KI – ein Hebel für das Gute

Ein Standpunkt von Dr. Roland Busch, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG

Dr. Roland Busch, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG

Fraunhofer-Magazin 1.2024

Dr. Roland Busch, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG
© Enno Kapitza
Dr. Roland Busch, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG

KI wird mehr Produktivität ermöglichen, mehr Innovationen und mehr Nachhaltigkeit. KI ist die große Chance unserer Zeit. Um sie zu nutzen, braucht Deutschland eine kluge Einwanderungspolitik – und mehr noch: eine Kultur der Offenheit.

Auf der Hauptversammlung von Siemens habe ich dieses Jahr Danny vorgestellt. Obwohl Danny künstlich ist, verhält sie sich außergewöhnlich intelligent. Ich kann mit der KI wie mit einem Menschen sprechen, und sie kann genauso antworten. Danny ist noch im Training, aber bald wird die KI tiefgreifende Kenntnisse industrieller Technologien haben. Und wenn es um die Programmierung von Robotern geht, verfügt Danny über Fähigkeiten, die denen unserer Top-Experten ebenbürtig sind. Sie ist der lebende Beweis – oder besser gesagt: der von Menschen geschaffene Beweis –, wie generative KI die Welt verändern wird.
KI ermöglicht es uns, produktiver zu arbeiten, Innovationen zu beschleunigen und uns auch bei der Nachhaltigkeit zu unterstützen. Sie hilft dabei, den Fachkräftemangel anzugehen. Und sie ist ein enormer Hebel für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit, indem sie Branchen revolutioniert und Volkswirtschaften wiederbelebt. KI ist die große Chance unserer Zeit. Und Deutschland kann der Nukleus für generative KI in der Industrie sein – der sogenannten industriellen KI. Wie wir das machen? Drei Antworten.


Erstens: Wir haben starke Ökosysteme in Deutschland, Automobilindustrie, Chemie, Pharma, Produktion und, für alle relevant, den Maschinenbau, alle vernetzt mit der Wissenschaft. Erfolgreiche Ökosysteme brauchen vor allem kreative und engagierte Menschen. Weil dazu auch Menschen gehören, die nach Deutschland kommen und sich und ihre Fähigkeiten einbringen wollen, brauchen wir eine kluge Einwanderungspolitik sowie eine Kultur der Inklusion und Offenheit. Mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und dem Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS haben wir ein starkes Ökosystem, um die Digitalisierung von Zugsystemen zu beschleunigen. Gemeinsam nutzen wir KI, um fahrerlose Züge zu entwickeln (siehe S. 56/57). Für Unternehmen wie Heineken oder Northvolt setzen wir KI ein, um Energie beim Bierbrauen zu sparen und die Fertigung in Batterie-Gigafabriken zu optimieren.
Und wo manche Wettbewerber sehen, sehen wir Partner. Wir arbeiten mit NVIDIA zusammen, um fotorealistische Visualisierungen für das industrielle Metaverse zu schaffen. Gemeinsam mit Amazon Web Services erleichtern wir die Integration von KI in Apps. Und wir haben mit Microsoft zusammengearbeitet, um den Siemens Industrial Copilot zu entwickeln, der mensch-maschinelle Interaktionen schneller und intuitiver macht als je zuvor. Diesen Industrial Copilot haben wir Danny genannt. Schaeffler ist der erste Kunde, der ihn in der realen Welt einsetzt.


Zweitens: Bei Siemens verfügen wir über langjährige Expertise bei der Anwendung von KI für unsere Kunden. Und seit der Veröffentlichung von ChatGPT haben wir eine Welle von Ideen und Projekten in unserer Forschungs- und Entwicklungsabteilung gestartet – wie Danny. Unsere gesamte Erfahrung zeigt: Menschen werden nicht durch KI ersetzt. Menschen werden durch jemanden ersetzt, der KI verwendet. Deshalb ist Weiterbildung so wichtig. Heute schon haben wir bei Siemens rund 1500 ausgewiesene KI-Experten. Und 2023 haben 40 000 Kolleginnen und Kollegen an KI-Trainings teilgenommen.


Drittens: Die geplante KI-Verordnung der Europäischen Union verfolgt zweifellos gute Absichten, aber sie kann KI-basierte Geschäftsmodelle behindern. Ähnliche Risiken bestehen bei der EU-Datenverordnung und der Taxonomie-Verordnung. Keine dieser Verordnungen ist grundsätzlich falsch, aber in Summe und im Kleingedruckten könnten sie Innovation gefährden, zu einer Zeit, in der Innovation wichtiger ist denn je. Sie nehmen Geschwindigkeit raus, obwohl diese eine Voraussetzung für unsere Wettbewerbsfähigkeit ist.
Aber ich glaube fest an die Innovationskraft unseres Landes. Das ist einer der Gründe, warum Siemens trotz langsamen Wachstums und zunehmenden Investitionsentscheidungen für das Ausland eine Milliarde Euro in die Zukunft Deutschlands investiert.
Damit schaffen wir einen Hightech-Campus in Erlangen, eine Blaupause für das industrielle Metaverse. Wir kombinieren die reale und digitale Welt, um einen immersiven Raum entstehen zu lassen – eine virtuelle Welt, die fast nicht von der realen zu unterscheiden ist. Dort können KI-Ingenieure und ihre menschlichen Kollegen in Echtzeit zusammenarbeiten, um die größten Herausforderungen unserer Zeit zu lösen.
KI ist für mich ein Hebel für Wachstum. Und bietet die Chance, Gutes zu schaffen. Wenn wir offene Ökosysteme und eine positive Grundhaltung fördern sowie einen vernünftigen Ansatz für Regulierung finden, können wir mit diesem Hebel Großes bewegen.