Oliver Zipse, Vorsitzender des Vorstands der BMW AG
Fraunhofer-Magazin 2.2024
Der Politik in Deutschland fehlt das Bekenntnis zum Wachstum. Wir brauchen den mentalen Paradigmenwechsel für unser Land und für Europa: Anreize statt Verbote, Entry-Strategien anstelle von Exit-Strategien.
Wohlstand ohne Wachstum«. »Gesundschrumpfen«. »Nur noch grünes Wachstum«. Wer die öffentliche Debatte der vergangenen Jahre über vermeintlich richtige Wirtschaftsstrategien verfolgt, der kann schnell zu dem Schluss kommen, dass Wirtschaftswachstum als notwendige und erstrebenswerte Zielsetzung ausgedient hat. Dass es sich nicht mit den richtigen und wichtigen Bestrebungen zu mehr Klimaschutz und Ressourcenschonung verbinden lässt. Dass Verantwortung und Wachstum nicht miteinander vereinbar sind, sondern im Gegenteil, sich sogar zwingend gegenseitig ausschließen.
Ist das tatsächlich der Fall? Hat Wirtschaftswachstum zu lange unser Verständnis einer modernen Wirtschaft geprägt? War und ist es fälschlicherweise die maßgebliche Messgröße für die Leistungsfähigkeit von Wirtschaftsräumen und Grundlage wichtiger Entscheidungen von Investoren, Unternehmen und politischen Akteuren?
Die Antwort darauf lautet: Nein. Eine wachsende Wirtschaft ist auch weiterhin im positiven Sinne Ausdruck von ökonomischem Erfolg, zunehmendem Wohlstand und vom Fortschritt einer Gesellschaft sowie ihrer Zukunftsfähigkeit. Für einen Wirtschaftsraum wie Europa im Allgemeinen und einen exportorientierten Wirtschaftsstandort wie Deutschland im Speziellen bleiben qualitatives und quantitatives Wachstum unabdingbar.
Und mehr noch: Eine nachhaltig wachsende Wirtschaft war vielleicht noch nie so elementar, um den schrittweisen Wandel unserer Industrien und ganzer Volkswirtschaften hin zu einem klimaverträglichen und ressourcenschonenden Wirtschaften zu ermöglichen.
Nicht nur bietet ein wachsendes Unternehmen Karrieremöglichkeiten und Entwicklungsperspektiven und ist so für Mitarbeitende und neue Talente attraktiver. Gerade mit Blick auf den Fach- und Arbeitskräftemangel ein zunehmend wichtiger Faktor.
Erst Wachstum ermöglicht auch kapitalintensive Investitionen – sei es in neue Geschäftsmodelle und zur Erschließung neuer Märkte. Oder ganz speziell in die Forschung und Entwicklung von Zukunftstechnologien, die ein nachhaltigeres Wirtschaften überhaupt erst ermöglichen. Und dabei möchte ich betonen: Nachhaltiges Wachstum hat nicht nur eine Farbe, sondern viele. Windräder, Wärmepumpen, Elektroautos – all solche »grünen« Produkte werden von Technikern und Ingenieurinnen entwickelt und von »Blaumännern« in Fabriken gefertigt.
Daher muss nachhaltiges Wachstum in all seinen Farben und Facetten ein Kernelement von Wirtschafts- und Industriepolitik sein und bleiben. Diese Überzeugung und ein entsprechendes öffentliches und unmissverständliches Bekenntnis zum Wachstum fehlt in der politischen Debatte hierzulande.
Dabei geht es nicht um die BIP-Statistik einzelner Quartale. Es geht um die grundlegende Frage, welche Rolle Wachstum in Deutschland einnehmen soll, und um die Außenwirkung einer solchen Entscheidung. Kein Investor entscheidet sich für ein Engagement an einem Wirtschaftsstandort, der keine Wachstumsambition formuliert. Stattdessen werden Investitionen in vielversprechenderen Wirtschaftsräumen getätigt und es droht im schlimmsten Fall eine Spirale der Deindus-trialisierung.
Mit einem Bekenntnis zu nachhaltigem Wachstum einhergehen muss – auch in Europa – ein mentaler Paradigmenwechsel: Statt vorschnell Verbote zu erlassen und Exit-Strategien zu formulieren, sollten wir uns mit gleicher Intensität auf Entry-Strategien konzentrieren, die Wachstum ermöglichen. Denn etwas einfach nur zu verbieten und zu beenden, heißt noch lange nicht, dass automatisch etwas Neues, Besseres entsteht.
Zudem bedeutet Wachstum heute nicht mehr automatisch einen steigenden ökologischen Fußabdruck – sei es bei CO2-Emissionen oder Ressourcenverbrauch. Wo, wenn nicht in Deutschland als Hochtechnologie-Standort, beherrschen wir die Kunst, dass wir zum Beispiel innovative Fertigungsmethoden entwickeln und anwenden, die zu effizienteren Produktionsprozessen führen.
Statt immer neuer Verbote sollte es also positive Anreize für einen verantwortungsbewussten Wachstumspfad mit Elementen der Kreislaufwirtschaft und CO2-Reduzierung geben. Für einen Pfad, der die Stärken des Standorts Deutschland mit Forschung, Wissenschaft und Industrie aufgreift und sie als erfolgskritische Faktoren fördert. Hierfür die richtigen Weichen zu stellen, das ist eine originäre und dringliche Aufgabe der Politik.