Klemens Haselsteiner, CEO der STRABAG SE
Fraunhofer-Magazin 2.2023
Der Bausektor steht für rund 38 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Entsprechend groß ist die Verantwortung für die gesamte Branche, Wertschöpfungsketten nachhaltiger zu gestalten. Es ist deshalb höchste Zeit, Bauen nicht nur »neu zu denken«, sondern auch »neu zu machen«!
Was wir bauen, bleibt. Oft für Jahre und Jahrzehnte. Manchmal sogar für immer. Und wir müssen liefern, bei der Infrastruktur ebenso wie beim Wohnen. Denn bezahlbarer, energieeffizienter Wohnraum wird dringend benötigt, vor allem in den Städten. Allein in Deutschland sollen 400 000 neue Wohnungen gebaut werden – pro Jahr. Um das zu schaffen und zugleich die Energiewende umzusetzen, kommen wir nicht um eine Erhöhung der Sanierungsquote im Bestand herum. Derzeit werden jährlich nur rund 500 000 Wohnungen energetisch modernisiert. Bei einem Gesamtbestand von 42,5 Millionen Wohnungen in Deutschland ein Wert von leicht über 1 Prozent. Das ist schlicht und einfach: zu wenig.
Wenn wir an morgen denken, müssen wir deshalb heute Klartext reden: Unsere Klima- und Wohnungsbauziele erreichen wir nur, wenn wir schneller nachhaltiger, das heißt ressourcenschonender und umweltfreundlicher, planen und bauen als bislang. Und dafür brauchen wir ein neues Denken und Handeln. Kein Hätte, Würde, Wenn und Aber. Sondern: Machen!
Entscheidend ist das »Wie«
Als führender Bautechnologiekonzern in Europa wissen wir: Ein »Weiter so« funktioniert nicht. Deshalb haben wir uns das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2040 entlang der Wertschöpfungskette klimaneutral zu werden und gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern ökologisch verträgliche, nachhaltige Lösungen für den Bau zu entwickeln. Für uns bedeutet das dreierlei:
Erstens: mutig sein und eine unternehmenseigene Innovationskultur fördern. Dafür haben wir nicht nur unseren Innovation Day und den Stakeholder-Dialog, mit denen wir Zukunftsthemen und Entwicklungen im Konzern vernetzen und den Austausch zwischen Kolleginnen und Kollegen, Kundinnen und Kunden fördern. Auch unser Corporate-Start-up-Programm adAstra bietet die Möglichkeit, innovative Ideen zu verwirklichen und als Start-ups auszugründen. Derzeit arbeiten wir in über 250 Innovations- und 400 Nachhaltigkeitsprojekten an der Zukunft des Bauens.
Zweitens: auf Partnersuche gehen. Denn die Bauwende ist keine Aufgabe, die wir allein lösen können. Es braucht die Expertise, das Know-how von außen. Wir arbeiten eng mit Forschungseinrichtungen und Think-Tanks zusammen. Mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg haben wir Photovoltaik-Fassadenelemente erprobt. Integriert in die Gebäudehülle, produzieren sie grünen Strom und ergänzen die Energieerzeugung des Gebäudes. Und mit der Universität Stuttgart erforschen wir eine softwaregestützte Lebenszyklusanalyse für Gebäudesysteme. Mithilfe Künstlicher Intelligenz, IoT-basierter Kommunikation und cloudbasierter Gebäudeleittechnik soll die Ressourceneffizienz über den gesamten Immobilien-Lebenszyklus nachhaltig verbessert werden.
Drittens: die Digitalisierung als Chance wahrnehmen, um Prozesse konsequent zu automatisieren. Noch hinkt der Bausektor bei der Digitalisierung anderen Branchen hinterher. Dabei bieten neue Technologien viele Möglichkeiten, die Bauplanung nachhaltiger zu gestalten. Ein Beispiel: Künstliche Intelligenz. Gebäude und Baustellen lassen sich mithilfe automatisierter Prozesse wie Generative Design schneller, effizienter und ressourcenschonender planen. Planung und Produktion werden enger miteinander verknüpft, Akteure und Daten stärker vernetzt. Optimierungspotenziale bei Materialbedarfen und Emissionen lassen sich so exakt berechnen – und das schon in der Frühphase eines Projekts.
Mehr Tempo, mehr Mut!
Ich bin überzeugt: Der Klimaschutz ist ein Motor für Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit unserer Branche. Damit er weiterläuft, brauchen wir verlässliche politische Rahmenbedingungen. Das heißt: mehr Tempo. Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen zügiger abgeschlossen werden. Mehr Kreislauf: Materialkreisläufe müssen gezielt geschlossen werden. Und mehr Mut: Innovationsgeist gilt es zu fördern, nicht zu verhindern. Denn die Beispiele aus unserem Unternehmen und der Zusammenarbeit mit unseren Partnerinnen und Partnern verdeutlichen: Wenn man offen ist, Dinge anders anzugehen, wenn man der eigenen Innovationskraft vertraut und gleichzeitig partnerschaftlich handelt – dann ist die Bauwende möglich!