Wenn Prof. Marc F. Schetelig Besucher durch seine Labors an der Justus-Liebig-Universität Gießen und am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und angewandte Oekologie IME in Gießen führt, öffnet er auch die Tür zur 27-Grad-Klimakammer, in der Tausende von Tigermücken (Aedes aegypti) in Netzkäfigen leben. »Die Weibchen müssen wir mit 37 Grad warmem Rinder- oder Schweineblut direkt vom Schlachter füttern, damit sie Eier legen«, erklärt der Biologe. »Die Eier geben wir dann in Wasserschalen, wo die Larven schlüpfen und sich verpuppen.«
Schetelig ist Experte für die Sterile Insektentechnik, kurz SIT, die durch massenhafte Freisetzung steriler Männchen die Population von Schadinsekten dezimiert (siehe Kasten). Mit seiner Forschungsgruppe, die zu dem vom Land Hessen geförderten LOEWE Zentrum für Insektenbiotechnologie & Bioressourcen gehört, entwickelt er Methoden, die die Effektivität der Sterilen Insektentechnik steigern und einen Transfer der Technik auf weitere Schädlinge zulassen.
Genetische Schalter ein- und ausschalten
Am weitesten gediehen sind seine Arbeiten mit der Kirschessigfliege, Drosophila suzukii, die aus Südostasien stammt und sich weltweit ausbreitet. Die Weibchen legen kurz vor der Ernte ihre Eier in die reifen Früchte, wenn die Bauern in der Regel nicht mehr mit Insektiziden spritzen dürfen. Somit umgeht die Fliege auch wirksame Insektizide, und eine effektive Bekämpfungsstrategie ist nicht auf dem Markt. 2014 sorgte die Kirschessigfliege in vielen Regionen Mitteleuropas bereits für massive Ernteausfälle bei Kirschen, Himbeeren, Pflaumen und Trauben. Im Jahr 2015 kam es wegen des heißen, trockenen Sommers nicht zur befürchteten Massenvermehrung. In diesem Jahr könnte das regnerische Frühsommer-Wetter die Ausbreitung wieder begünstigen.
Schetelig hat ein genetisches System konstruiert. Es bewirkt, dass die Nachkommen der Fliegen bereits im Embryonalstadium sterben. Wenn sich männliche Fliegen, die dieses System tragen, mit den natürlich vorkommenden Weibchen paaren, schlüpfen aus den befruchteten Eiern keine Larven. Das genetische System enthält aber auch einen Schalter, mit dem sich das Programm ausschalten lässt. Dieser Schalter kann durch Füttern des Antibiotikums Tetrazyklin umgelegt werden. Durch Tetrazyklin-haltiges Futter lässt sich der Fliegenstamm im Labor züchten und weiter vermehren. »Die neu entwickelten Systeme haben im Gegensatz zu anderen verfügbaren genetischen Systemen den Vorteil, dass kein Antibiotikum für die Larven benötigt wird und man nur geringe Mengen für die erwachsenen Fliegen verwenden muss. Somit gelangt kein Antibiotikum in die Umwelt«, sagt Schetelig.
Zur Erleichterung der Massenzucht verankert die Forschergruppe ein weiteres genetisches System im Erbgut. Es kann bewirken, dass alle Weibchen bereits im Embryonalstadium absterben. »Mit diesem Sexing-System können wir die Effektivität der Massenzucht deutlich steigern, da wir nur Männchen großziehen«, erklärt Schetelig. Bei den meisten bisher üblichen Zuchtmethoden müssen die Weibchen vor der Massenfreisetzung teilweise manuell aussortiert werden.
Eindämmung von Dengue- und Zikavirus als Ziel
Zurzeit implementiert das Team die bei der Kirschessigfliege entwickelten genetischen Systeme in Tigermücken, um sie mit der Sterilen Insektentechnik bekämpfen zu können. Denn die Tigermücken können eine ganze Reihe gefährlicher Viren übertragen. Dazu gehören neben dem Dengue- und Zika- auch das Gelbfieber-, Chikungunya- und Rifttal-Virus. Das ursprünglich in den Tropen heimische Insekt breitet sich weltweit aus. In Italien hat sich eine verwandte Aedes-Art schon angesiedelt. Und es gibt bereits in der Nähe von Freiburg im Breisgau den ersten Nachweis von Tigermücken, die den deutschen Winter überstanden und dort sogar gebrütet haben.
Bei aller Hoffnung, die Schetelig in die neue Technologie setzt, hat er auch die Risiken der Freilassung transgener Insekten im Blick. In einem Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Emmy Noether-Programms gefördert wird, untersucht er zum Beispiel, wie stabil die fremden Gene in das Erbgut integriert sind und was passiert, wenn andere Tiere die genetisch veränderten Fliegen fressen.
»Da wir die Männchen vor der Freilassung zusätzlich durch radioaktive Bestrahlung sterilisieren, sind wir überzeugt davon, dass sie sich nicht vermehren«, verdeutlicht Schetelig. Mit einer großflächigen Anwendung der Technologie rechnet er am ehesten in Ländern, in denen bereits Regularien für die Freisetzung genetisch veränderter Organismen bestehen, wie zum Beispiel in Südamerika und ansatzweise in den USA. »Die Akzeptanz hängt entscheidend von der Höhe der Bedrohung durch die Schädlinge ab«, ist der Forscher überzeugt.
»Wenn wir in Deutschland die gleichen Probleme mit dem Denguefieber und dem Zika-Virus hätten wie in Brasilien, würden wir auch nach unterschiedlichsten Lösungen suchen und diese evaluieren. Und da gehört die Sterile Insektentechnik mit transgenen Mücken auf jeden Fall dazu.«