Moderne Operninszenierungen leben von den Gesangskünsten der Hauptdarsteller, dem extravaganten Bühnenbild oder den Musikern des Orchesters. Gleichzeitig erschaffen die Regisseure mit Soundeffekten aus dem Lautsprecher zusätzliche Klangteppiche. »Gerade bei modernen Inszenierungen verlangen Intendanten und Regisseure, dass wir verschiedene Soundeffekte über die Tonanlage realisieren, verschiedene Räumlichkeiten schaffen und miteinander verbinden«, sagt Oleg Surgutschow, Tonmeister am Opernhaus Zürich.
In dem historischen Saal sind Lautsprecher auf insgesamt fünf Ebenen angebracht. »Eine umfangreiche und komplexe Infrastruktur, die historisch gewachsen ist. Mit klassischer Lautsprechertechnologie kommt man hier schnell an Grenzen, wenn man räumliche Klangeffekte erzielen will«, sagt René Rodigast vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT. Seit Anfang 2016 ist die SpatialSound Wave-Technologie der Ilmenauer Forscher in Zürich im Einsatz. Der Vorteil für Tonmeister Surgutschow: Er kann Soundeffekte live bearbeiten und räumliche, dreidimensionale Klangwelten erschaffen – ohne die Tonanlage oder die Räumlichkeiten dafür verändern zu müssen.
Einzelne Klänge verteilt die SpatialSound Wave-Software nach den Verfahren der Wellenfeldsynthese. Dabei formen verschiedene Lautsprecher eine neue akustische Wellenform. Keine der Boxen spielt dasselbe Signal. Jede ergänzt die benachbarte und trägt ihren Teil zum Gesamtklang bei. »Wir müssen der Technologie vorher nur sagen, wo sich jede Box befindet«, erklärt Rodigast. »Mit Mikrofonen messen wir den Klang jedes einzelnen Lautsprechers ein.
Nicht Lautsprecher, sondern Klänge positionieren
SpatialSound Wave macht aus den akustischen Signalen der Boxen Audioobjekte. Ein Ton bekommt dadurch eine dreidimensionale XYZ-Achse, eine exakte Position zu einer bestimmten Zeit. So lassen sich Töne in einem Raum beliebig positionieren. Das berechnete Signal läuft zurück in die Lautsprecheranlage des Opernhauses. »Man ist nicht mehr an die Position des Lautsprechers gebunden«, sagt Rodigast. Tonmeister Surgutschow muss sich nicht mehr um seine Lautsprecher kümmern, sondern nur noch um die Positionierung von Klängen. Die Lautstärke und die natürliche Verzögerung der Töne jedes einzelnen Lautsprechers, die für einen bestimmten Sound zuständig sind, werden automatisch über mathematische Formeln berechnet. Dadurch, dass mehrere Lautsprecher zusammenwirken, können sie die Position der Schallquelle nachstellen. Jedes Audiosignal hat so eine feste Position im Raum. »Es entsteht ein stabiles akustisches Ereignis, das von jedem Platz im Opernhaus gleich wahrgenommen wird«, erklärt Rodigast.
Ursprünglich wurde das Opernhaus Zürich als Schauspielhaus, als Sprechtheater konzipiert. Es hat daher eine hervorragende Sprachverständlichkeit, aber zu wenig Nachhallzeit für Opernaufführungen. Diese kann mit SpatialSound Wave verlängert werden. Anstatt Audiosignale schicken die Forscher Reflexionen an bestimmte Stellen des Raums. »Wir rechnen der originalen Klangquelle ein weiteres Signal hinzu und können Einfluss auf Zeitpunkt sowie Länge der Reflexionen nehmen«, sagt Rodigast. Dadurch wird der Raum größer. So als ob man die Wände nach hinten verschiebt.
»Mit der Software können wir Effekte und Raumklang im Live-Betrieb spontan anpassen. Bisher mussten wir alle Effekte vorprogrammieren. Die Audioobjekte lassen sich auch so positionieren, dass sie für den Hörer verschiedene Entfernungen haben können. Das heißt, ich kann die Effekte so platzieren, als ob sie außerhalb des Raums erklingen«, sagt Surgutschow.
Feintunen mit den Ohren
Im Opernhaus Zürich sind die Ränge klassisch angeordnet: Parkett, Parkett-Galerie, 1. Rang, 2. Rang inklusive Logen, Medaillon, Decke. »Die unterschiedlichen Etagen in unterschiedlicher Höhe machen es sehr herausfordernd, die Akustik optimal einzustellen: zum Beispiel an jedem Platz das gleiche Sounderlebnis zu schaffen oder bei Klangwelten, die sich durch den Raum bewegen«, sagt Surgutschow. »Da reichen Mikrofone zum Messen der Lautstärke nicht aus. Das ist nur für die technische Annäherung. Viel wichtiger ist das Vorhören mit dem eigenen Ohr.« Wissenschaftler und Tontechniker wanderten Platz für Platz und Loge für Loge ab, spielten verschiedene Soundinhalte ab, bewegten Klangquellen an verschiedene Stellen. »Man probiert unterschiedliche Einstellungen aus. Das kann keine Technik abnehmen«, sagt Rodigast. Es gab zwei Termine: An einem Tag wurde das System ausgemessen und in Betrieb genommen. »Akustisch optimiert haben wir das dann in zwei Nächten, nachdem die Toningenieure zuvor schon ein paar Wochen mit der Technologie gearbeitet hatten«, erzählt Rodigast.