»Hersteller, Zulieferer, Ausrüster, Dienstleister – die Automobilindustrie befindet sich in einer tiefgreifenden Transformation«, erklärt Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, anlässlich der diesjährigen IAA. »Waren technische Neuerungen schon immer wichtig für diesen Wirtschaftssektor, so bestimmen Innovations- und Wandlungsfähigkeit aktuell stärker denn je über die Zukunft dieser für Deutschland und Europa so strategisch wichtigen Branche. Das betrifft Lösungen für das Produkt, die Produktionsprozesse, aber auch neue Services und Geschäftsmodelle im Mobilitätssektor. Hier leistet Fraunhofer als etablierter Partner mit zukunftsweisenden Lösungen einen wesentlichen Beitrag.« Der Gemeinschaftsstand der Fraunhofer-Gesellschaft mit vier Instituten aus verschiedenen technologischen Disziplinen und den beiden Fraunhofer-Allianzen autoMOBILproduktion sowie Verkehr zeigt den hohen Stellenwert der Automobilindustrie bei Europas größter anwendungsorientierter Forschungsgesellschaft – und beleuchtet aktuelle Themen wie Wertschöpfungsnetzwerke und Brennstoffzellenfahrzeuge. Spezielle Exponate zeigen darüber hinaus Lösungen für spezifische Her-ausforderungen bei der Optimierung der Wertschöpfungskette auf. Den entscheidenden Mehrwert schaffen dabei neue industrienahe Lösungen mit Fokus auf Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Digitalisierung.
Effiziente Simulations- und Analyseverfahren
Neuartige Simulations- und Analyseverfahren des Fraunhofer-Institutes für Bauphysik IBP ermöglichen eine Berechnung von Karosseriegeräuschen im tatsächlichen Fahrbetrieb. Damit kann bereits vor Produktionsbeginn die Fahrzeugakustik gezielt beeinflusst und wirtschaftlich optimiert werden.
Ein weiteres Beispiel für eine praxisnahe Anwendung von Simulationsmethoden zeigt das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR mit dem Radarzielsimulator. Dieser ermöglicht eine Kontrolle der Funktionsfähigkeit von Automobil-Radarsensoren der nächsten Generation und kann, im Gegensatz zu konventionellen Radarzielsimulatoren, kritische Verkehrsszenarien vollständig simulieren. Darüber hinaus gestatten neue Algorithmen eine adaptive Signalverarbeitung, die aus Erfahrungen lernen kann. Mit deren Einsatz werden moderne Fahrerassistenz-Systeme revolutioniert und der Weg für ein autonomes Fahren geebnet.
Neue wirtschaftliche Produktionsverfahren
Der nächste Schritt setzt beim Karosseriebau an. Neue Entwicklungen für den kosten- und ressourceneffizienten Karosseriebau der Zukunft zeigt das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU. Exemplarisch in der Technologieplattform »Silberhummel« dargestellt, beweisen die flexiblen Umform- und Fügetechnologien, dass nun ein Fahrzeug in kleinen Stückzahlen – bis hin zur Stückzahl eins – wirtschaftlich produziert werden kann.
Mit neuen Produktionsverfahren lassen sich auch scheinbar ausgereifte Automobilteile deutlich verbessern – so auch konventionelle Bremsscheiben, die durch hohen Verschleiß Feinstaub erzeugen und die Umwelt belasten. Ein neues Beschichtungsverfahren des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT reduziert diese Nachteile signifikant. Mit dem Extremen Hochgeschwindigkeits-Laserauftragschweißen (EHLA) können erstmals schnell und wirtschaftlich Verschleiß- und Korrosionsschutzschichten auf Bremsscheiben aufgebracht werden.
Potenziale zur Optimierung finden sich manchmal erst auf den zweiten Blick und sind dann umso effektiver. Ein Beispiel dafür sind die Akkus für Elektroautos. Zwar machen deren gesteigerte Kapazitäten zunehmend längere Distanzen möglich, jedoch schwankt die Reichweite vor allem bei niedrigen Umgebungstemperaturen. Das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF hat nun eine thermisch speicherfähige Traktionsbatterie entworfen, die mit einem neuartigen Faserverbund-Sandwich-Batteriegehäuse die Wärme abschirmt und damit Reichweitenschwankungen reduziert. Damit erhöht sich die Zuverlässigkeit von Elektroautos entscheidend.
Anwendungen optimal integrieren
Um generell die Reichweite von Elektroautos weiter zu verbessern, hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE ein PKW-Solardach mit hocheffizienten Solarzellen entwickelt. Die Zellen werden unsichtbar in das vorgeformte Solardach integriert und liefern Strom für täglich ca. 10 km zusätzliche Reichweite bei einem durchschnittlichen Elektroauto an einem sonnigen Tag.
Diese Anwendung zeigt: Auch bei der baulichen Integration neuer Technologien in ein Fahrzeug ist ein Effizienzgewinn im Wertschöpfungsprozess möglich. Dies gilt ganz besonders für den bislang aufwändigen Einbau eines klassischen Kabelbaums. Dieser ist zukünftig gar nicht mehr nötig. Dank der neuartigen Beschichtungstechnik des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT wird eine Weitergabe der elektronischen Funktionen durch Leiterbahnen und Sensoren übernommen, die mit Hilfe eines Lasers auf Bauteile aufgebracht werden.
Die genaue Ortung der Fahrzeugumgebung ist für das autonome Fahren zwingend erforderlich, Radar dazu eine der wichtigsten Technologien. Aber wo ist der ideale Einbauort, und wie beeinflussen die verbauten Materialien die Leistungsfähigkeit des Radars? Diese Fragen beantwortet auch das Fraunhofer FHR und optimiert so das Einbaudesign.
Digitale Anwendungen sichern das Fahrerlebnis
Schließlich unterstützen Fraunhofer-Entwicklungen auch den Fahrer, um sein Automobil bestmöglich nutzen zu können. So bei der Frage, wie der Treibstoffverbrauch in Abhängigkeit der Fahrsituation ist. Dafür ist es notwendig, Normangaben auf ein individuelles Fahrprofil zu übertragen. Das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM hat dafür Technologien und Apps entwickelt. Statt allgemeiner Aussagen, beispielsweise zur Reduzierung des Luftwiderstands um bis zu zehn Prozent, werden qualifizierte Werte angegeben, wie: »Auf ihren persönlichen Strecken sparen Sie drei Euro pro 100 km.«
Selbst bei einem Mangel am Fahrzeug können neue digitale Lösungen dem Fahrer nützlich sein – etwa bei der Analyse, ob ein Bauteil seines Autos defekt ist. Eine schnelle Antwort verspricht die Entwicklung smarter Augmented-Reality-Anwendungen des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD. Damit lässt sich virtuell in der Werkstatt erkennen, ob und was näher angeschaut werden muss. Eine wirtschaftliche Reparatur und guter Kundenservice werden so möglich. So endet das Potenzial der begleitenden Wertschöpfung im Leben des Autos so produktiv wie sie angefangen hat.