsentanz etablieren, die relevante Informationen wie die verfügbare Strommenge, den aktuellen Energiebedarf sowie den Zustand des Transportsystems in Echtzeit liefert.«
Auf dem Weg zur fertigen Lösung wurde im ersten Schritt im März dieses Jahres eine Machbarkeitsstudie des SmartKRIT-Konzepts für die Modellregion Kaiserslautern gestartet. Die Projektpartner prüfen, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, um die Energieversorgung mit E-Fahrzeugflotten realisieren zu können. Zahlreiche Faktoren wie die Anzahl und Reichweite der E-PKWs, die Ladezeit und Größe der Akkus, die Profile der Windkraft- und Solaranlagen werden im Konzept berücksichtigt, um im Notfall die erforderlichen Routenpläne erstellen zu können. Dabei werden bestehende Lastprofile der städtischen Versorgungsanlagen herangezogen. »Wir fangen ja nicht bei Null an, es existieren bereits Konzepte für Notfallszenarien. Diese gilt es zu analysieren, zu optimieren und zu flexibilisieren«, so der Forscher.