Polyurethan-Schäume oder kurz PU-Schäume spielen eine große Rolle in unserem Alltag – auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Doch wir sitzen und liegen täglich darauf: So bestehen Autositze und Matratzen beispielsweise aus weichen PU-Schäumen. Harte PU-Schäume setzt man dagegen unter anderem für Dämmstoffe in Gebäuden ein. Die Eigenschaften von Schäumen vorherzusagen und sie zu charakterisieren ist sehr komplex – experimentelle Untersuchungen führen vielfach zu falschen Parametern.
Neue Produktlinien besser planen
Interessant ist vor allem die Frage: Wie setzt sich die anfängliche Flüssigkeit in Schaum um? Und wie ist es um die Eigenschaften des entstehenden Schaumes bestellt? Forscherinnen und Forscher vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern können diese Fragen nun zuverlässig beantworten und Herstellern von PU-Schaum-Produkten eine gute Charakterisierung der verwendeten Polymere an die Hand geben – was die Planung neuer Produktlinien deutlich erleichtert.
Am besten lässt sich dies an einem Beispiel erläutern, etwa einem Autositz. In diesem sollen einige Zonen fester sein, andere wiederum weicher. Um dies zu erreichen, spritzen die Hersteller verschiedene Schäume mit unterschiedlichen Eigenschaften gegeneinander. Als Ausgangssubstanzen dienen ihnen dabei flüssige Polymergemische, die in eine entsprechende Form eingespritzt werden. Nun beginnt ein schneller, jedoch komplizierter chemischer Prozess: Innerhalb weniger Sekunden verwandeln sich die beiden flüssigen Emulsionen in einen komplexen Polymerschaum. Doch wie schäumen die beiden verschiedenen Substanzen genau aus? Haben sie die gewünschten Eigenschaften, und verteilen sie sich wie vorgesehen in die Zonen? »Statt wie bisher bei der Chemie anzusetzen und alle Parameter wie Reaktionsraten und Viskosität experimentell in vielen unabhängigen Experimenten zu bestimmen, machen wir zwei, drei einfache Experimente – etwa das Aufschäumen im Becherglas«, erläutert Dr. Konrad Steiner, Abteilungsleiter am Fraunhofer ITWM. »Diese Experimente simulieren wir eins zu eins im Rechner. Diese bilden die Basis zur Ermittlung der notwendigen Modellparameter, die zum Berechnen des Aufschäumverhaltens nötig sind. Die darauf basierenden Simulationen mit dem Simulationstool FOAM sind robust und die Ergebnisse für den Anwendungsfall verlässlich.« Ergo: Statt wie bisher jeden charakterisierenden Para-meter einzeln in einem Experiment bestimmen zu müssen – und dann Werte zu erhalten, die ungenau sein können – erhalten die Forschenden in kurzer Zeit und mit wenig Aufwand verlässliche Daten für den Aufschäumprozess.
»Die Hersteller nutzen üblicherweise drei oder vier unterschiedliche Schäume – bei neuen Produkten ändern sich meist nur die Kombination der Schäume und die End-Geometrien«, sagt Steiner. Haben die Fraunhofer-Forscher einen PU-Schaum über ihre Simulation einmal charakterisiert, ist eine gute Basis für neue Produkte gelegt: Die Hersteller können die erhaltenen Schaumdaten in das Simulationstool FOAM eingeben und auf diese Weise für jedes neue Produkt und jede neue Geometrie simulieren, wie die Massen und die Wärme beim Aufschäumen transportiert werden. Sie können also beispielsweise genau herausfinden, wie sie die beiden Schäume gegeneinander spritzen müssen, um die verschiedenen Zonen im Sitz an den gewünschten Stellen zu erhalten. Die Simulationsmethodik zur Parameteridentifikation und Schaumsimulation mit FOAM ist etabliert, es laufen bereits mehrere Projekte mit verschiedenen Kunden.
Verbundwerkstoffe mit PU-Schäumen
Auch bei Verbundwerkstoffen setzen Hersteller vielfach auf PU-Schäume – etwa für Trägerstrukturen im Auto, die zum einen stabil, zum anderen leicht sein sollen. Dazu integrieren sie Verstärkungsstrukturen wie Textilien in die Schäume. Das Ergebnis: Würde eine Hartschaumplatte etwa bei einer Verbiegung bereits brechen, hält die Platte mit integriertem Textil problemlos stand. Durch das Textil in der Form verändert sich allerdings das Strömungsverhalten der Polymer-Emulsion, schließlich bildet die Textilstruktur einen Widerstand. Damit ändert sich auch die Dynamik der Schaumbildung und die Struktur des Schaums: Die Blasen werden kleiner, der Schaum dichter.
Das Forscherteam des Fraunhofer ITWM hat erstmalig eine Simulation für Verbundmaterialien entwickelt, gemeinsam mit den Kollegen am Lehrstuhl für Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung der TU Chemnitz. »Den Strömungswiderstand, den die entsprechende Textilstruktur hervorruft, können wir ausrechnen – das ist eine Expertise, die wir schon lange haben. Anschließend können wir das Aufschäumen in und um die Textilstruktur simulieren«, erklärt Steiner. Bisher mussten Hersteller mühsam ausprobieren, ob der erhaltene Schaumverbund die gewünschten Eigenschaften hat – was durchaus mehrere Wochen oder gar Monate dauern kann. Die Simulation dagegen wartet bereits nach ein bis zwei Tagen mit einem verlässlichen Ergebnis auf. Die Forscher haben sie bereits an Bauteilen validiert und überprüft. Die Ergebnisse stimmen sehr gut mit der Realität überein.